Sportdirektoren unerwünscht

SID
Fußball, Premier League, Spurs, Harry Redknapp
© Getty

Manchester United mit Cristiano Ronaldo, Michael Ballacks FC Chelsea, die Arsenal-Young-Guns und der FC Liverpool: Die Premier League ist in Europa das Maß der Dinge. Zumal sich dank zahlungskräftiger Investoren jetzt auch Teams wie Manchester City zu Höherem berufen fühlen. Für SPOX berichtet Raphael Honigstein jeden Donnerstag aus London von den Entwicklungen vor Ort. Diesmal geht es um Tottenhams Hoffnungsträger Harry Redknapp.

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Der neue Trainer der Spurs durfte sich am Tag nach dem sensationellen 4:4 im Nord-Londoner Derby als "Harry Houdini" (Daily Mail) feiern lassen - wie der berühmte Entfesselungskünstler scheint auch Redknapp die Fähigkeit zu besitzen, dem (Fußball-)Tod in allerletzter Sekunde von der Schippe zu springen.

Vier Punkte hat Tottenham seit seiner Amtsübernahme aus zwei Spielen geholt. Das hat noch nicht gereicht, um die rote Laterne abzugeben, doch zumindest ist das Selbstbewusstsein an die White Hart Lane zurückgekehrt. "Wir spielen befreit auf", sagte Verteidiger Ledley King und Darren Bent fühlte sich nach seinem 40-Meter-Knaller gegen Manuel Almunia gar "wie Superman".

Geschäftsführer Daniel Levy, gegen den zuletzt die eigenen Fans eine Demonstration veranstalten wollten, kann zufrieden sein: die fünf Millionen Pfund Entschädigung, die man Portsmouth gezahlt hat, haben sich jetzt schon fast amortisiert.

Zusammen mit dem gefeuerten Trainer Juande Ramos hat sich die Untergangsstimmung verzogen. Die Spurs leben wieder, Harry sei Dank.

Ein Feuerwehrmann als Hoffnungsträger

Der immer für einen guten Spruch gute Cockney aus Londons East End gilt den englischen Medien als perfekte Wahl, und das nicht nur, weil seine Pressekonferenzen zu den unterhaltsameren in der Liga gehören.

Der 61-Jährige genießt  einen Ruf als ausgezeichneter Feuerwehrmann (im Jörg Berger-Sinn des Wortes, nicht wie "Grisu, der kleine Drache"), der schon Teams wie Bournemouth, West Ham und Portsmouth vor dem Abstieg gerettet hat.

Zwischendurch ist er mit Southampton zwar auch mal abgestiegen, aber mit solchen Kleinigkeiten hält man sich hier nicht auf.

Redknapp, der nach dem EM-Qualifikationsdesaster von Steve McClaren erfolglos eine Bewerbung für das Amt des Nationaltrainers abgegeben hat, ist populär, zuvorkommend und in seiner Arbeitsweise älter als old school. Als einer der letzten englischen Trainer im Oberhaus steht der FA-Pokalgewinner von 2008 quasi unter Denkmalschutz.

Das Engagement des schlitzohrigen Routiniers bedeutet zugleich das Ende eines Experiments: mit Ramos wurde auch der inkompetente Sportdirektor Damien Comolli entlassen. Die Rolle soll nicht neu besetzt werden.

Der Manager feiert sein Comeback

Damit wird es erstmals in vier Jahren in Tottenham wieder einen klassischen manager geben, der in echter Premier-League-Manier das alleinige Sagen in sportlichen Dingen genießt.

"Wir akzeptieren, dass die Zeit gekommen ist, zum traditionellen Trainer-Modell zurück zu kehren", sagte Levy. "Ich suche die Spieler aus", bestätigte Redknapp, "ein Sportdirektor kommt für mich nicht in Frage."

So hat auf der Insel alles wieder seine Ordnung, und die zahlreichen Fundamentalkritiker an Levys "kontinentalem System" fühlen sich endgültig bestätigt.

Hier vertraut man lieber auf allmächtige Alleinentscheider und die Stabilität von streng hierarchischen Strukturen. Das Konzept der Gewaltenteilung - in Europa gang und gäbe - ist verpönt, ein Sportdirektor von Haus aus suspekt.

"Diese Leute arbeiten oft gegen den Trainer", glaubt Redknapps Sohn Jamie (Ex-Spurs), der heute als TV-Experte für Sky wachsweiche Analysen liefert. "Ein Sportdirektor funktioniert in England nicht", stellte der Evening Standard abschließend fest.

