Geldkoffer, Kidnapping-Berichte, Täuschungsmanöver: John Obi Mikels verrückter Wechsel zu Chelsea

Von Daniel Nutz
John Obi Mikel kam 2006 von Lyn Oslo zum FC Chelsea.
© imago images

2006 wechselte John Obi Mikel zum FC Chelsea. Der Transfer des damals 19-jährigen Nigerianers war das Ende eines erbitterten Transfer-Streits zwischen den Blues und Manchester United, der hohe Wellen schlug.

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Für gewöhnlich sind Spielervorstellungen im Rahmen einer Pressekonferenz bloß der letzte Akt eines Transfers. Nehmen die Beteiligten auf dem Podium Platz, sind die Verträge längst unterschrieben. Umso denkwürdiger erscheint rückblickend eine von Manchester United im April 2005 organisierte Pressekonferenz, die nicht einmal in Manchester stattfand.

Es war John Obi Mikel, der seinerzeit in den Räumlichkeiten seines damaligen Arbeitgebers, dem FC Lyn Oslo, das Trikot der Red Devils mit seinem Namen und der Trikotnummer 21 hochhielt, während er selbst noch ein Shirt von Lyn Oslo trug. Entstehen sollte ein bizarres Foto, das letztlich nur die Spitze des Eisbergs in der womöglich größten Schlammschlacht der Premier-League-Geschichte darstellt.

Alles begann 2003, als Mikel bei der U17-Weltmeisterschaft in Finnland mit seiner dominanten Spielweise im zentralen Mittelfeld trotz seiner schlaksigen Figur die Scouts von ManUnited, Chelsea, Real Madrid und Barca auf sich aufmerksam machte. Nur das Los verhinderte einen Einzug Nigerias ins Viertelfinale, doch für Mikel persönlich war das Turnier das perfekte Sprungbrett.

Noch während der Endrunde witterten die ersten Berater das große Geld, wenn sie diesen Wunderknaben an einen Top-Klub vermitteln würden. "Es gab Agenten, die mir alles versprachen. Einer kam in mein Hotelzimmer. Ich weiß nicht mehr, welchen Klub er vertrat, aber er hatte einen Koffer mit 70.000 Dollar in bar dabei", erinnerte sich Mikel einst bei der Sun zurück.

Er hätte lediglich einen Vertrag dafür unterschreiben müssen - eine riesige Versuchung für einen Schüler. "Unterzeichne hier und du wirst noch viel mehr davon bekommen", ergänzte der Berater laut Mikel. Er bat Verantwortliche seines Verbandes um Rat und lehnte schließlich ab.

Mikel auf Probe bei United: "Keane war mein Bodyguard"

Manchester United wählte einen anderen Weg. Die Red Devils zögerten nicht lange und luden den Mittelfeldspieler kurz nach dem Turnier zum Probetraining nach England ein. "Ich durfte bei den Profis trainieren. Roy Keane war mein Bodyguard", so Mikel: "Paul Scholes und Nicky Butt versuchten immer, mich zu treten, aber wenn Roy in der Nähe war, konnten sie das nicht. Er hätte sie getötet."

Trainer in Manchester war damals Sir Alex Ferguson. Während seines einmonatigen Probetrainings rief dieser den jungen Mikel in sein Büro. Mikel wusste nicht, was ihn erwarten würde. Doch Ferguson nahm ihm schnell die Anspannung und verriet, dass Keane, Scholes und alle anderen gestandenen Profis dem Coach eine Verpflichtung des Jungspunds nahelegen würden.

Mikel kehrte zunächst allerdings nach Nigeria zurück - Regularien hätten einen Wechsel ohnehin erst ab dem 18. Lebensjahr erlaubt. "Sir Alex mochte mich wirklich. Er gab mir stets ein gutes Gefühl und hat mir Mut zugesprochen. Einmal zeigte er auf die Autos der Stars und versprach mir: 'Wenn du hart arbeitest, wirst du nächstes Jahr auch so eines fahren. Du wirst für diesen Klub spielen und reich sein'", sagte Mikel.

Insgesamt dreimal trainierte er mehrere Wochen bei United, doch obwohl beide Seiten zufrieden waren, wurde es nach seinem letzten Aufenthalt nie konkret.

16-jähriger Mikel sorgt für Aufsehen bei den Blues

Stattdessen meldete sich Chelsea beim Nigerianer und lud ihn ebenfalls zum Training nach England ein. "Ich hatte von United nichts mehr gehört, also sagte ich zu", erklärte er. John Shittu, den Mikel bereits als Kind kennenlernte, wurde zu dieser Zeit zu seinem festen Berater. Auch in London trainierte er bei den Profis, doch auch Chelsea hätte Mikel erst mit 18 verpflichten können, also wollten die Blues den Spieler vorerst in Südafrika parken.

Chelsea arbeitete zu dieser Zeit an einer Kooperation mit Ajax Amsterdam. Die Niederländer hingegen haben mit Ajax Cape Town einen Tochterklub in Kapstadt, um afrikanische Talente vor Ort ausbilden zu können. "Ajax und Chelsea befanden sich in Gesprächen und wir hatten bereits ein Abkommen mit den Niederländern", begründete Cape-Town-Boss John Comitis einen mehrtägigen Aufenthalt Mikels bei den Südafrikanern nach seinem Chelsea-Probetraining einst bei FARPost.

