Alles eine Frage der PR

Zinedine Zidane ist seit dem 5. Januar Cheftrainer bei Real Madrid
© getty

Zinedine Zidane hat Rafa Benitez bei Real Madrid schnell vergessen gemacht. Die nationale Presse feiert den "neuen" Fußball unter der Klublegende, der Verein sieht sich gewappnet für die heiße Phase der Saison. Doch wie innovativ ist Zizou wirklich? Offenbar gar nicht so sehr, wie man vorgibt.

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Fünf Siege aus sechs Spielen, dazu ein Unentschieden: Reals Bilanz unter Zidane lässt sich gut an. Während die Marca schon das erste positive Fazit zieht ("die einzig richtige Entscheidung"), denkt kaum einer mehr an den geschassten Ex-Coach Benitez.

Nach dem jüngsten 4:2-Erfolg über Bilbao klopfte man sich in Madrid wieder gegenseitig auf die Schultern, vor allem auf die Spielentscheider stimmte man Lobeshymnen an: "Ich finde, Cristiano war 'de puta madre'", sagte Zidane etwa. Der Ausdruck bedeutet wörtlich übersetzt: "wie von einer Hurenmutter", wird im Spanischen aber im Sinne von "einfach geil" verwendet.

Auch Toni Kroos, der für den Trainer "perfekt für Real Madrid" sei, oder Luka Modric wurde viel Honig um den Mund geschmiert. Das gesamte Kollektiv dagegen thematisierte kaum einer. Dabei gibt nur dieses Aufschluss darüber, wie es derzeit wirklich um das königliche Spiel bestellt ist.

Vorne alles wie immer: sehr CR7-bedacht

Während sich die Offensivspieler in einigen Mannschaften sehr strikt nach bestimmten Vorgaben bewegen sollen, ist es bei Real seit jeher Tradition, dass den Angreifern in ihren Bewegungsabläufen große Freiheiten und Interpretationsmöglichkeiten gelassen werden - schließlich sind es jene Einzelspieler, die durch ihre individuellen Fähigkeiten für die Begeisterung des Publikums sorgen.

Meistens ist es so, dass die Flügelstürmer - allen voran Cristiano Ronaldo - immer wieder in der Mitte, auf der anderen Seite oder in tieferen Zonen auftauchen können. Sie sollen ihre Kreativität ausleben, gerne häufig den Flügel tauschen oder eine Seite auch mal gemeinsam überladen.

Der Einzige, der in seinen Handlungen dahingehend öfter mal gebunden ist, ist Karim Benzema. Wenngleich er als klassischer Mittelstürmer hauptsächlich im und um den Strafraum herum für Gefahr sorgen soll, ist er zusätzlich mit der Aufgabe bedacht, im Zentrum immer wieder den Raum für seine Wingmen Ronaldo und Gareth Bale freizuräumen.

Vor allem für CR7, der immer wieder in zentrale Lücken stößt und dort den Abschluss sucht, ist das wichtig. Benzema sorgt für die Balance. Er kompensiert die Positions-Untreue des eitlen Portugiesen.

Anfälligkeit in der Rückwärtsbewegung

Zidane versucht dieses offensive Chaos zwar dahingehend zu ordnen, dass Ronaldo und Bale häufiger sehr breit stehen sollen und den Weg in die Mitte erst dann machen, wenn die Außenbahn durch das Aufrücken der Hinterleute doppelt besetzt und damit abgesichert ist, ein wirkliches Umkrempeln hat aber nicht stattgefunden - auch nicht in der Rückwärtsbewegung.

Dabei hatte Zizou bei seinem Amtsantritt angekündigt, Bale und Ronaldo aktiver in die Defensivarbeit einbinden zu wollen. Wirkliche Fortschritte sind dahingehend aber noch nicht zu erkennen. Und genau das macht die Königlichen im Umschalten nach hinten immer noch so anfällig.

Denn Zidanes Idee, dass seine Außenverteidiger Marcelo und Carvajal aggressiv herausrücken, um insgesamt höher zu pressen, ging ein ums andere Mal nicht auf, da CR7 und Bale am Spiel gegen den Ball nicht teilnahmen und damit Lücken in Reals Ketten entstanden. So konnten die Gegner das Mittelfeld wie schon unter Benitez häufig mit einfachen Doppelpässen überspielen und zu gefährlichen Kontersituationen kommen.

