David Moyes: Der zuverlässige Zauderer

Von Raphael Honigstein
David Moyes wurde nur einen Tag nach Fergusons Rücktritt als neuer United-Trainer vorgestellt
© getty

David Moyes tritt bei Manchester United als Ferguson-Nachfolger ein schier überdimensionales Erbe an. Der 50-Jährige steht für Zuverlässigkeit und Stabilität - doch darin liegen auch Schwächen. Moyes wird sich verändern müssen, um den Nimbus von Manchester United aufrechtzuerhalten.

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"Veränderungen bringen immer ein gewisses Risiko mit sich", sagte David Gill am Tag bevor David Moyes als Nachfolger von Sir Alex Ferguson bekannt gegeben wurde.

Nicht wenige United-Fans betrachten den 50-Jährigen tatsächlich als gewagte Wahl, denn anders als Ferguson, der vor seiner Zeit bei Red Devils schon immense Erfolge mit dem FC Aberdeen gefeiert hatte, gewann Moyes in elf Jahren an der Mersey keine einzige Trophäe, geschweige denn die Meisterschaft.

Seine einzige Erfahrung mit der Champions League endete mit einer Playoff-Niederlage gegen Villarreal vor der Gruppenphase (2005). "United hätte den einfachen Weg gehen und einen Namen verpflichten können, der die Massen beruhigt", schrieb der "Daily Telegraph". "Eine Hand voll Trainer schweben durch Europa mit einem Ruf aus Platin. Sie sind Angestellte ohne Risiko. Jose Mourinho, Carlo Ancelotti oder Jürgen Klopp hätten eine oder zwei Trophäe in einem drei-Jahres-Rhythmus mehr oder weniger garantiert."

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Zuverlässigkeit als Risiko

Gleichzeitig wird die Entscheidung für Moyes, der wie Ferguson aus Glasgow stammt, allerorten aber auch als "safe", also als sicher, zuverlässig beschrieben. Der frühere United-Rechtsverteidiger Gary Neville bezeichnete den Entschluss als "Sieg für die Vernunft im Fußball". Wie passen diese Dinge zusammen?

Vielleicht ist das eigentliche Risiko, das Moyes verkörpert, ja genau seine Zuverlässigkeit, sein Hang zur Risikovermeidung. Er ist ein grundsolider Trainer, der aus den wenigen Ressourcen beim ewig klammen Everton sehr viel herausholte. In den zehn Jahren bevor er 2002 im Goodison Park anheuerte, wurde Everton 13., 17., 15., 6., 15.,17.,14.,13.,16. und 15. in der Tabelle. Seitdem landete man auf den Plätzen 7, 17, 4, 11, 6, 5, 5, 8,7 und 6 (laufende Saison).

Seine Netto-Ausgaben für Transfers wurden mit einer knappen Million Euro pro Saison angesetzt, mit anderen Worten gab er fast gar nichts für neue Spieler aus - auch die Gehälter sind bei den Toffees überschaubar. Trotz dieser Konstanz war in letzter Zeit das Murren der Fans aber lauter geworden. Man wünschte sich von Moyes mehr Wagemut in den entscheidenden Duellen gegen die Mitkonkurrenten um den vierten Platz, aber der Schotte blieb seiner defensiven Taktik besonders in den Auswärtsspielen treu.

Ein typisches Resultat war das 0:0 beim FC Arsenal vor drei Wochen. In 45 Auswärtsspielen in der Liga gegen Arsenal, Chelsea, Manchester United und Liverpool gewann er mit Everton kein einziges Mal. Nur gegen Manchester City behielt er zuletzt ein paar Mal die Oberhand.

Es fehlt an Entschlussfreudigkeit

Er wird sich verändern müssen, so viel steht fest. Einer seiner Spitznamen ist "Dithering Davey" (zaudernder Davey), weil er Transfers oft so lange abwägt, bis die auserkorenen Spieler woanders anheuern. Mehr Entschlussfreudigkeit wird von Nöten sein, aber die kann sich Moyes im Old Trafford auch leisten. Bei Spitzenklubs muss nicht jeder Transfer 100 Prozent sitzen, sie können Fehleinkäufe finanziell und sportlich leichter verkraften als der FC Everton.

Auch in Sachen internationaler Fußball hat er Nachholbedarf. Nach dem K.o.-Aus gegen Villarreal verlor Everton 1:5 gegen Dinamo Bukarest in der Europa League, Moyes bezeichnete das Ergebnis als den "Tiefpunkt" seiner Trainerkarriere.

Bei drei weiteren Teilnahmen an der Europa League bzw. dem UEFA Pokal schied Everton einmal in Runde eins, einmal in der Runde der letzten 32 und einmal im Achtelfinale aus. "Moyes steht für Verlässlichkeit, aber Anzeichen für europäische Glanztaten lassen sich bei ihm nicht erkennen", schrieb der "Guardian".

