Riese auf Orientierungssuche

Von Andreas Lehner
Die Kolumbus-Statue in Barcelona mit einem Barca-Trikot
© getty

Die Attacke von Pep Guardiola auf seinen Ex-Klub ließ aufhorchen. Beim FC Barcelona läuft zurzeit einiges nicht nach Plan. Die Katalanen sind dabei, den Umbruch in der Mannschaft zu verschlafen.

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Ein glückliches Händchen hat der FC Bayern in der Ansetzung seiner Freundschaftsspiele nicht. 2010 kam Real Madrid zum Franz-Beckenbauer-Cup in in die Allianz Arena. Als neuen Trainer hatten die Königlichen Jose Mourinho im Schlepptau. Ein in München leidlich gern gesehener Mann, der den Münchnern rund drei Monate zuvor in Madrid den Champions-League-Triumph vermasselte.

Nach der erneuten Niederlage im Endspiel der Königsklasse 2012 im Drama dahoam, als Arjen Robben zum Buhmann wurde, stand ein Entschädigungsspiel gegen die niederländische Nationalmannschaft auf dem Programm. Robben wurde von Teilen der Bayern-Fans ausgepfiffen.

Am Mittwoch schlägt der FC Barcelona in der Arena zum Uli-Hoeneß-Cup auf. Der Vergleich mit der vermeintlich besten Mannschaft des Planeten war ein Geschenk zum 60. Geburtstag des Präsidenten. Die Stimmung zwischen beiden Klubs war aber schon mal besser.

Frontalangriff auf Katalanisch

"Non ti preoccupare", sagte Pep Guardiola währen des Trainingslagers des FC Bayern im Trentino auf die Nachfrage eines italienischen Journalisten. Kein Grund zur Sorge, er habe gerade über den FC Barcelona gesprochen, das müsse die deutschen und italienischen Reporter nicht interessieren.

Dass Guardiolas minutenlanger Monolog auf Katalanisch ein Frontalangriff auf die Führungsriege Barcas war, sprach sich aber trotz anfänglicher Verständigungsprobleme schnell herum. Dass er im weiteren Verlauf der Pressekonferenz sein Interesse an Thiago öffentlich machte, war eine weitere Spitze gegen seinen Ex-Klub.

Rosell versöhnlich, Tito aggressiv

Und so ist der Auftritt Barcas in München kein normales Freundschaftsspiel mehr. Guardiola hat eine Fehde mit mehreren Flanken eröffnet. Da ist zum einen das seit jeher angespannte Verhältnis zu Präsident Sandro Rosell, der entgegen seiner Gewohnheiten zum Test nach München reisen wird, und zum anderen die heftige Retourkutsche seines ehemaligen Assistenten Tito Vilanova.

Wie bei einem Gerichtsverfahren steht Aussage gegen Aussage, eine endgültige Wahrheit dürfte es in diesem Fall auch nicht geben. Vielmehr scheint die Interpretation der Fakten jedem Einzelnen überlassen zu sein.

Guardiola sah die Kontaktaufnahme des Vereins als unverschämten Eingriff in seine Auszeit und als unfair gegenüber dem erkrankten Vilanova. Sein Treffen mit Vilanova in New York hielt er für angemessen. Der Verein reagierte in Person von Rosell versöhnlich ("Wir sind alle Guardiola-Fans", "Ich würde für Guardiola als Präsident stimmen"), Tito fühlte sich dagegen im Stich gelassen, weil Pep sich nicht öfter meldete und keifte öffentlich zurück.

Krieg mit dem Heiligen

Es sind heikle Themen, die Guardiola und den FC Barcelona bewegen, aber durch die neue Konstellation auch auf den FC Bayern abfärben. Die spanische Presse sprach sogar von einem Krieg, den Guardiola gegen Barca eröffnet habe.

Guardiola, der Heilige des Barcelonismus, spürt in seiner Heimat Gegenwind. Nicht zum ersten Mal in seiner Karriere muss er erfahren, dass die Institution FC Barcelona größer und mächtiger ist als der Einzelne.

Als Spieler fühlte er sich vom Klub allein gelassen, weil sich keiner aus der Führungsspitze gegen die Gerüchte stellte, Guardiola sei homosexuell. Er zog schließlich seine Konsequenzen und verließ den Verein Richtung Italien.

Probleme im riesigen Apparat

Der FC Barcelona beansprucht für sich, mehr als ein Klub zu sein. "Mes que un club", so lautet das Motto. Barca ist ein Politikum und ein riesiger Apparat. Im Hintergrund können viele Dinge geschehen, die dem Sport nicht immer dienlich sind.

Man muss sich mit Seilschaften und Strömungen auseinandersetzen, immer aufmerksam sein. Guardiola war am Ende seines Barcelona-Engagements auch davon zermürbt und ausgelaugt.

Als Vilanova Cheftrainer wurde, kam frisches Blut in den Kreislauf. Obwohl er Guardiolas Assistent war, konnte er unbelastet an die Sache herangehen. Und anders als Guardiola war er Rosells Trainer, Pep wurde von Vorgänger Joan Laporta installiert.