Taktisch unflexibel

Personell und taktisch probierte sich Zidane bislang wenig bis gar nicht aus. In der Defensive wechseln sich nur Pepe und Varane in Sachen Einsätze ab, das Mittelfeld um Kroos, Modric und Isco ist ohnehin in Stein gemeißelt. Und in der offensiven Dreierreihe erhielt James Rodriguez seine Chance nur aufgrund von Bales Verletzung.

Taktische Variabilität und Flexibilität kann sich Real derzeit keinesfalls auf die Fahne schreiben, dazu hat sich das gesamte Spielsystem in den vergangenen Jahren viel zu sehr von einzelnen Persönlichkeiten leiten lassen. Gerade in der heimischen Liga stellt das zumeist kein großes Problem dar. Viele Mannschaften der Primera Division sind einerseits individuell, andererseits taktisch viel zu schwach aufgestellt, als dass sie dem technisch überragenden Real gefährlich werden könnten.

Marschiert ein Team dann aber doch mit einem kompakten System auf oder verfällt in der Offensive nicht in übergroße Hektik ob des großen Namens Real Madrid, fehlt es Zidanes Elf oftmals an Lösungen - mit und gegen den Ball. Das war nicht nur beim 1:1 bei Betis der Fall, sondern zuletzt auch beim 2:1 in Granada und auch beim 4:2 über Bilbao.

Im Mittelfeld und Angriff wollen alle Real-Spieler den Ball, die meisten definieren ihr Spiel über Kontakte, was häufig zu einer großen Anhäufung von Real-Spielern in Ballnähe führt. In anderen Zonen entstehen dadurch aber große Leerräume. Immer wieder wird das Tempo dadurch unnötig verschleppt, denn es fehlen die Kombinations- und Verlagerungsmöglichkeiten.

Wichtigkeit des Mittelfeld-Dreiecks

Verrückbar scheint einzig das Mittelfeld-Dreieck, dem genau deshalb eine besonders große Rolle im Spiel der Madrilenen zukommt. Zidane entwickelte das Zentrum zuletzt wieder mehr in den Stil zurück, den vor Benitez Carlo Ancelotti etabliert hatte.

Im System des Franzosen agiert Modric wieder weiter hinten, sodass er auf einer Höhe mit Kroos spielt. Isco dagegen nimmt mehr den Part des umtriebigen Zehners ein, der für Ronaldo aber sehr häufig auf die linke Seite rückt. Das entzerrt das Zentrum und gibt den Ballverteilern Kroos und Modric mehr Anspielmöglichkeiten.

Zidane will das Real-Spiel wieder mehr vom deutsch-kroatischen Duo diktieren lassen. Gerade in der Offensive zahlt sich das schon stellenweise aus. Doch die Probleme in der Defensiv-Staffelung behebt das noch nicht.

Alles eine Frage der PR

"Ich sehe Ansätze von Ancelotti in Zidane", sagte Ronaldo zuletzt aus. Doch auch er konnte nicht behaupten, dass Zizou das Spiel der Königlichen seit dem Trainerwechsel grundlegend verändert, geschweige denn verbessert habe: "Es ist mehr seine Ausstrahlung, die auf das Team wirkt. Zidane hat einen anderen Spirit ins Team gebracht. Wir identifizieren uns mehr mit seinem Charakter", sagte der dreifache Weltfußballer des Jahres.

Damit bestätigt Ronaldo die Wahrnehmung, die auch der objektive Betrachter vom Real-Spiel unter Zidane hat: Rein sportlich hat sich im ersten Monat wenig verändert. Inwiefern das Team zum Saisonende hin auch gegen größere Teams in der Champions League stabil wirkt, muss sich also noch zeigen.

Aktuell ist es vielmehr die Sympathie mit dem neuen Coach, die die Los Blancos nach außen hin so positiv und runderneuert erscheinen lässt.

In diesem Punkt wird auch die Rolle der Klubführung ersichtlich: Während das fehlende interne Rückgrat für Benitez dazu führte, dass es auch außerhalb des Bernabeus schnell Diskussionen um den Spanier gab, scheint die Euphorie um Zidane in großen Teilen auch auf der klubeigenen Begeisterung für die Vereinslegende zu beruhen. Man weiß, wie man sich in Sachen Zizou positionieren muss. Alles eine Frage der PR eben.

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