"Mein Tor ist jetzt Teil der Geschichte"

Von Interview: Nike
Andres Iniesta erzielte im WM-Finale gegen die Niederlande das entscheidende Tor für Spanien
© Getty

Andres Iniesta gilt als einer der besten Fußballspieler der Welt und ist ein Urgestein beim FC Barcelona. Im Interview, das Iniestas Ausrüster Nike SPOX exklusiv zur Verfügung gestellt hat, spricht der spanische Nationalspieler über das Gefühl, Siegtorschütze in einem WM-Finale zu sein, seine Nominierung bei der Wahl zum Fußballer des Jahres und erklärt, warum Pep Guardiola genau der richtige Mann für Barca ist.

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Frage: Andres Iniesta, 2010 wird für Sie immer das Jahr bleiben, in dem Sie die Weltmeisterschaft gewonnen haben. Dabei wären Sie wegen einer Verletzung fast nicht dabei gewesen.

Andres Iniesta: Das war wohl mit die schwerste Zeit in meiner Karriere. Es war sehr schwer, damit umzugehen: Zu wissen, bald kommt die WM und die Uhr tickt... Ich hatte Glück, dass die Verletzung nicht so schlimm war, wie wir zunächst dachten. So habe ich es rechtzeitig zur WM geschafft, obwohl ich wirklich Angst hatte, ich könnte sie verpassen.

Frage: War die Gefahr wirklich groß, die WM zu verpassen?

Iniesta: Absolut. Als ich mir die Verletzung zuzog, hieß es: Es dauert acht Wochen. Und es waren nur noch zwei Monate und ein paar Tage bis zur WM. Mein einziges Ziel war, in bestmöglicher Form in Südafrika anzukommen. Ich wusste, dass es nicht meine Bestform sein wird, aber ich wollte so fit wie nur menschenmöglich sein. Ich habe mit Trainer Vicente Del Bosque gesprochen, habe mit Fernando Hierro, dem Sportdirektor des Verbandes, gesprochen und mit vielen anderen. Alle wussten, wie es um mich steht, und ihre Unterstützung war sehr wichtig für mich. Sie hatten den festen Glauben, dass ich es rechtzeitig schaffen werde.

Frage: Wie lautete deren Message?

Iniesta: Wir warten auf Dich, werde fit, komm' zurück - wir glauben an Dich.

Frage: Sie schafften es rechtzeitig - und dann kam gleich die Niederlage gegen die Schweiz.

Iniesta: Das war nicht zu erwarten. Niemand hätte das für möglich gehalten. Man will eine WM unbedingt mit einem Sieg starten. Die Erwartungen waren so hoch - das war wie ein Schock. Wenn man das erste WM-Spiel verliert, wird alles schwerer: Man darf sich keine leichten Fehler mehr erlauben, man muss jedes weitere Spiel gewinnen, man hat viel mehr Verantwortung. Aber Gott sei Dank ist alles bestmöglich weitergelaufen.

Frage: Aber der Druck muss immens gewesen sein.

Iniesta: Ich würde es nicht 'Druck' nennen, aber wir wussten fortan, dass wir uns nicht mal mehr ein Remis erlauben dürfen. Wenn man das erste Spiel gewinnt, kühlt alles ein bisschen runter. Man kann das zweite Spiel relaxter angehen. Bei uns war das Gegenteil der Fall, wir hatten keinen Spielraum mehr für Fehler. Aber wir haben gut darauf reagiert.

Frage: Wann war Ihnen erstmals bewusst: Wir können das Ding gewinnen?

Iniesta: Da gab es einige Momente. Wir waren immer am Rande des Abgrunds, haben aber alle Hürden gemeistert. Gegen Chile zum Beispiel, wo wir auf Teufel komm' raus gewinnen mussten. Im Rückblick gab es bestimmt einige Knackpunkte, aber im Spiel selbst fühlte es sich nie so an. Jeder hatte stets dasselbe im Kopf: 'Ja, der Weg ist steinig, aber wir können es schaffen...'

