Kevin Kuranyi im Interview: "Fußball ist in Russland nicht die wichtigste Sportart"

Kevin Kuranyi spielte von 2010 bis 2015 bei Dynamo Moskau.
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SPOX: Bei der EM 2016 randalierten russische Hooligans. Machten Sie im Ligabetrieb ähnliche Erfahrungen?

Kuranyi: Bei einem Spiel gegen Zenit St. Petersburg kam es zu einen Platzsturm, aber zum Glück ist nichts Schlimmes passiert. Einmal wurde ich mit Rassismus konfrontiert, als gegnerische Fans unsere beiden dunkelhäutigen Spieler mit Affenlauten provozieren wollten. Es gibt leider dumme Menschen, die nichts im Kopf haben, außer den Sport mit solchen Aktionen kaputt zu machen. Die wissen gar nicht, wie verletzend so etwas sein kann. Diese Menschen gehören nicht ins Stadion.

SPOX: Zurück zum Sportlichen. Was für ein Fußball wird in der russischen Liga gespielt?

Kuranyi: Er ist geprägt von Kampfgeist und viel Härte. Die Top-Vereine mit internationalen Superstars spielen aber auch einen technisch anspruchsvollen Fußball.

SPOX: Verfolgen Sie die Entwicklung der russischen Nationalmannschaft?

Kuranyi: Ich bin sehr gut informiert, weil ich mit vielen aktuellen Spielern und dem Nationaltrainer Stanislav Tschertschessow bei Dynamo zusammengearbeitet habe. Ich denke, dass Russland bei der WM die Gruppenphase überstehen wird. Aber spätestens im Viertelfinale ist wohl Schluss.

SPOX: Was ist Tschertschessow für ein Trainertyp?

Kuranyi: Er ist sehr hart, aber auch ehrlich und direkt. Tschertschessow sagt einem seine Meinung ins Gesicht und zieht seine Linie durch. Er schaut nicht nach rechts oder links. Ich finde das gut und besser, als Konflikte zu scheuen und weniger zu reden. Natürlich gab es bei Dynamo aber auch Spieler, die mit seiner Art Probleme hatten.

SPOX: Auf welchen russischen Spieler sollte man bei der WM besonders achten?

Kuranyi: Fjodor Smolow ist der beste Spieler der Mannschaft. Er hat das Potenzial, ein internationaler Superstar zu werden. Ein anderer spannender Spieler ist Alexander Kokorin, aber er riss sich das Kreuzband und wird die WM verpassen.

SPOX: Im russischen Kader stehen kaum Legionäre. Woran liegt das?

Kuranyi: Die russischen Top-Klubs sind finanzstark und zahlen höhere Gehälter als die meisten europäischen Vereine auf einem ähnlichen Niveau. Da fragt sich ein russischer Spieler natürlich: Warum soll ich von zu Hause weggehen, woanders die Hälfte verdienen und dann auch noch das Risiko haben, auf der Bank zu sitzen? Die Russen wünschen sich aber, dass ihre Spieler mutiger sind und den Schritt ins Ausland wagen.

SPOX: Welche Auswirkungen hatte die WM-Vergabe bisher auf den russischen Fußball?

Kuranyi: Als ich dort spielte, genoss der Fußball sehr wenig mediale Aufmerksamkeit, weil sich viele Vereine nicht darum kümmerten. Zuletzt verbesserten die Klubs aber das Marketing und die Zusammenarbeit mit den Medien. Außerdem wird die Nachwuchsarbeit gefördert. Alle versuchen, den Fußball zu pushen und zu zeigen, dass Russland ein Fußball-Land ist.

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