Disput mit Benitez, Rechtsstreit mit Rooney

Spannend ist auch die Frage nach seiner Umgangsweise. "Ich sehe immer sehr ernst aus, bin aber gar nicht so", sagte Moyes vor Kurzem - und in der Tat erlebt man ihn abseits des Platzes überhaupt nicht als finster dreinblickenden Knurrer. Moyes ist ein bescheidener, verbindlicher Mensch, der nach Scouting-Trips in der englischen Hauptstadt regelmäßig in der Londoner U-Bahn anzutreffen war.

Bis auf einen Disput mit Rafael Benitez, der als Liverpool-Trainer Everton als "kleinen Klub" verspottete, hat er sich keine größeren Streitereien geleistet. Von Fatwas gegen Berichterstatter, wie sie Ferguson (alias der "Fergatollah") dutzendfach aussprach, ist ebenfalls nichts bekannt.

Allerdings gab es eine rechtliche Auseinandersetzung mit Wayne Rooney, seinem ehemaligen und zukünftigem Schützling. Der Stürmer bezichtigte Moyes in seiner Biografie, vertrauliche Informationen an die Öffentlichkeit weitergegeben zu haben. Moyes klagte wegen Rufschädigung - und gewann. Die Beziehung der beiden ist trotzdem gut genug, dass man all den "Moyes will Rooney verkaufen"-Geschichten, die derzeit durch die englischen Blätter geistern, nicht trauen sollte.

Wird Ferguson, der als Vorstandsmitglied und Botschafter weiter für United arbeiten wird, Moyes dazu anhalten, aggressiver aufzutreten? Sir Alex' Kunststück war nicht zuletzt, die (meist) beste Mannschaft der Premier League beständig darauf einzuschwören, dass die ganze Welt gegen sie sei. In Pressekonferenzen streute Fergie gezielt Fehlinformationen, um seine Feinde - dazu zählte er auch die Journalisten - zu verwirren.

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"Aus dem gleichen Stoff wie seine großen Vorgänger"

Solche Methoden, Arroganz oder gar cholerische Anfälle wird sich Moyes (noch) nicht leisten können. Die furchteinflößende Aura, die Ferguson verströmte, hat er nicht. Die Frage ist, ob sich dieser gefühlte Verlust des Nimbus auf dem Platz niederschlagen wird; ob United unter Moyes jenes besondere Team bleibt, das mit seinem unerschütterlichen Siegesglauben regelmäßig in der Nachspielzeit Spiele umbog.

Bei United glaubt man jedenfalls, dass Moyes, der Motivationskünstler, die Ergebnismaschine am Laufen halten kann. Man erwartet keine Zauberdinge von ihm, er soll nur das immens hohe Niveau halten.

"David Moyes ist aus dem gleichen Stoff wie seine großen Vorgänger im Old Trafford geschnitten", sagte Ed Woodward, der neue Geschäftsführer des Vereins. Ferguson lobte die "Arbeitsmoral" seines Nachfolgers. Zusammengefasst könnte man sagen, dass Moyes das Vermächtnis von Ferguson verwalten soll. Radikale Reformen oder gar Revolutionen sind nicht erwünscht.

Das erklärt auch, warum zum Beispiel Jose Mourinho entgegen anders lautender Berichte nie ein ernsthafter Kandidat war. United wollte keinen großen Zampano, der das Medieninteresse monopolisiert, zig Baustellen aufmacht und nach zwei, drei wilden Jahren wieder weiter zieht.

Stabilität bürgt für Erfolg

In der Stellungnahme von Sir Bobby Charlton kann man das am besten nachlesen. "David Moyes versteht die Dinge, die diesen Klub besonders machen", sagte die United-Ikone. "Er ist ein Mann, der sich langfristig verpflichtet und der Mannschaften für die Zukunft ausbaut, nicht nur für die Gegenwart. Stabilität bürgt für Erfolg."

Den letzten Satz könnten auch die amerikanischen Besitzer des Klubs so formuliert haben. Die Glazer-Familie braucht für den börsennotierten, noch immer mit 426 Millionen Euro verschuldeten Klub eine ruhige Hand am Steuer.

Im Zweifelsfall würden die Amerikaner Moyes wahrscheinlich auch ein paar Spielzeiten ohne Trophäen genehmigen - was wiederum seine Chancen erhöht, am Ende ein Erfolg zu werden. Ferguson brauchte bekanntlich vier Jahre, bevor er bei United seinen ersten Titel gewann. Ähnlich viel Zeit wird Moyes bekommen, solange er ein Mindestniveau (Champions-League-Qualifikation) nicht unterschreitet.

David Moyes im Steckbrief

Raphael Honigstein lebt und arbeitet seit 1993 in London. Für die "Süddeutsche Zeitung" berichtet er über den englischen Fußball und ist Kolumnist für die britische Tageszeitung "The Guardian". Beim früheren Premier-League-Rechteinhaber "Setanta Sports" fungierte Honigstein als Experte für den deutschen Fußball. In Deutschland wurde der 37-Jährige auch bekannt durch sein Buch "Harder, Better, Faster, Stronger - Die geheime Geschichte des englischen Fußballs". Zudem ist er als Blogger bei footbo.comtätig und auch unter twitter.com/honigstein zu finden.