Andreas Rettig im "kicker meets DAZN – Der Fußball Podcast": PL-Umsätze? "Nicht das erstrebenswerte Ziel"

Von SPOX
Andreas Rettig ist ab dem 1. Oktober nicht mehr Geschäftsführer beim FC St. Pauli.
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Andreas Rettig spricht bei "kicker meets DAZN - der Fußball Podcast" auf SPOX und Goal über Uli Hoeneß' Drohgebärden in Richtung DFB und die Dünnhäutigkeit des FC Bayern in bestimmten Sachfragen.

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Zudem erläutert er die Vorzüge der 50+1-Regelung, rüffelt die UEFA Youth League als ausgemachten Unsinn und wagt einen Blick in die Zukunft des Volkssports Fußball.

Andreas Rettig über...

...über Bayerns Dominanz und Einfluss in der Bundesliga: "Zunächst ist festzuhalten, dass der FC Bayern sich diese sportlichen und wirtschaftlichen Erfolge erarbeitet hat. Da ist nichts vom Himmel gefallen. Aber der Einfluss der Top-Klubs auf die Liga hat Fragen aufgeworfen und deshalb sind viele froh über die Zusammensetzung im DFL-Präsidium, die für eine gewisse Ausgewogenheit stehen, die deutlich größer ist als in der Vergangenheit."

...die Drohung von Uli Hoeneß in Richtung DFB: "Es ist ja nicht die erste Aussage von ihm, die am Thema vorbeigeht. Ich finde nicht richtig, was da gemacht wird. Ich kann mit solchen öffentlichen Forderungen nichts anfangen. Das gehört sich nicht."

...die Streitkultur unter anderem mit dem FC Bayern: "Zunächst mal bin ich grundsätzlich nicht auf Krawall gebürstet. Ich finde aber durchaus, dass wir uns eine andere Streitkultur angewöhnen müssen. Denn das ist nicht nur ein Fußballproblem. Jeder, der mal kritisiert wird, zieht sich in sein Schneckenhaus zurück, ist beleidigt und giftet zurück - statt sich sachlich mit den Themen auseinanderzusetzen. Das bedauere ich. Die Dünnhäutigkeit der Bayern-Verantwortlichen ist ja nun hinlänglich bekannt. Da würde ich mir ein bisschen mehr Souveränität und Größe wünschen. Aber: Herr Hoeneß hat nach einigen mich nach einigen meiner Äußerungen auch angerufen. Das schätze ich dann schon an ihm, dass er das Gespräch sucht. Nur inhaltlich bleibt es eben dabei, dass uns einiges trennt."

...den Status Quo des modernen Fußballs: "Wir sollten jetzt auch nicht jeden Tag den Untergang herbeireden. Was mir aber Sorge bereitet, ist die schleichende, emotionale Entfremdung. Das macht sich zwar nicht in Umsatzzahlen bemerkbar, aber ein Gefühl kann man nun mal nicht messen. Als die Bundesliga gegründet wurde, konnte man zum Beispiel jedem Verein sein Stadion zuordnen. Heute werden Stadionnamen in zehn Jahren viermal gewechselt. Auch die Gesellschafterstruktur hat sich verändert, bei der Gründung 1963 gehörten die Vereine noch den Mitgliedern. Mittlerweile wurden Mitglieder durch Gesellschafter verdrängt. Das ist zunächst keine Klage, sondern eine Feststellung - so ist erklärbar, dass es für viele eben nicht mehr ‚ihr' Verein ist. Weil so letztlich auch Mitgliederrechte kannibalisiert wurden."

...den Fußball in zehn oder 20 Jahren: "Es geht darum, die Kraft, Emotionalität und die Verbindung zum Volkssport Fußball aufrecht zu erhalten. Unsere Aufgabe ist es, die Liebe und Leidenschaft zum Fußball zu pflegen, damit sie am Ende nicht erlischt. Vor allem der DFB und die DFL müssen ihre Popularität und Reichweite nicht dazu nutzen, immer noch mehr Umsätze zu generieren, sondern auf gesellschaftliche Themen aufmerksam zu machen. Und wichtig ist auch, dass wir die Fans nicht gegeneinander ausspielen, in dem wir etwa sagen: Der Fan ist wichtiger als ein anderer."

