"Sollte man nicht persönlich nehmen"

Von Florian Schimak und Daniel Reimann
Unvergessen: Zinedine Zidane (l.) verpasst Marco Materazzi bei der WM 2006 eine Kopfnuss
© getty

Er war Provokateur und Inbegriff des Aggressive Leader: Marco Materazzi polarisierte stets. SPOX traf ihn im Rahmen der Vorstellung des neuen Nike-Schuhs "Tiempo 94". Der ehemalige Inter-Verteidiger spricht im Interview über seinen besonderen Charakter, die innige Beziehung zu Jose Mourinho und das Problem mit der italienischen Mentalität.

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SPOX: Herr Materazzi, wenn man auf Ihre Fußballerkarriere zurückblickt, erweckt es den Eindruck, dass Sie erst spät zu einem Top-Team gewechselt sind und Ihre größten Erfolge erst zum Ende hin feierten. Weshalb war das so? War Ihr Spielertyp zu Beginn nicht gefragt?

Marco Materazzi: Bevor ich 22, 23 Jahre alt war, war ich noch nicht einmal ein Profi. Der Aufstieg dorthin hat mich viel harte Arbeit gekostet. Ich kann Gott nur danken, dass ich die Gelegenheit hatte, mich mit 27 Jahren einem so großen Team wie Inter anschließen zu können. Und wer weiß: Wäre ich ein Jahr früher gewechselt, hätte ich vielleicht eine weniger erfolgreiche Karriere gehabt, als ich am Ende hatte. Es ist besser, Glück zu haben, als reich zu sein. Denn wenn du mit ein wenig Glück auf die Welt kommst, wirst du vielleicht eines Tages reich. Du brauchst dafür Leidenschaft, eine Vision und wenn du genug Glück hast und bereit bist, Opfer zu bringen, geht dein Traum vielleicht in Erfüllung.

SPOX: Viele Leute wissen gar nicht, dass Sie ein Jahr beim FC Everton spielten. Was lief verkehrt, dass Sie die Premier League so schnell wieder verließen? Auf den ersten Blick sollte der englische Spielstil zu Ihnen gepasst haben.

Materazzi: Mein Jahr bei Everton hat mich sehr vorangebracht, solche Erfahrungen sind immer positiv. Das einzige Problem, das ich möglicherweise in jener Zeit hatte, war die italienische Mentalität. Ich hatte den Traum und den Antrieb, in der italienischen Nationalmannschaft zu spielen. Es war immer riskant, in einem anderen Land zu spielen. Deshalb bin ich nur ein Jahr bei Everton geblieben. So konnte ich als Spieler und als Mensch wachsen. Ich empfinde diese Erfahrung nicht als negativ. Ich bereue höchstens, dass ich dort nicht länger gespielt habe. Es war schön und reizvoll, es hat mich weitergebracht. Aber ich wollte es unbedingt ins Trikot der italienischen Nationalmannschaft schaffen, deshalb habe ich meine Entscheidung getroffen.

SPOX: Es heißt, Sie hätten eine besondere Beziehung zu Jose Mourinho - stimmt das? Nach dem Champions-League-Finale 2010 lagen Sie sich minutenlang in den Armen.

Materazzi: Das ist wahr. Ich hatte ein sehr gutes Verhältnis zu Mourinho. Auch weil er zu der Zeit Inter-Coach wurde, als meine Karriere als Profi langsam zu Ende ging. Er war sehr ehrlich und aufrichtig mit gegenüber, das hat diese für einen Profi kritische Phase erleichtert. Während der letzten zwei Jahre meiner Karriere hat mir Mourinho ermöglicht, mein Potenzial mit der gleichen Intensität und dem gleichen Ertrag abzurufen, wenn auch nur in wenigen Spielen. Ich werde ihm ewig dafür dankbar sein, dass er so ehrlich mit mir umgegangen ist.

SPOX: Sie sind der Inbegriff eines "Aggressive Leader". Sie schlugen oft über die Stränge und haben auch Ihre Mitspieler zusammengestaucht. Heutzutage gibt es nur noch wenige von Ihrer Sorte. Viele bemängeln, diese Generation sei zu weich und nett...

Materazzi: Das ist das größte Kompliment, das man mir machen kann. Ich habe immer mit meinem Herzen gedacht und mir nie von anderen reinreden lassen. Das gibt es heute nicht mehr oft. Viele Leute laufen nur anderen nach, wie in einer Herde. Freies Denken und eine eigene Meinung sind wahnsinnig wichtig. Du bist nur anders, wenn du anders denkst. Das bedeutet nicht, dass du besser oder schlechter bist. Das bedeutet, dass du du selbst bist. Und das finde ich gut.

SPOX: Wenn Sie auf Ihre Karriere zurückschauen: Gibt es da irgendwelche Dinge, die Sie im Nachhinein gerne ändern würden? Dinge, die Sie bereuen? Oder sagen Sie: Nein, ich habe alles erreicht.

Materazzi: Ich habe fast alles erreicht, was ich erreichen wollte. Natürlich habe ich dämliche Dinge getan - wie jeder andere auch. Doch aus einer menschlichen Perspektive gesehen kannst du als Profi nicht wachsen, wenn du keine Fehler machst. Die größten Fehler, die ich begangenen habe, hatte ich zu meiner erfolgreichen Zeit bereits hinter mir. Wahrscheinlich habe ich aus ihnen gelernt und sie ermöglichten mir erst, später Erfolg zu haben.

SPOX: Sie hatten viele Diskussionen mit Gegenspielern und liebten es offenbar, andere zu provozieren. Gab es jemanden, gegen den Sie gespielt haben, den Sie nicht herausfordern würden? Eine Art Lieblingsfeind, den Sie sehr respektiert haben?

Materazzi: Im Speziellen gab es den nicht. Mein Ziel war immer, gut zu spielen und zu gewinnen. Das gilt für alle Tage im Leben. Es gab da nichts, was man im Vorhinein entschieden hätte. Manchmal wird man provoziert und manchmal provoziert man andere. Das ist Teil des Spiels und Teil des Lebens. Das sollte man nicht persönlich nehmen.

SPOX: Sie haben Ihre Karriere als aktiver Fußballer beendet. Was machen Sie zurzeit und wie lauten Ihre Pläne für die Zukunft? Können Sie sich vorstellen, eines Tages als Trainer oder Manager zu arbeiten?

Materazzi: Momentan denke ich nicht über eine künftige Karriere als Manager nach. Ich habe am Trainerlehrgang teilgenommen, um ein professioneller Coach zu werden. Aber meine wahre Leidenschaft sind heutzutage solche Läden wie dieser hier. Ich überlege, wie ich aus meiner Leidenschaft ein Geschäft machen kann. In meiner Zukunft will ich also solche Concept-Stores entwickeln.

Marco Materazzi im Steckbrief