Keine Chance für Jol und Co.

Zumindest bei den Spurs hat es definitiv nicht funktioniert. Aber die Gründe dafür lagen nicht im System an sich. Das 2004 von Levy vorgestellte Duo Jacques Santini (Trainer) und Frank Arnesen (Sportdirektor) kam zum Beispiel menschlich nicht klar.

Santini war nach wenigen Wochen wieder entlassen. Arnesen wurde später vom FC Chelsea abgeworben, wo er für den Nachwuchs verantwortlich ist.

Trainer Martin Jol kam mit Comolli anfangs besser zu Recht, doch der Franzose verpflichtete im vergangenen Jahr die falschen Spieler für die falschen Positionen. Anstatt dem gewünschten Innenverteidiger bekam Jol unter anderem Kevin-Prince Boateng (bitte nicht lachen) vorgesetzt.

Auch Ramos hatte kein grundsätzliches Problem mit der Struktur, im Gegenteil: der Spanier war es aus seiner erfolgreichen Zeit in Sevilla gewohnt, mit einem starken Sportdirektor (Ramon Rodriguez Verdejo, Spitzname "Monchi") zusammen zu arbeiten.

Comolli aber war schlichtweg überfordert. Vielleicht hätte Levy anstatt dem introvertierten Ramos besser Monchi verpflichtet. Doch diese Diskussion erübrigt sich nun: das europäische Modell ist für erste gründlich diskreditiert.

Klaus Allofs als Vorbild

Genau das wird sich mittelfristig jedoch eher negativ auf die Premier League auswirken. Denn die "Stabilität" die Englands autokratisches Trainersystem mit sich bringt, hat einen extrem hohen Preis: für jeden Arsene Wenger gibt es zehn manager, die Millionen für mittelmäßiges Personal zum Fenster rausschmeißen oder, noch schlimmer, ausschließlich mit befreundeten Beratern Geschäfte machen.

Mit einem Monchi, Klaus Allofs oder Dietmar Beiersdorfer im Amt hätten die finanzstarken englischen Vereine die Champions League (und UEFA-Pokal) bestimmt schon seit zehn Jahren dominiert. 

Außerdem schreit gerade ein fleißiger "wheeler-dealer" (Geschäftemacher) wie Redknapp regelrecht nach gutem Rat und strenger Aufsicht: in sieben Jahren bei West Ham transferierte er 134 (!) Spieler. Ob dabei immer nur sportliche Kriterien eine Rolle spielten, darf getrost bezweifelt werden.

Unter seinen Einkäufen fanden sich ein paar Stars - Paolo Di Canio, Ian Wright, Marc-Vivien Foe -  und eine halbe Armee von Flops und Versagern.

Insgesamt wechselten in diesem Zeitraum 200 Milionen Euro den Besitzer; der Traditionsklub aus dem Osten stand aber trotz verzweifelter Notverkäufe  - Frank Lampard ging für 16,5, Millionen Euro zu Chelsea, Rio Ferdinand für 27,7 Millionen Euro zu Leeds United  - am Ende von Redknapps Amtszeit kurz vor dem Bankrott.

Die Spurs sind personell gut genug besetzt, um den einen oder anderen obskuren Transfer im Januar verkraften zu können. Sie werden sicher drinnen bleiben, nur das zählt in dieser Saison.

Harry darf sich bald als Retter feiern lassen, Sprüche machen und ein paar Pfund verdienen. Wird er die Spurs dauerhaft in der Spitze etablieren? Wohl eher nicht. Dafür ist er einfach zu beschäftigt.

So lange Leute wie Redknapp in England die Macht haben, gibt es für den Rest Europas Hoffnung. Die beste Liga der Welt? Sie könnte besser sein.

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Raphael Honigstein lebt und arbeitet seit 15 Jahren in London. Für die "Süddeutsche Zeitung" berichtet er über den englischen Fußball und ist Kolumnist für die britische Tageszeitung "The Guardian". Beim Premier-League-Rechteinhaber "Setanta Sports" fungiert Honigstein als Experte für den deutschen Fußball. In Deutschland wurde der 34-Jährige auch bekannt durch sein Buch "Harder, Better, Faster, Stronger - Die geheime Geschichte des englischen Fußballs". Zudem ist er als Blogger bei footbo.com tätig.

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