Frage: Erzählen Sie uns von Ihrem Tor.

Iniesta: Kann ich nicht. Es ist unmöglich, so etwas in Worte zu fassen. Es ist... einfach nur einzigartig. Man erlebt diesen Moment, kann aber nicht artikulieren, was man fühlt und was man durchlebt. Es wäre sinnlos, im Nachhinein zu erklären, wie es sich anfühlt. Es hätte nicht ansatzweise Ähnlichkeit mit dem, wie es sich tatsächlich anfühlt. So viele Gedanken. So viele Emotionen. Einfach unglaublich. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass mir so etwas mal passiert.

Frage: Als der Ball zu Ihnen kam - was dachten Sie da?

Iniesta: Ich dachte mir: Jetzt musst du treffen! Ich wusste gleich, wo ich ihn hin haben wollte - mehr oder weniger. Ich hatte freie Sicht. Du weißt, was vor dir liegt, dein Kopf ist ganz klar. Du bist voll konzentriert darauf, wie du dich bewegst, wo das Tor steht... und nichts anderes. Ich war ganz ruhig und wartete darauf, dass der Ball ein letztes Mal vor mir aufspringt...

Frage: Und nun sind Sie der Held von ganz Spanien. Sogar in Madrid...

Iniesta: Das ist wirklich ein unglaublich wahrhaftiges und einzigartiges Gefühl. Dass uns die Menschen diese Art der Zuneigung zeigen, ist fast noch wichtiger als all die Titel. Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, warum es so ist... aber ich fühle es. Es ist wichtig, dass die Leute das, was du tust, was du bist und für was du stehst, deinen Charakter und dich als Person, wertschätzen. Ich mache nur meinen Job, ich spiele Fußball. Wenn die Leute dich dafür mögen - umso besser. Das macht mich stolz.

Frage: Ist das wirklich wichtig für Sie? Es gibt bestimmt viele, die sagen würden: Ich will lieber alles gewinnen, auch wenn mich die Menschen dafür hassen.

Iniesta: Es ist mir wichtig, sogar sehr. Wir sind nicht nur Fußballer, sondern auch Menschen. Die ganze Welt sieht uns zu und wir sind der Spiegel, in den viele Kinder sehen. Was wir tun, beeinflusst deren Leben und das ist sehr, sehr wichtig für sie und für uns. Es ist wichtig für die Gesellschaft, weil wir den Kindern ein Vorbild sind.

Frage: Aber es macht die Sache auch schwieriger, oder? Was, wenn Sie irgendwann mal auf dem Platz in der Hitze des Gefechts Ihren Kopf verlieren?

Iniesta: Das eine schließt ja das andere nicht unbedingt aus. Ein Fehler auf dem Platz macht einen ja nicht gleich zu einem bösen Menschen. Ich fühle mich deswegen nicht unter Druck gesetzt. So bin ich nun mal. Es gibt viele Situationen, in denen du dich vielleicht falsch verhältst, eine Grenze überschreitest oder etwas tust, was anderen nicht gefällt - aber so geht es allen Menschen, in vielen Lebenslagen.

Frage: Ist Ihnen eigentlich klar, dass Sie mit Ihrem Tor im WM-Finale in die Geschichte eingegangen sind und Leute auch noch in Jahrzehnten davon sprechen werden?

Iniesta: Klar werden die Leute davon sprechen. Das Tor ist nun Teil der Geschichte, ein Stück einer Legende. Es ist irgendwie ein komisches Gefühl, fühlt sich auf der anderen Seite aber sehr gut an, zu wissen, dass Spanien jetzt für immer unter den Mannschaften sein wird, die Weltmeister geworden sind.

Frage: Können Sie sich vorstellen als 85-Jähriger in eine Bar zu gehen und zu sagen: 'Damals habe ich die WM gewonnen, wisst Ihr?'

