FC Barcelona unter Trainer Xavi: Warum man Messi nicht mehr braucht

Von Stefan Rommel
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Barca: Xavi weckt das Potenzial seiner Spieler

Xavi richtet den Fokus in der Trainingsarbeit wieder mehr auf die Rondos und klare Passmuster, mit denen in unterschiedlichen Spielfeldzonen und je nach Situation, Ball- und Gegnerposition die gerne zitierten Automatismen eingeschliffen werden - ohne diese aber tatsächlich "einzuschleifen". Es geht darum, sich wieder an klaren Prinzipien auszurichten und diese dann situativ angepasst abzurufen. Zum Beispiel: Das uralte Prinzip im Spiel über den Dritten.

Xavis Barca nutzt dieses Stilmittel so perfekt, dass einzelne Spielsequenzen wie jetzt im Clasico gegen Real aussehen wie ein Trainingsspiel und der Gegner wie in der Fabel vom Hase und dem Igel nur noch hinterher läuft. Das wiederum funktioniert aber nur, wenn der ballführende Spieler den Blick weg vom Ball hat und den freien oder eben dritten Mann suchen und finden kann. Wenn er vor dem ersten Kontakt schon weiß, wie der Spielzug gleich weitergehen wird, sich dementsprechend positioniert und vororientiert. Wenn er mit den Augen Fußball spielt. Wenn er so spielt, wie Xavi das in seiner aktiven Zeit selbst getan hat.

Dafür schiebt der Trainer offenbar immer öfter auch kleine Videoschulungen ein, speziell für die jüngeren Spieler. Darin geht es um diese Kleinigkeiten und damit in letzter Konsequenz eine bessere Lösungs- und Entscheidungsfindung. Und auch darum, aus diesen auch vor einem oder zwei Jahren schon begnadet guten Fußballern endlich ihr Potenzial herauszukitzeln.

Denn klar ist auch, dass die besten Ideen und die beste Schulung nutzlos bleiben, wenn die ausführenden Personen nicht die nötige Qualität mitbringen. Was Barca aktuell zu spielen im Stande ist, sollte wenig überraschen. Vielmehr war es ein unglaubliches Versäumnis, wie schludrig diese Spieler auch wegen der offenbar kaum hilfreichen Anleitungen ihrer Trainer mit ihrem Talent umgegangen sind.

Lionel Messi fehlt - und wird doch kaum vermisst

Xavi gelingt es jedenfalls in unglaublicher Geschwindigkeit - er ist ja erst seit 135 Tagen im Amt - seine Spieler wieder in ihren besten Rollen glänzen zu lassen. Das heißt nicht, dass es nicht auch noch genug Rückschläge geben dürfte oder das alles schon stabil und verlässlich abrufbar ist. Aber der Weg ist definitiv der richtige. Und womöglich wurde der Klub, der vor einem halben Jahr noch klinisch tot schien, auch förmlich dazu gezwungen.

Die aktuellen Spieldynamiken wären mit Lionel Messi in Blaugrana jedenfalls nur schwer vorstellbar. Messi war schon unter Guardiola eine One-Man-Show, der im Zweifel Spiele ganz alleine entscheiden konnte. Dieser Eindruck verstärkte sich in den letzten Jahre immer mehr, als der Superstar noch einigermaßen sein Level halten konnte, um ihn herum aber alles zu bröckeln begann. Messi nahm sich selbst aus dem Offensivspiel immer mehr raus, hatte immer weniger Momente - auf die die Mannschaft dann aber deshalb auch umso mehr angewiesen war. Und in der Arbeit gegen den Ball war der Argentinier ein Nullfaktor.

Xavi hat keinen Messi mehr, der viel stehen und auf den einen Moment lauern darf, mit dem Ball am Fuß an drei Gegenspielern vorbeizieht und den Ball dann einfach ins Tor schießt. Diese Art Fußball kann man sich auf absolutem Top-Niveau schlicht nicht mehr erlauben, auch nicht der FC Barcelona und ganz offenbar auch nicht Paris Saint-Germain. Messi ist sicher noch immer einer der besten Fußballspieler der Welt - aber für das aktuelle Barca wäre er wenig geeignet.

