Christopher Schorch vom 1.FC Saarbrücken im Interview: "Mein Berater rief mich an und fragte, ob ich noch ganz sauber ticke"

Von Stanislav Schupp
Christopher Schorch steht mit dem 1.FC Saarbrücken im DFB-Pokal-Halbfinale.
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Bereuen Sie etwas, wenn Sie an die Zeit in Berlin zurückdenken?

Schorch: Den Stress bei meinem Abschied. Ich wollte damals keinen neuen Vertrag unterschreiben. Jerome Boateng und ich gingen in eine Klasse und haben uns über alles unterhalten. Da wusste ich natürlich auch, welche Angebote die anderen Spieler bekommen haben. Ich hatte zu dem Zeitpunkt keinen Berater, also saß ich allein bei Dieter Hoeneß im Büro und sagte ihm, dass ich das Angebot nicht annehme. Ich sagte ihm, dass dadurch, wie er mit mir umgegangen ist, das Tischtuch zerschnitten sei.

Wie hat er reagiert?

Schorch: Er wurde laut. Im Nachhinein muss ich aber sagen, dass ich ihn verstehen kann. Wir kamen einfach nicht auf einen Nenner. Aber er wusste zu dem Zeitpunkt auch nicht, dass ich ein Angebot von Real Madrid vorliegen hatte. Er war dann ziemlich aufgebracht, weil ich das Angebot abgelehnt hatte und meinte, dass ich gehen könne, wenn ich einen Verein finde, der die geforderte Ablösesumme zahlt. Ich glaube, das war eine Million Euro. Und dann kam Real ins Spiel.

Es heißt, der Vater Ihrer damaligen Freundin hätte die Rolle des Beraters übernommen, obwohl er kein lizensierter Berater war. Wie kam das zustande?

Schorch: Ich habe ihn angerufen und darum gebeten, mich abzuholen, weil die Situation im Büro von Hoeneß aus dem Ruder gelaufen ist. Er ist dann ebenfalls ins Büro gekommen, aber die Situation ist nur weiter eskaliert. Das hat mich umso mehr darin bestärkt, den Verein zu verlassen.

Wie haben Sie erstmals vom Interesse von Real Madrid erfahren?

Schorch: Ich saß in meinem Zimmer im Internat und bekam einen Anruf von einer unterdrückten Nummer. Die Person hat dann auf Englisch gesagt: 'Hier ist Predrag Mijatovic, Sportdirektor von Real Madrid. Ich will dich, mein Freund.' Ich sagte: 'Ja, ja, ist klar' und habe aufgelegt. Ich dachte, jemand will mich verarschen, weil wir früher viele solcher Scherzanrufe von Teamkollegen erhalten haben. Kurz darauf rief mich mein Berater an und fragte, ob ich noch ganz sauber ticke. Er hat mich dann in ein Berliner Restaurant bestellt und saß dort bei meiner Ankunft schon mit Mijatovic am Tisch. Als ich die beiden gesehen habe, ist mir fast der Atem stehen geblieben. Ich habe mich dann tausendmal entschuldigt und ihm alles erklärt. Er meinte, er hätte so etwas noch nie erlebt, fand es aber einigermaßen witzig.

Christopher Schorch spricht im Interview über seine Zeit bei Real.
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Christopher Schorch spricht im Interview über seine Zeit bei Real.

Schorch: "Mein Vater hat immer gesagt: 'Du bist der erste Ossi bei Real'"

Was hat Sie in Madrid am meisten überrascht, positiv wie negativ?

Schorch: Positiv war der Umgang mit mir, trotz der großen Namen, die damals dort unter Vertrag standen. Negativ fand ich, dass ich am Ende übergangen wurde. Mir wurde gesagt, dass ich mich etabliert hätte und meine Chance bekommen würde. Ursprünglich sollte ich in die Fußstapfen von Fabio Cannavaro hineinwachsen. Auf einmal wurde dann aber Ezequiel Garay verpflichtet. Deshalb habe ich beschlossen, dass ich weg möchte.

Welche Erwartungen hatten Sie bei dem Wechsel an sich selbst?

Schorch: Ich habe dort für fünf Jahre unterschrieben, so ein Angebot hätte ich in Deutschland nicht bekommen. Man muss auch sagen, dass der finanzielle Rahmen so gut war, dass ich die Chance einfach ergreifen und es probieren musste. Ich dachte mir: Selbst, wenn es nicht klappt, hast du Real Madrid in deiner Vita stehen. Mein Vater hat immer zu mir gesagt: 'Eines hast du jetzt schon sicher, das kann dir keiner mehr nehmen: Du bist der erste Ossi bei Real' (lacht).

