Auf Hitzfelds Spuren

Von Johannes Mittermeier
Willy Sagnol trainierte ein Jahr die französische U-21-Nationalmannschaft - dann lockte Bordeaux
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Inzwischen ist Sagnol 37, die Schläfen schimmern leicht gräulich, die Wangen sind fülliger geworden. Einen Tick. 2008 heiratete er seine zweite Frau Gwen, eine ehemalige Bayern-Angestellte. Vierfacher Vater ist der Franzose, zwei Kinder stammen aus erster Ehe.

Nach dem Abschied aus München absolvierte er eine Ausbildung zum Sport-Generalmanager, war Fernsehexperte bei "Canal+" und wurde 2010 Aufsichtsrat von St. Etienne. Ein herausforderndes Aufgabengebiet, Sagnol meisterte es mit Bravour, und einen Mann erstaunte das nicht. "Willy ist ein intelligenter Bursche, der in der Lage ist, querzudenken und einen Verein konstruktiv zu führen. Er hat Prinzipien und kann auch furchtbar stur sein." Sagt: Uli Hoeneß.

Zwischen 2011 und 2013 arbeitete Sagnol als Sportdirektor beim französischen Fußballverband, anschließend trainierte er die U-21-Nationalmannschaft. Bei Girondins Bordeaux fand er eine Mannschaft vor, die ein Gebilde ist, keine Aggregation von Individuen. "Mein Vorgänger hat mir eine zusammengeschweißte Gruppe überlassen", lobt Sagnol.

Sein Vorgänger war Francis Cillot, 2012 gewann er den nationalen Pokal. Sechs Meistertitel konnte der 1881 gegründete Verein bisher verbuchen, zuletzt 1999 und 2009 - dem Champions-League-Jahr mit Bayern. Historisch aber ragen die Endspiele um den UEFA-Cup 1996 heraus. Der aufstrebende Zidane hatte den Taktstock umklammert, nur nicht in diesen Finals. Da übertrumpfte Mehmet Scholl jeden. Bayern siegte 2:0 und 3:1.

Cantona, Lizarazu, Manni Kaltz

Zidane war sicher der größte Spieler, der jemals das Girondins-Trikot trug, doch die Palette enthält weitere Prominenz: Didier Deschamps, Jean-Pierre Papin, natürlich Bixente Lizarazu, auch Johan Micoud, selbst Eric Cantona bestritt während eines Leihgeschäfts elf Partien - mit sechs Treffern.

Der deutsche Bezug ist durch Klaus Allofs und Manfred Kaltz gegeben, in der Aktualität bediente sich die Bundesliga öfters in Bordeaux. Anthony Modeste wechselte nach Hoffenheim, Ludovic Obraniak zu Werder Bremen. Umgekehrt, und damit schließt der Bayern-Kreis erneut, wurde Diego Contento in den Südwesten Frankreichs transferiert.

Neben dem Linksverteidiger verpflichte man Tiago Ilori (Liverpool), Wahbi Khazri (Bastia) sowie Nicolas Pallois (Niort, 2. Liga). Dazu wurden acht Jungprofis im Alter von 18 bis 21 Jahren aus der eigenen Reserve befördert, das zeigt schon, welchen Weg Bordeaux eingeschlagen hat. Oder einschlagen muss. Die gesamten Investitionen der Sommerperiode beliefen sich auf 3,5 Millionen Euro. Das ist weniger als nichts im internationalen Kontext.

Auf der Gegenseite schmerzt der Verlust von Lucas Orban, den Verteidiger zog es zum FC Valencia. Auffällig ist die Altersstruktur der Abgänge, außer dem 20-jährigen Hadi Sacko (Sporting) umfasst die Liste gleich fünf Profis aus der Ü-30-Connection. Was wiederum Trainer Sagnol, den 37-Jährigen, leicht ins Gefüge integrieren ließ. "Der geringe Altersunterschied erleichtert zweifellos die Verbindungen", sagt er.

Schleudersitz in der Komfortzone

Bordeaux hat ein Team ohne Superstar. Bekannteste Gesichter dürften Torwart Cedric Carrasso sein, Jaroslav Plasil, der früher in Osasuna spielte, und Marc Planus, seit 2002 im Klub. Der Rest: Viel Jugend.

"Ich habe hier Spieler mit viel Willen, manchmal zu viel", lächelt Sagnol und meint naiven Übermut. Deshalb glauben viele, dass der Höhenflug keine komplette Saison überdauern wird. Kapitän Lamine Sane reagiert fast trotzig: "Ich erwarte, dass wir oben bleiben!"

Sagnol will einen Fußball implementieren, der von einem dominierten Zentrum in rasante Tempoverschärfungen verfällt. Offensive, Effizienz, Varietät, das sind Begriffe aus seinem Jargon. "Wir wissen, dass wir nicht das beste Team in Frankreich haben, wir wissen, dass Bordeaux nicht der größte französische Klub ist. Aber wir besitzen Werte der Arbeit und der Selbstaufopferung", umschreibt er die Ausrichtung mit etwas Pathos. "Das Ziel für eine Mannschaft wie Bordeaux ist, zu überraschen."

Überraschen - ein gutes letztes Stichwort. Nicht erst seit seinem unvermeidlichen Karriereende weiß Willy Sagnol, wie schnell die Winde drehen können. Den Trainerberuf fasst er pragmatisch auf, als Schleudersitz in der Komfortzone. "Angst vor dem Scheitern habe ich keine. Selbstverständlich birgt der Job immer ein gewisses Risiko. Aber das muss man wagen, um Ziele zu erreichen."

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