...über die Proteste gegen RB Leipzig: "Zunächst mal ist gegen friedliche Proteste nichts einzuwenden. So lange das nicht in Gewalt ausartet und Steine fliegen oder sonstiges. Aber als DFL-Geschäftsführer habe ich mich damals relativ deutlich gegen diese Konstruktion "Rasenball Leipzig" ausgesprochen und verstehe auch den Unmut vieler Fußballfans. Weil hier ja das System quasi auf den Kopf gestellt wird - während alle anderen Vereine zuerst sportlichen Erfolg haben müssen und dieser wird dann kapitalisiert. Und bei Rasenball ist es genau umgekehrt: Da ist erst das Geld da und dann wird sich bei diesem Mitteleinsatz zwangsläufig auch Erfolg einstellen. Das ist der Kern des Unmuts und den verstehe ich."

...50+1 vs. internationale Wettbewerbsfähigkeit: "Das Festhalten an seinen historischen und sozialen Wurzeln, die 50+1-Regelung, verhindert doch keinen Erfolg. Wir sollten mal davon weggekommen, den Umsätzen der Premier League hinterher zu hecheln. Diese Umsätze werden glorifiziert, aber das ist meines Erachtens nicht das erstrebenswerte Ziel. Da sollten wir einen anderen Blickwinkel an den Tag legen. Es ist ein Märchen zu glauben, wenn 50+1 morgen fällt, kommen die Henkelpötte geflogen. Man kann keinen Wettstreit gegen Oligarchen, Staatsfonds oder chinesische Konglomerate gewinnen, wenn man wirtschaftlich vernünftig handeln will. Am Ende ist nicht die Rechts- oder Gesellschaftsform entscheidend, sondern die Qualität des Managements. Sonst würden Vereine wie der SC Freiburg nicht da stehen, wo sie derzeit stehen. Wenn der Mitteleinsatz und die Managementqualität in einem gesunden Verhältnis zueinanderstehen, dann stellt sich auch der Erfolg ein."

...die Probleme in den Nachwuchsleistungszentren: "Es braucht eine duale Ausbildung, also eine für den Fußball, die andere für Schule und Beruf. Am Ende schaffen es maximal drei, vier Prozent aus den Leistungszentren in die erste und zweite Liga. Das Schienbein ist schnell gebrochen und das Kreuzband schnell gerissen. Wir müssen die jungen Menschen auf die Zeit danach vorbereiten, wenn eben nicht die Glitzerwelt im Vordergrund steht. Aber da sind auch die Verbände gefragt: Ich halte es für ausgemachten Unsinn, Wettbewerbe wie die Youth League einzuführen. Damals auch übrigens gegen unseren Widerstand von der DFL. Mir muss mal einer erklären, warum 16-Jährige quer durch Europa fliegen müssen und dadurch tagelang von der Schule wegbleiben. Das verstehe, wer will."

...den DFB und den neuen Präsidenten Fritz Keller: "Ich würde uns allen wünschen, dass er ein paar Strukturen aufgebrochen bekommt. Denn es ist immer gefährlich, wenn die direkten Mitglieder keinen Einfluss mehr auf eine Organisation haben, weil die dann ein Eigenleben entwickelt. Dann wird es problematisch. Da tut eine Art Quereinsteiger, wie es Fritz Keller ist, gut. Er bringt vieles mit, aber es ist eine Herkulesaufgabe. Es gibt so viele Interessen, die DFL, die Regionalverbände, Landesverbände, die kleineren Vereine. Und alle Interessen unter einen Hut zu bekommen... dieser Hut muss schon ziemlich groß sein."

...seinen persönlichen Spagat zwischen Auszeit und Fußball: "Ich habe mit meiner Frau ein Agreement getroffen: Pro Wochenende darf ich mir ein Spiel live anschauen - egal wo. Und jedes Spiel, bei dem sie dabei ist, wird nicht mitgerechnet. Man kann sich also vorstellen, dass ich sehr gerne Spiele mit meiner Frau schauen werde..."

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