Iniesta: (lacht) Klar, warum nicht? Dieser Titel bleibt für immer. Es wird mir viel Spaß machen, davon zu erzählen - und die Leute werden mich oft daran erinnern. Nicht nur daran, dass wir gewonnen haben, sondern auch welche Leistung dahinter steckte. Vielleicht brauchen wir alle noch eine ganze Weile, bis wir begreifen, wie schwer es war, den Titel zu holen.

Frage: Wie sehen Sie es - haben Sie es verdient, dieses Jahr mit Xavi und Lionel Messi unter den besten drei Fußballern dieses Planeten zu sein?

Iniesta: Ich bin nicht die richtige Person, die das beurteilen sollte. Das ist der Job von jemand anderen, die müssen das entscheiden. Aber ich bin natürlich sehr stolz darauf, dass wir drei auf dieser Liste oben stehen - weil wir alle Barcelona-Spieler sind. Diese Auszeichnung ist für den ganzen Verein.

Frage: Fehlte jemand in den Top Drei?

Iniesta: Sicher, es hätten ohne Zweifel auch viele andere schaffen können. Es haben bestimmt viele Leute auf die Nominierung gesehen und sich gefragt, warum der eine oder andere Name nicht auftaucht. Es gibt noch viele weitere großartige Spieler wie Wesley Sneijder, David Villa, Iker Casillas... und viele andere auch.

Frage: Was hätte Ihnen ein Sieg bei der Weltfußballerwahl bedeutet?

Iniesta: Wissen Sie, alleine unter den besten Drei zu sein, ist einfach nur wundervoll. Das alleine ist schon eine riesige Auszeichnung für mich. Leo und Xavi sind Teamkollegen und meine Freunde. Wir haben vorher schon ausgemacht, dass wir gemeinsam feiern werden, egal wer gewinnt.

Frage: Sie alle stammen aus der Barca-Jugendabteilung. Ist diese Wahl eine besondere Auszeichnung für die Philosophie des FC Barcelona?

Iniesta: Ja, ich glaube schon. Der 10. Januar 2011 wird für immer ein unvergesslicher Tag für Barcelona sein. Es ist wundervoll für La Masia - unbezahlbar. Ich bin in La Masia groß geworden, habe dort gelebt. Dieses System hat mich zu dem gemacht, was ich bin - nicht nur als Fußballer, auch als Mensch.

Frage: Ist das aktuelle Team das beste Barca aller Zeiten?

Iniesta: Das wird man erst in einigen Jahren beurteilen können. Ich hoffe, dass unsere Zeit noch nicht vorbei ist und dass wir noch ein paar Titel holen können. Aber eins ist sicher: Wir spielen sehr, sehr gut.

Frage: Was unterscheidet den Barca-Style von den anderen Teams? Ist das eine ganz andere Art, Fußball zu spielen? Haben Sie das Spiel verändert?

Iniesta: Nein. Wir spielen so, wie wir immer spielen wollten. Der Unterschied ist nur, dass wir nun, wo wir damit Titel gewinnen, Respekt und Prestige ernten. Barcelona hatte sich schon immer dieser Spielweise verschrieben. Es wird nur jetzt erst gewürdigt.

Frage: Wie wichtig ist Pep Guardiola bei alldem?

Iniesta: Er ist der Schlüssel. Er kam genau, als wir ihn brauchten und er ist der Grund dafür, dass wir so viele Titel erreicht haben. Er ist elementar für uns. Er ging einst selbst durch La Masia, er kennt uns, er versteht uns.

Frage: Ist von Ihnen persönlich noch mehr zu erwarten?

Iniesta: Na klar, viel mehr. Ich bin sehr fokussiert. Ich will mich weiter verbessern und auf den Titeln, die ich erreicht habe, aufbauen. Ich will weiter gewinnen, immer weiter.

Andres Iniesta im Steckbrief