Auswärtsspiel – Rüstü, der Torwart-Krieger von Barcelona: Stirb an einem anderen Tag

Von Fatih Demireli
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Rüstü Recber war einst ein Wahlversprechen von Joan Laporta beim FC Barcelona und lehnte ein Angebot von Alex Ferguson ab. Gespielt hat der später als Torwart-Krieger bekannte Türke bei Barca aber fast nie. Doch was ist das schon, wenn man zweimal kurz vor dem Tod stand?

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Rüstü Recber gehört zu den Menschen, denen man beim Reden gerne zuhört. Er könnte zwei Stunden über die spirituelle Bedeutung vom Fliesenlegen erzählen. Man würde zuhören und vielleicht später tatsächlich vom Fliesenlegen angetan sein.

Vielleicht liegt es daran, dass der 48 Jahre alte Ex-Fußballer einfach so viel zu erzählen hat und daher schon recht gut trainiert ist. Da kommt oft die Geschichte, wie er mit 16 Jahren Torhüter wurde, weil bei seinem Dorfverein Demrespor der eigentliche Schlussmann zum Wehrdienst eingezogen wurde. Warum gerade er? "Weil ich groß war."

Oder die Geschichte, wie er einmal fast starb. 1993 geriet er mit seinem Teamkollegen von Antalyaspor, Levent Tekne, in einen heftigen Autounfall. Tekne starb, Rüstü wurde schwer verletzt geborgen, lag mit inneren Verletzungen und einem verstellten Gesicht zehn Tage im Koma. Die Ärzte befürchteten das Schlimmste, aber Rüstü überlebte.

2020 machte man sich nochmals große Sorgen um ihn. Als Anfang April das Coronavirus auch die Türkei erreichte, gehörte Rüstü zu den Erstinfizierten. "Ich lag im Sterben", erzählte er später. Seine Frau Isil bat damals um Gebete für seinen Mann, der arg gebeutelt und mit heftigem Gewichtsverlust die Covid-Erkrankung überlebte.

Rüstü wurde von Fans verprügelt

Man könnte jetzt noch viele andere Geschichten aufzählen. Wie er einst bei Fenerbahce auf dem Trainingsgelände von Fans verprügelt wurde, weil Fener ein Pokalspiel gegen einen Zweitligisten verlor. Und wie die gleichen Attentäter später im Fener-Flieger saßen, als es zu einem Auswärtsspiel ging.

Alles relativiert sich im Leben, wenn man zweimal dem Tod entkommt. Und so war es auch bei Rüstü, der längst seinen Frieden damit gefunden hat, dass der vielleicht größte Traum seines Lebens vielleicht nur so halb in Erfüllung ging.

"Ich habe mir immer gewünscht, für den FC Barcelona zu spielen", verrät Rüstü. Als er 2002 mit der Türkei ein spektakuläres WM-Turnier spielte und die Türkei auch dank ihm WM-Dritter wurde, standen ihm plötzlich alle Türen offen.

Arsene Wenger schickte seine Leute, damit er zum FC Arsenal kommt. Sir Alex Ferguson schickte seine Leute, damit er zu Manchester United kommt. Ferguson wurde später dann sogar persönlich vorstellig. "Er wollte das Torwart-Problem bei Manchester United lösen und bot viel Geld", erinnert sich Rüstü.

Rüstü: "Zusage an Laporta war ein Risko"

Aber die Wahl des Türken stand fest. Kein Arsenal, kein ManUnited. Ein damals noch recht junger Joan Laporta war auch in den Bann gezogen und machte Rüstü zum Versprechen beim FC Barcelona, falls er bei der Wahl 2003 gewinnen sollte. "Laporta war noch gar nicht gewählt, als ich zusagte. Das war ein Risiko, weil ich sonst überall absagte."

Laporta gewann und hielt sein Versprechen, doch er hatte eine Bitte an Rüstü: "Er wollte, dass ich meine langen Haare und meine Kriegsbemalung unter den Augen behalte." Laporta wollte nicht nur den Torwart, er wollte die ganze Geschichte mit allem, was dazu gehört.

Die langen Haare und die Bemalung machten ihn unique. Wobei gerade die Bemalung keine Idee war, exorbitant aufzufallen. Ganz im Gegenteil: "Ich bekam mal bei einem Spiel in Hong Kong wegen dem Rasen eine allergische Reaktion in den Augen. Von da ab war ich sehr empfindlich, was die Helligkeit betraf." Die schwarze Bemalung, die ihn tatsächlich wie einen Krieger aussehen ließen, half.

Als er einmal sein Farbwerkzeug zuhause vergaß, fragte er eine Dame auf der Tribüne, ob er sich ihre Schminksachen auszuleihen darf. Doch bewundern konnte man ihn in Barcelona dann nicht. Neu-Trainer Frank Rijkaard, der nach Rüstü kam, setzte lieber auf Victor Valdes. "Ich war ihm ein Dorn im Auge", sagt Rüstü heute und schiebt es auf die Sprachbarriere. Der Ex-Torhüter sprach weder Spanisch noch richtig Englisch.

Barca rief ständig an, als Rüstü an Covid erkrankte

Doch vielmehr als persönliche Animositäten stand Rüstü die Ausländerregel im Weg. Mehr als drei Nicht-EU-Ausländer durften im Spieltagskader nicht stehen. Bei Barca hatten damals Ronaldinho, Rafael Marquez und Javier Saviola ihren Kaderplatz so gut wie sicher. Für Rüstü blieb kein Platz.

Nur ein Jahr später kehrte er so zu Fenerbahce in die Türkei zurück, doch die Drähte nach Barcelona sind nie abgebrochen. Jedes Jahr erinnert der Klub bei Twitter an die Verpflichtung des ersten Türken bei Barca. Und als Rüstü wegen Covid arg gebeutelt war, gab es wiederholt Anrufe und Hilfsangebote. "Als ich um mein Leben kämpfte, habe ich die innige Unterstützung von Barca gespürt und bin dem Klub ewig dankbar", sagt Rüstü.

In diesen Tagen ist er wieder großes Thema in Barcelona. Barca empfängt im Achtelfinale der Europa League am Donnerstag (21 Uhr) auf den türkischen Rekordmeister Galatasaray. In der Türkei spielte er für Fenerbahce und Besiktas, aber nie für Galatasaray. Kurze Zeit vor Rüstüs Autounfall wollte ihn Galatasaray für die Nachwuchsabteilung verpflichten, doch Rüstü lehnte ab, weil er keinen Jugendfußball, sondern Herrenfußball wollte.

Eine goldrichtige Entscheidung, wie sich später herausstellte. Er machte große Karriere in der Türkei, wurde Nationalspieler, Volksheld, Torwart-Krieger. Dass er Barca nach nur einem Jahr verlassen hat, wurmt ihn heute noch: "Mit meiner Einstellung von heute wäre ich sicher geblieben. Ich habe zu früh aufgegeben." Vielmehr gibt es darüber auch nicht zu sagen. Dieser Rüstü Recber hat schon Schlimmeres erlebt.