Richtige Position, falscher Mann

SID
Noch nicht richtig angekommen: Dimitar Berbatow von Manchester United
© Imago

Als Champions-League-Sieger oben dran bleiben - kein leichtes Unterfangen, wie derzeit Manchester United in der Premier League feststellen muss. Probleme gibt es mit Rekordeinkauf Dimitar Berbatow, wie Raphael Honigstein analysiert. Für SPOX berichtet er jeden Donnerstag aus London von den Entwicklungen vor Ort.

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Es ist kein Zufall, dass seit der Einführung der Champions League kein Sieger den Titel im folgenden Jahr verteidigen konnte.

Große Trainer wie Ottmar Hitzfeld, Frank Rijkaard oder Carlo Ancelotti fanden nach dem Triumph nicht die richtige Balance zwischen Kontinuität und Umbau, vielleicht ist dies in Zeiten des globalisierten Fußballmarkts auch gar nicht mehr möglich.

Sir Alex Ferguson wird schon in der Nacht von Moskau geahnt haben, dass nun die eigentliche Arbeit für ihn erst beginnt. Manchester United schaffte es aufgrund seiner Finanzkraft und Sir Alex' Überredungskünsten, Cristiano Ronaldo sowie die anderen Stars im Old Trafford zu halten, das war der erste, wichtige Schritt.

Vor- und Nachteile

Darüber hinaus entschloss sich der Schotte, genau wie nach dem denkwürdigen 2:1-Sieg gegen Bayern im Europapokal-Finale von 1999, seine Mannschaft ausschließlich punktuell zu verändern.

Der Vorteil dieser behutsamen Strategie ist, dass auf dem  Platz und in der  Kabine vieles beim Alten bleibt und sich die Mannschaft nicht mühsam neu finden muss; der Nachteil, dass man dabei sehr viel auf eine Karte setzt.

Erweisen sich die ein, zwei sündhaft teuren Neuankömmlinge pro Saison nicht als echte Verstärkungen, tritt die Mannschaft sofort auf der Stelle. Ferguson weiß um diese Gefahr aus eigener Erfahrung.

Kein Mittelstürmer: Ein Glücksfall

Fehleinkäufe wie Fabien Barthez, Laurent Blanc, Juan Sebastian Veron, Kleberson, Eric Djemba-Djemba, David Bellion und Diego Forlan ließen den reichsten Verein der Welt in den Jahren nach Barcelona international in beinah beschämender Weise stagnieren; Ferguson brauchte neun Jahre - und einen Cristiano Ronaldo in überragender Form - um es wieder in ein Finale zu schaffen.

Im vergangenen Sommer wurde mit Wunschspieler Dimitar Berbatow (Tottenham Hotspur) nur ein einzig neuer Mann geholt, dafür aber für die Kleinigkeit von 38 Millionen Euro: Liga-Rekord. Schon im Jahr zuvor hatten die Red Devils um die Dienste des Bulgaren gebuhlt, vergeblich. Keinen echten Mittelstürmer im Team zu haben, erwies sich im Nachhinein allerdings als seltener Glücksfall.

Ferguson beziehungsweise sein für die taktischen Finessen zuständiger Assistent Carlos Queiroz machte aus der Not eine Tugend und ließ sein Team meist in einem avantgardistischen 4-2-4-0-System stürmen. 

Entlastung für Ronaldo

Die ständigen Positionswechsel der ganz aus der Tiefe kommenden Angreifer überforderten die Verteidigungsreihen; ausgerechnet Ferguson, der Trainer-Dino, brachte 2008 den innovativsten Fußball Europas in die Stadien. Ein Double aus Meisterschaft und Champions League war der verdiente Lohn.

Die Frage ist, warum Ferguson seinen formidablen Sturm im Sommer nicht um einen weiteren, ultra-flexiblen Dribbelstürmer/Flügelflitzer ergänzte, sondern den vergleichsweise orthodoxen Torjäger Berbatow holte.

In erster Linie wird sich der 66-Jährige dabei gedacht haben, dass Cristiano Ronaldo unmöglich noch einmal 42 Tore in einer Saison schießen können würde; Berbatow sollte den Portugiesen entlasten.

