Ex-Real-Präsident Calderon im Interview: "Lopeteguis Entlassung beschlossene Sache"

Ramon Calderon fungierte von 2006 bis 2009 als Real-Präsident.
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SPOX/Goal: Würden Sie Perez demnach als Hauptschuldigen für die aktuelle Situation ausmachen?

Calderon: Er ist nun einmal der einzige Mann, der die sportlichen Belange des Klubs verantwortet. Real Madrid hat keinen Sportdirektor. Herr Perez muss niemanden fragen, wenn er eine Entscheidung trifft, wenn er wie aktuell ein infrastrukturelles Projekt über den Sport stellt. Manchmal läuft es gut, die Mannschaft gewinnt die Champions League und alle sind glücklich. Oder aber es läuft so wie aktuell. Dann ist der Präsident der erste, der sich Kritik gefallen lassen muss. Und diese Kritik geht automatisch auf den Trainer über.

SPOX/Goal: Sie sprechen den Trainer an. Ist Julen Lopetegui noch zu halten, wenn Real den Clasico verliert?

Calderon: Ehrlich gesagt bin ich mir sicher, dass Julens Entlassung unabhängig von dem Clasico bereits beschlossene Sache ist. Leider. Ich kenne ihn sehr gut. Zu meiner Zeit als Präsident arbeitete er erst als Koordinator der Scoutingabteilung und später als Trainer der zweiten Mannschaft. Er ist ein sehr fähiger Trainer, ein wahrer Fußball-Fachmann, aber auch ein sehr sympathischer Mensch. Es wäre nicht richtig, ihn schon nach drei Monaten zu entlassen. Er muss einen Umbruch managen. Ohne Cristiano, nach einer WM. Das ist eine brutale Aufgabe, die Zeit erfordert. Man sollte unter derartigen Umständen jedem Trainer mindestens eine Saison lang Zeit lassen.

SPOX/Goal: Wer käme denn als Nachfolger für Lopetegui infrage?

Calderon: Ich denke nicht, dass sich jemand innerhalb von drei Tagen finden wird. Deshalb wird es auch nach dem Clasico sicherlich noch etwas Zeit in Anspruch nehmen, bis Julen entlassen wird. Zidanes Abgang war kein Zufall. Ebenso wenig wie die Absagen von fünf weiteren Elite-Trainern, die der Präsident vor Julen anrief. Niemand möchte so viel Macht an einen Bauingenieur abgeben. Es gibt nur einen Trainer, den der Präsident wirklich respektiert und das ist Jose Mourinho. Er war und wäre der einzige, der sich durchsetzen kann.

SPOX/Goal: Halten Sie eine Rückkehr von Mourinho zu Real für möglich?

Calderon: Ja, mit diesem Präsidenten auf jeden Fall. Ich bin mir sogar ohne jeden Zweifel sicher, dass Mourinho zurückkehren wird. Ob jetzt oder nächsten Sommer. Das kommt natürlich auch darauf an, wie es mit Mourinho und Manchester United weitergeht.

SPOX/Goal: Muss Real im Winter auf dem Transfermarkt tätig werden?

Calderon: Es ist immer schwierig, mitten in der Saison einen Spieler zu finden, der einer Mannschaft wie Real Madrid sofort weiterhilft. Es wird über Zlatan Ibrahimovic gesprochen, aber ich weiß nicht, ob er tatsächlich verfügbar wäre. Es gibt wenige Alternativen.

SPOX/Goal: In Deutschland wurde in den vergangenen Jahren oft über einen möglichen Wechsel von Bayern-Stürmer Robert Lewandowski zu Real gesprochen. Hätten Sie ihn gerne im weißen Trikot gesehen?

Calderon: Oh ja! Es war ein riesiger Fehler, ihn nicht zu verpflichten. Lewandowski hat seine Klasse über Jahre hinweg bewiesen. Jetzt ist ein Transfer aber zu spät. Bayern will ihn nicht abgeben. Und ich denke auch nicht, dass der Spieler noch Interesse an einem Wechsel hat.

SPOX/Goal: Kann Real auch ohne einen Torjäger den Clasico gewinnen?

Calderon: Natürlich. Barcelona mag den Vorteil besitzen, zu Hause zu spielen, ist aber auch nicht gut in Form und muss auf Messi verzichten. Es ist für kein Orchester diese Welt einfach, ohne seinen Dirigent aufzutreten. Ihre Defensive ist in dieser Saison sehr anfällig. Ohne die Paraden Ihres deutschen Torwarts (Marc-Andre ter Stegen; Anm. d. Red.) hätten Sie auch mehr Punkte abgegeben. Madrid muss sich nicht verstecken.

SPOX/Goal: Noch einmal zu Ihnen: Vermissen Sie es eigentlich, Präsident von Real Madrid zu sein?

Calderon: Nein. Es erfordert auch aus mentaler Sicht viel, ein Teil dieses Klubs zu sein. Der Druck ist immens. Ich litt damals als Präsident sehr. Wenn die Mannschaft gewann und die Leute zufrieden nach Hause gingen, verspürte ich eine riesige Erleichterung. Wenn sie nur drei oder vier Tage später verlor, war plötzlich alles schlecht. Ich wurde von allen Seiten kritisiert, bekam Nachrichten, ich solle doch neue Spieler kaufen oder den Trainer rauswerfen. Es war auf der einen Seite immer schön und spannend, auf der anderen aber auch nervenaufreibend, dort oben auf der Tribüne Platz zu nehmen. Deshalb bin ich auch der Meinung, dass ein Präsident nur eine Amtszeit, vier Jahre lang, bleiben sollte.

SPOX/Goal: Würden Sie sich also nicht mehr zur Wahl stellen, wenn Sie die Möglichkeit dazu hätten?

Calderon: Das ist keine Option. Erstens bin ich zu alt (lacht). Zweitens verbringe ich lieber mehr Zeit mit meiner Familie. Wenn ich mir Spiele anschaue, dann lieber vor dem Fernseher. Und wenn mir nicht gefällt, was ich sehe, schalte ich einfach um oder verlasse mein Haus für einen Spaziergang. Man darf auch nicht vergessen: Es handelt sich um eine ehrenamtliche Tätigkeit. Als ich Präsident war, hatte ich zeitliche Probleme, mich um meine Rechtsanwaltskanzlei zu kümmern.

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