Als Real Madrid und der FC Barcelona um den besten Spieler der Welt kämpften

Von Maximilian Schmeckel, Ignasi Oliva
Alfredo di Stefano im Trikot von Real Madrid.
© SPOX/Goal
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Der Plan des Santiago Bernabeu

Zeitgleich schmiedete Bernabeu einen ausgefeilten Plan, um den Ausnahmestürmer doch noch in die Hauptstadt zu lotsen. Davon, dass der Wunschspieler bereits bei Barcelona spielte, wusste er zwar, eine hinter fest verschlossenen Türen ausgearbeitete Strategie sollte das Blatt aber wenden. Gerade weil Barca die Königlichen 1950 bei Laszlo Kubala ausgestochen hatte, sollte es auf keinen Fall passieren, dass man die Verpflichtung des so lange gesuchten Schlüsselspielers erneut verpatzte.

Aus einer ebenfalls beim Verband angesiedelten Quelle erfuhr man, dass der Vertrag bei den Millonarios sehr wohl Gültigkeit besaß und diese erst am 31. Dezember 1954 erlöschen werden würde. Wer diese Information tatsächlich in die Welt setzte, ist bis heute ungeklärt. Es kursieren diverse Verschwörungstheorien. Sie alle aber enden mit einer Tatsache: Real war sich sicher, im Recht zu sein, die Millonarios spielten plötzlich eine Rolle im Kampf um Di Stefano.

Alfredo di Stefano wurde als echter Star gefeiert.
© imago images
Alfredo di Stefano wurde als echter Star gefeiert.

Novum in der Fußballgeschichte

1,5 Millionen Peseten flossen nach Bogota und fertig war ein absolutes Novum der Fußball-Geschichte: zwei Vereine hatten die Rechte an einem Spieler zur gleichen Zeit erworben, Barca von River Plate und Real von den Millonarios.

Während die Verantwortlichen sich gegenseitig die Schuld zuschoben, Bernabeu in der Hauptstadt vor Wut tobte, dass Barca ihm schon wieder in die Quere zu kommen drohte, landete der Fall beim spanischen Verband. Das aus heutiger Sicht lächerlich anmutende Urteil: Di Stefano sollte für beide spielen, 1953/54 und 1955/56 für Real, 1954/55 und 1956/57 für Barca.

Franco-Einfluss oder Barca-Überdruss?

Über die Geschehnisse nach dem Urteil gibt es diverse Geschichten, viele sicherlich aus dem Reich der Legenden. Einmischung Francos, Sabotage Bernabeus, Entscheidung Di Stefanos, Verrat in Reihen Barcas, Lügen in Südamerika - Theorien gibt es viele. Die Faktenlage ist jedoch dünn, Di Stefano schwieg bis zu seinem Tod wie viele andere Beteiligte beharrlich. Garcia Luque kommt in seinem Buch und nach jahrelangen Recherchen zum Schluss, dass die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt.

"Im entscheidenden Moment, als es um die Details des Deals ging, rief Francisco Franco General Moscardo zu sich", sagt er. "Der war damals so etwas wie der Sport-Minister, weil er großer Fußballfan war und auch die Nationalmannschaft trainierte. Man traf sich in Pazo de Meiras, wo Franco seine Sommerferien verbrachte, das gilt als bestätigt. Man wird nie wissen, inwiefern das überlieferte Treffen etwas mit dem Wechsel zu tun hatte, unwahrscheinlich ist das aber sicher nicht."

"Franco hat Real Madrid nur deshalb bevorzugt, weil der Klub ihm das richtige Werkzeug zu sein schien, um Spanien an der Sport-Front glänzen zu lassen", verweist Ignasi Oliva, Barcelona-Korrespondent für Goal, die Legende, Real sei aus ideologischer Sicht der Liebling des Diktators gewesen, ins Reich der Lügen. Vielmehr seien auch bei Barca viele Franco-Anhänger in verantwortlichen Positionen gewesen.

Daumen hoch also für Madrid wegen der besseren sportlichen Perspektive und keineswegs wegen des vermeintlich kommunistischen Klubs aus Katalonien. Franco habe, anders als der Militärgouverneur Moscardo, der im Spanischen Bürgerkrieg für Franco gekämpft hatte, keine grenzenlose Begeisterung für den Sport verspürt, sondern ihn vielmehr als Mittel zum Zweck gesehen, das zusätzlich eben auch unterhaltsam sei.

"Eine der größten Karrieren der Geschichte"

Eine andere Version: Di Stefano habe das Projekt Real wegen der besseren Spieler und Bernabeus Version, der beste Klub der Welt werden zu wollen, letztlich mehr überzeugt, und er sei entsprechend lustlos aufgetreten, weshalb man sich bei Barca entschied, auch wegen des Hickhacks, das jeden Sommer einen Wechsel Di Stefanos vorsah, Abstand von der Personalie zu nehmen. Auch hier gibt es kaum Zeugen und Quellen, die diese Version bestätigen - wie auch bei Gerüchten über Einflussnahme der argentinischen Regierung und Sabotage aus anderen leitenden Institutionen.

Fakt ist: Barca-Präsident Carreto trat nach dem Urteil des Verbands zurück. Noch im September des Jahres 1953 verzichtete der FC Barcelona auf das Recht, Di Stefano wenigstens zwei Spielzeiten in den eigenen Reihen zu haben, Real zahlte eine einmalige Entschädigung und Di Stefano wurde - endgültig - ein Madrilene. Am Ende flossen insgesamt 5,5 Millionen Peseten an Transfer-Volumen.

Das Perfide: Wie Garcia Luque bei seinen Recherchen herausfand, war die rechtliche Lage damals definitiv so, dass der Vertrag zwischen Real und den Millonarios keine Gültigkeit besaß, der zwischen Barca und River Plate aber sehr wohl, ein grober Fehler der Anwälte des spanischen Fußball-Verbands. "Eine der größten Karrieren der Geschichte hätte eigentlich im Trikot des Rivalen stattfinden müssen", so der Autor. "Das zeigt der Vertrag von Lima ganz klar."

Alfredo di Stefano im Spiel gegen den AC Milan.
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Alfredo di Stefano im Spiel gegen den AC Milan.

General des Weißen Balletts trotz ungültigen Vertrags

Der Rest ist Geschichte. Di Stefano wurde zum besten Spieler der Welt, gewann mit Real fünfmal in Folge den Europapokal der Landesmeister. Er brach haufenweise Rekorde und ist jahrelang "General" des Weißen Balletts mit Francisco Gento und später auch Ferenc Puskas, mit dem zusammen er eines der besten Duos aller Zeiten bildete. Im Jahr 2017 wählen ihn Real-Fans in einer Umfrage zum Größten aller Zeiten.

"Fußball ohne Tore ist wie ein Tag ohne Sonne", sagte er in der SZ, und die Sonne schien seine gesamte Karriere lang. Im weißen Trikot mit dem Real-Wappen und nicht im blau-roten mit dem des FC Barcelona tanzte er Tango.

"Jetzt gibt es viel mehr Reibung", sagte Di Stefano im SZ-Interview. "Früher war der Fußball romantischer." Dabei zeigt gerade sein Fall, dass die Verklärung und Romantisierung des Vergangenen ein Irrtum sind. Denn damals wie heute, ob bei Neymar Jr. oder bei Alfredo Di Stefano: Geld, Macht und Tricks im Verborgenen sind der Preis, den das Ziel aller, Erfolg zu haben, unweigerlich fordert.

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