Die Roma als Gegenbeispiel

Möglicherweise war ihm die taktische Revolution nach dem Weggang ihres Architekten Queiroz auch nicht mehr ganz geheuer. Ein System ohne feste Positionen ist höllisch schwer zu spielen; es ist so flüssig, dass alles schnell ins Schwimmen geraten kann. Paradebeispiel dafür war die Vorstellung des AS Rom im Februar 2007.

Die Italiener kamen mit einem futuristischen 4-1-5-0 ins Old Trafford, ließen hübsch den Ball laufen -  und fuhren mit einem 1:7 im Gepäck wieder nach Hause.

Seit Berbatows Ankunft hat Ferguson das Rad zurück gedreht, United spielt jetzt wieder ein mehr oder minder klassisches 4-4-1-1 mit festen Anspielstationen in Strafraumnähe.

Berbatow in der Kritik

Auf dem Papier sieht das hervorragend aus, vor allem weil der im vergangenen Jahr oft ohne große Euphorie auf den Flügeln eingesetzte Wayne Rooney nun wieder auf seiner Lieblingsposition, zentral zwischen Mittelfeld und Sturm, eingesetzt wird. Auf dem Platz aber funktioniert es (noch) nicht. Überhaupt nicht.

United spielt alles andere als zwingend und nahm aus den drei Spitzenspielen gegen Arsenal, Liverpool und Chelsea nur einen einzigen Punkt mit.

Es scheint ein wenig billig, die kleine Schaffenskrise an dem Mann aus Blagoevgrad fest zu machen, doch man kommt leider nicht an den Fakten vorbei: "Dimi" hat bisher die Erwartungen nicht ansatzweise erfüllt und zuletzt völlig zurecht vernichtende Kritiken eingeheimst.

Kein Pressing mit Berbatow

In neun Ligaspielen hat der Doppelgänger von Andy Garcia ein einziges Mal getroffen; beim 4:0 gegen West Brom steuerte er den dritten Treffer bei.

Dem 27-Jährigen Ex-Leverkusener fehlt bei aller Technik die Kraft, Dynamik und Arbeitsmoral, die seine Angriffskollegen auszeichnen; der im Vorjahr immens wichtige Carlos Tevez aber sitzt wegen ihm nur frustriert auf der Bank.

United fällt es mit dem zur Lethargie neigenden Künstler schwer, ein echtes Pressing aufzuziehen. Seine Körpersprache ist oft nicht gut. Zudem lässt er sich gerne tief fallen und muss dann mit dem Ball warten, bis ihn Rooney oder ein Flügelspieler überholt. Vor ihm ist ja sonst niemand.

Schnelligkeit geht verloren

Die Folge ist, dass United insgesamt langsamer spielt und viel zu viel in Bereichen, wo man dem Gegner gar nicht weh tun kann. Falls Ferguson einen echten Mittelstürmer verpflichten wollte, der "die Linie anführt", wie man in England sagt, lag er daneben: Berbatow ist der falsche Mann für die richtige Position.

Natürlich wird er seine Tore bald wieder machen. Berbatow ist viel zu begabt, um auf Dauer schlecht zu spielen. Ob er United  aber entscheidend verbessern kann, muss man nach den Eindrücken der ersten drei Monate stark bezweifeln. Manchmal ist im Fußball mehr zu viel des Guten.

Ohne den teuersten Spieler in der Vereinsgeschichte war der Champions-League-Sieger schon ein bis zwei Stufen weiter.

Alle Informationen zur Premier League

Raphael Honigstein lebt und arbeitet seit 15 Jahren in London. Für die "Süddeutsche Zeitung" berichtet er über den englischen Fußball und ist Kolumnist für die britische Tageszeitung "The Guardian". Beim Premier-League-Rechteinhaber "Setanta Sports" fungiert Honigstein als Experte für den deutschen Fußball. In Deutschland wurde der 34-Jährige auch bekannt durch sein Buch "Harder, Better, Faster, Stronger - Die geheime Geschichte des englischen Fußballs". Zudem ist er als Blogger bei footbo.com tätig.

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