Was war der schwierigste Moment während Ihrer Anfangszeit in Madrid?

Schorch: Ich kam mit 17 nach Madrid. Gerade nach Siegen war das Nachtleben ziemlich verführerisch. Die Mannschaft war immer feiern und das muss man mit Vorsicht genießen. Die Stadt ist groß, da muss man mit 18 teilweise aufpassen.

Inwiefern?

Schorch: Ein paar Tage vor dem Spiel gegen die zweite Mannschaft von Atletico war ich um 22.30 Uhr mit meinem Auto und deutschem Kennzeichen auf dem Paseo de la Castellana unterwegs [große Hauptstraße in Madrid, Anm. d. Red.]. Auf einmal hat jemand neben mir gehupt. Ich habe herüber geschaut, dann ging das Fenster runter und Predrag Mijatovic saß am Steuer. Er meinte nur: 'Du bist morgen um 10 Uhr in meinem Büro. Wie kannst Du dich zwei Tage vor dem Spiel um diese Uhrzeit auf der Straße herumtreiben?' Ich war natürlich perplex. Ab diesem Moment wusste ich, dass ich mir sowas nicht mehr erlauben kann.

Schorch: Marcelo? "Der hat schon gerne einen draufgemacht"

Sie haben regelmäßig mit den Profis trainiert. Welcher Spieler, der medial weniger im Fokus stand, hat Sie besonders überrascht?

Schorch: Marcelo hatte immer die Voraussetzungen, hat seine Qualitäten zu dieser Zeit aber nie auf den Platz gebracht, wenn er die Chance bekommen hat. Gefühlt hat er sich dann von heute auf morgen zu einem der besten Linksverteidiger der Welt entwickelt. Darüber hinaus hat mich überrascht, dass Denis Cheryshev den Sprung zu den Profis geschafft hat.

Hat es jemand umgekehrt nicht geschafft, dem Sie es eigentlich zugetraut hätten?

Schorch: Ich hätte nicht gedacht, dass Juanmi Callejon es nicht schafft. Ich fand ihn immer besser als seinen Bruder Jose. Außerdem hätte ich gedacht, dass Alberto Bueno richtig durchstarten würde. Er war fußballerisch für mich einer der besten Zehner überhaupt - mit seiner Bewegung, seinem Abschluss, seiner Spielintelligenz. Alberto hatte alles.

Wer war in der Kabine der Stimmungsmacher?

Schorch: Auf jeden Fall Robinho und Marcelo. Marcelo war damals noch ganz anders.

Wie meinen Sie das?

Schorch: Er war damals noch nicht so professionell, vom Kopf her nicht so weit. Der hat schon gerne einen draufgemacht.

Sie spielten zwei Jahre lang bei der Castilla, aber nie bei den Profis. Gab es aufgrund des ausbleibenden Sprungs in die erste Mannschaft auch mal Gespräche über eine mögliche Ausleihe?

Schorch: In meinem zweiten Jahr wollte mich Didier Deschamps für acht Millionen Euro zu Olympique Marseille holen, aber Real hat abgelehnt. Dann sollte ich vor meinem Wechsel nach Köln 2009 im Doppelpack mit Adam Szalai nach Portugal zu Sporting Braga verliehen werden, die 2011 ins Europa-League-Finale eingezogen sind. Wir haben uns aber dagegen entschieden, weil wir uns dachten, wir seien dann weg von der Landkarte. Später habe ich zu Szalai gesagt: 'Stell' dir mal vor, wir hätten das gemacht'.

2010 rissen Sie sich im Länderspiel der U20 gegen die Schweiz das Kreuzband - Ihre zweite schwere Verletzung. Wie sind Sie damit umgegangen?

Schorch: Ich sollte ursprünglich nur eine Halbzeit spielen. Da es aber relativ gut lief, wollte der damalige Trainer Ralf Minge, dass ich weiterspiele, und dann habe ich mir in der 54. Minute das Kreuzband gerissen. Zu dem Zeitpunkt war ich richtig gut drauf und hatte die ersten Kontakte zu Matthias Sammer [damals Sportdirektor beim DFB, Anm. d. Red.], der mir sagte, dass ich mich in den Fokus der A-Nationalmannschaft gespielt hätte. Dementsprechend war das extrem bitter. Es hat sich danach jeder bei mir gemeldet, nur von Minge habe ich seitdem nichts mehr gehört. Nach der Verletzung hat es bestimmt zwei Monate gedauert, bis ich wieder Lust hatte, rauszugehen.

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