Titos Fehlen zeigt Wirkung

Die Veränderung wirkte. Barca brillierte in der Vorrunde unter Vilanova und stellte eine neue Hinrunden-Bestmarke auf. Auch in der Champions League lief bis auf einen Ausrutscher bei Celtic Glasgow alles nach Plan.

Doch es kam der Rückfall Vilanovas und seine monatelange Absenz. Entgegen der Annahme, die beste Mannschaft der Welt bräuchte eigentlich gar keinen Trainer, zeigte Barcas Leistungskurve nach unten.

Die Interimslösung mit Jordi Roura war sympathisch, aber nicht effektiv. Es wäre also keine Überraschung, falls sich Barca beim ehemaligen Trainer Guardiola kurzfristige Hilfe erbeten hätte.

Doch Guardiola wollte seine Ruhe. Auch das vehemente Dementi der Bayern, vor dem Halbfinale gegen Barca in Kontakt mit Guardiola zu treten, steht unter diesem Aspekt in einem neuen Licht.

Fehler bei Messi und Thiago

Barca wirkte in der Phase ohne Vilanova und auch in den ersten Wochen nach seiner Rückkehr kopflos. Da waren die zweifelhaften Entscheidungen über die Einsätze von Lionel Messi trotz seiner Oberschenkelverletzung. Ja im Hinspiel bei den Bayern, Ja beim Ligaspiel in Bilbao, Nein im Rückspiel gegen Bayern, Ja im Ligaspiel gegen Betis.

Nebenbei wurde verschlafen, Thiago die nötige Zahl von Spielminuten zu gewähren, damit die Ausstiegsklausel nicht vorrübergehend von 90 auf 20 Millionen Euro fällt. Der Neu-Bayer hätte mindestens 60 Prozent der Spiele über 30 Minuten auf dem Platz stehen müssen.

Vilanova wusste darüber angeblich nicht Bescheid. "Zu keinem Zeitpunkt werde ich dem Trainer sagen, ob er einen Spieler aufstellen muss oder nicht", sagte Sportdirektor Andoni Zubizaretta.

Am Ende fehlten sieben Spiele über diese Distanz. Dabei kam Thiago in zwölf von 27 Ligaspielen von der Bank, aber nur einmal durfte er mehr als 30 Minuten spielen - am letzten Spieltag gegen Malaga. Da war es schon zu spät.

Kein Thiago, kein Isco, kein Illarramendi

Es sind Hinweise, dass Vilanova und Zubizaretta den Fokus auf zentrale Punkte ihrer Arbeit verloren hatten. Ein weiteres Indiz ist das Verhalten der Katalanen auf dem Transfermarkt.

Zweifelsohne hat Barca nach wie vor eine der besten Mittelfeldreihen der Welt. Sergio Busquets, Andres Iniesta und Xavi sind der Maßstab im internationalen Fußball. Doch was kommt danach? Xavi steht mit 33 Jahren am Ende seiner Karriere, sein seit Jahren gepriesener Nachfolger folgte Guardiola nach München. "Thiago geht und Sergi Roberto ersetzt ihn", sagt Zubizaretta. "Das ist die Antwort des Klubs."

Iniesta ist zwar erst 29, braucht aber auch immer öfter Pausen während der langen Saison. Sein legitimer Erbe Isco durfte sich ohne große Avancen von Barca Real Madrid anschließen. Ebenso das größte Sechser-Talent des Landes Asier Illarramendi. Vergangenes Jahr hatte Barca schon das Tauziehen um Javi Martinez verloren.

Weiterhin fehlt ein adäquater Ersatz für den verletzungsanfälligen Abwehrchef und Kapitän Carles Puyol. Die Wunschspieler Thiago Silva (PSG) und David Luiz (Chelsea) haben von ihren Scheich- bzw. Oligarchenklubs ein Wechselverbot erhalten.

Geht der Zyklus zu Ende?

Einzig mit der kostspieligen Verpflichtung von Superstar Neymar hat Barca eine Durftmarke auf dem Markt gesetzt. Allerdings in einem Mannschaftsteil, der auch vorher schon ausgezeichnet besetzt war und von Weltfußballer Lionel Messi dominiert wird.

Auch wenn beide Spieler und die Verantwortlichen beteuern, dass es im Zusammenspiel keinerlei Probleme geben werde, bleibt die Frage, ob beide Stars ihre Eitelkeiten zum Wohle der Mannschaft zurückstellen können und wollen.

Barca muss sich in dieser Saison einmal mehr neu erfinden. Die Jahre an der Spitze des Weltfußballs haben müde gemacht. Der ganze Klub wirkt schwerfälliger und nicht mehr ganz so inspiriert wie in der Vergangenheit.

Gerade jetzt, nachdem Vilanova sein Amt krankheitsbedingt niederlegen musste und Gerardo Martino wohl sein Nachfolger wird, können die Katalanen von Null starten. Tata, wie Martino genannt wird, ist seit 2008 der erste Trainer, der nicht aus dem Verein kommt. Vielleicht ist es genau der richtige Zeitpunkt.

Der Fußball verläuft immer in Zyklen. Barca kennt diese Bewegungen nur zu gut. Nach der Ära des Dream Teams in den 90er Jahren folgte eine Phase der Depression. Guardiola war Teil dieses Prozesses.

Der Kader des FC Barcelona