Denn auch das ist ein klarer Unterschied zur erfolgreichen Barca-Zeit der letzten Dekade: Alle Spieler müssen alle Aufgaben in höchstem Tempo erledigen. Das gilt gegen den Ball, wo man sich keine Ausfälle im Pressing und Gegenpressing erlauben darf und wo kein Spieler einfach so "durchfallen" darf im Anlaufen. Kaum zufällig steht Barca bei rund 36 Prozent erfolgreicher Pressingaktionen pro Spiel, die meisten aller Klubs der spanischen Liga.

Und dazu gehört auch eine gewisse Leidensfähigkeit und Opferbereitschaft, die in den letzten Jahren nur noch wenig ausgeprägt war. Ein gutes Beispiel dafür war eine Szene kurz vor Schluss gegen Real, als die Gastgeber einen Überzahlkonter ansetzen konnten, dann aber sieben Barca-Spieler im Vollsprint Anschluss an die Abwehrspieler fanden und Real den Angriff abbrechen musste. Da stand es längst 4:0 und die Partie war entschieden.

Barca hat Real abgefertigt - und Aubameyang war im Clasico an drei Toren beteiligt.
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Barca hat Real abgefertigt - und Aubameyang war im Clasico an drei Toren beteiligt.

FC Barcelona: Neues Stilmittel dank der Tiefenläufe

Das gilt aber auch im eigenen Ballbesitz. Xavis Barca bereitet Angriffe tatsächlich nur dann langatmig vor, wenn der Gegner den Druck auf den Ball hochhalten kann. Dann braucht die Mannschaft ihre Qualitäten in der Ballbehauptung, grundsätzlich übers Passspiel oder die Lösungen, freie Spieler in Ballnähe zu finden oder über kurze Steil-Klatsch-Elemente Räume und damit freie Spieler zu schaffen. Wie gut und flexibel das schon funktioniert, zeigte unter anderem der Clasico: Real passte drei Mal in der ersten Halbzeit seine Defenivstrategie an, ging am Ende sogar in eine offene Manndeckung über - und jedes Mal hatte Barca die passende Idee, das alles im Positionsspiel doch auszuhebeln. Carlo Ancelotti stellte nach der Pause sogar auf eine Dreierkette um - und Barca erzielte trotzdem in sechs Minuten zwei Tore.

Denn: Gelingt das Positionsspiel ausnahmsweise nicht oder bietet sich eine Chance für einen schnellen Angriff, dann wird diese auch genutzt. Das dürfte der größte Unterschied zum "alten" Barca überhaupt sein: Die Direktheit im Spiel unter Xavi, die immer wieder eingestreut wird und den Gegner damit sehr oft vor unlösbare Rätsel stellt. Bleibt der Gegner im tiefen Abwehrblock, greifen Barcelonas Mechanismen über die Halbräume, von wo aus wiederum entweder das Zentrum bespielt oder aber der Weg über die Flügel gesucht wird. Teilweise will Barcelona aber offenbar gar nicht so schnell und tief in die gegnerische Hälfte eindringen, sondern zirkuliert bewusst selbst etwas tiefer den Ball.

Das Bedrohen der Tiefe in diesen Momenten, wenn der Gegner nur ein paar Meter nach vorne schiebt, ist schon jetzt eine unglaubliche Waffe. Hier kommt die Fußballintelligenz der Spieler wohl am besten zum Tragen: in perfekt ausgelösten Tiefenläufen und den entsprechenden Zuspielen über das gegnerische Pressing und hinter die Verteidigungslinie des Gegners.

Schon im Spielaufbau binden die drei Angreifer im 4-3-3 in der Regel immer die gegnerische Viererkette, weil jederzeit ein langer Ball in die Spitze segeln kann. Barca kann so mit sieben gegen sechs Feldspieler aufbauen, inklusive Keeper Marc-Andre ter Stegen wird die Überzahl sogar noch deutlicher. So strahlt die Mannschaft eine latente Gefahr aus, selbst wenn der Ball noch weit genug vom gegnerischen Tor entfernt scheint. Und das ist tatsächlich ganz neu.

Aber manchmal muss man Konventionen einfach auch über Bord werfen, wenn Frisches entstehen soll. Der FC Barcelona mit seinen vielen aufregenden jungen Spielern und seinem Trainer, der nach ein paar Lehrjahren nun im ganz großen Klub basteln darf, ist zwar noch lange nicht angekommen. Aber er ist auf dem besten Weg zurück.

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