Nicht einmal 20 Minuten brauchte der 16-jährige Mikel in seiner ersten Einheit, Trainer Gordon Igesund einen Anlass zu geben, noch während des Trainings in Comitis' Büro zu stürmen und den Vorstandsvorsitzenden um eine Verpflichtung zu bitten: "Ich sagte zu ihm: 'John, nimm diesen Spieler sofort unter Vertrag. Ruf ihn in dein Büro und lass ihn unterschreiben!'" Mikel sei aufgrund seines starken Passspiels gepaart mit einer überragenden Übersicht bereits der perfekte Mittelfeldspieler gewesen, so Igesund. Selbst gegen Erwachsene strahlte er eine unglaubliche Ruhe am Ball aus und vermied allein mit seinem ersten Ballkontakt oftmals kritische Situationen.

Sir Alex Ferguson persönlich wirbt um Mikel

Comitis versprach seinem Trainer, einen Versuch zu unternehmen, doch Mikels Plan war ein anderer. "Die Dinge waren anders vereinbart. Wir wollten ihn nach Europa bringen, Ajax Cape Town war quasi nur eine Station auf seiner Durchreise", erklärte sein Berater. So kam es dann auch, denn kurz darauf wechselte das begehrte Talent zu Lyn Oslo nach Norwegen.

Dort unterschrieb Mikel an seinem 18. Geburtstag einen Profivertrag, und plötzlich flog Ferguson, von dem er nichts mehr hörte nach seiner Zeit in Manchester, für ein Gespräch mit ihm nach Norwegen. "Die Sache war so verwirrend. Ich dachte, ich hätte etwas mit Chelsea am Laufen, aber dann meldete sich United und sagte, dass man mich weiterhin beobachtet hat und Sir Alex mich besuchen kommen wird", schilderte Mikel der Sun.

Ferguson erklärte dem Youngster, dass er ihn nicht ein zweites Mal verlieren wolle. Die Red Devils boten Mikel nach eigener Aussage fast 1,7 Millionen Euro für drei Jahre. Nach Rücksprache mit seinem Vater unterzeichnete Mikel eine Vereinbarung - und United zögerte keine Sekunde, um ebenjene Pressekonferenz in Oslos Medienräumen einzuberufen.

TV-Bericht: Mikel wurde gekidnappt!

"Chelsea sah die Bilder im TV und die Verantwortlichen flippten aus", so Mikel, der erst einige Tage darauf erfuhr, dass die Blues mit Lyn Oslo ein Gentlemen's Agreement hatten, das Top-Talent nicht ohne Rücksprache an einen anderen Klub zu verkaufen, denn die Londoner wollten den Spieler unbedingt haben und bezahlten späteren Aussagen zufolge bereits dessen Aufenthalt bei Ajax Cape Town.

Freunde riefen den in die Bredouille geratenen Mikel an und fragten, was passiert sei. Sein Berater Shittu kam nach Norwegen, um persönliche Gespräche zu führen. "In mir kam der Gedanke auf, dass ich möglicherweise manipuliert wurde. Die Situation war sehr hart für mich, ich war noch so jung", erinnerte sich Mikel.

Kurz darauf flog er in geheimer Mission mit seinem Agenten nach London - die Situation war bizarr. "Ich dachte mir: 'Gerade habe ich bei United unterschrieben und nun fliege ich zu Chelsea."

Im norwegischen Fernsehen machten daraufhin Berichte die Runde, wonach Mikel gar gekidnappt worden sei. Die Polizei nahm Untersuchungen auf, nachdem diese Gerüchte von einem Lyn-Verantwortlichen befeuerten worden waren. Auch United äußerte in Person von Direktionsassistent Carlos Queiroz öffentlich Bedenken bezüglich Mikels Verschwinden.

Geheimtreffen bei Mourinho

Chelseas Verantwortliche versteckten Mikel derweil in einem Haus in London, um ihn aus der Schusslinie zu nehmen und im Hintergrund an einer Aufklärung des Falls arbeiten zu können. Neun Tage später stellte er sich der Presse und gab an, in Abwesenheit seines Beraters zur Unterschrift bei United gedrängt worden zu sein und dass er seine Zukunft bei Chelsea sehen würde. Die Bosse von Lyn und United tobten, bei der FIFA wurde Beschwerde gegen Chelsea und den Berater eingereicht - ohne Erfolg.

In London traf sich Mikel schließlich mit Chelsea-Trainer Jose Mourinho. "Es war ein geheimes Treffen. Roman Abramovich [Klubeigentümer; d. Red] organisierte sechs Autos, um mich dort hinzubringen. Es glich einer Militäroperation. Es startete in einem Auto, die Fahrer hatten untereinander Kontakt. Plötzlich musste ich den Wagen verlassen und in einen anderen einsteigen", verriet er.

Bei Mourinho angekommen machte ihm der Portugiese klar, dass der Klub ihn unbedingt haben wolle. "Du wirst bei mir spielen und ich mache aus dir den, der du werden willst", versprach er dem jungen Mikel. Wohltuende Worte in einer Phase der Unsicherheit.

Entschädigung an United höher als Ablösesumme

Doch United wollte nicht lockerlassen, sah sich weiterhin im Recht. Ferguson sprach damals von einer "ekelhaften Art und Weise, wie Mikel und seine Familie behandelt und bedrängt wurden. "Ich zweifle daran, dass Mikel nicht zu Manchester United möchte. Ich gehe davon aus, dass er gezwungen wurde, das zu sagen", erklärte die Trainerlegende.

Die FIFA ordnete an, dass Mikel zu Lyn zurückkehren müsse, bis entschieden sei, ob der unterschriebene Vertrag bei United eine Gültigkeit besitzt. Zu dieser Zeit witterte auf einmal der FC Barcelona seine Chance und hätte Mikel angeblich verpflichtet, sofern sowohl ein Wechsel zu Chelsea als auch zu ManUnited untersagt worden wäre.

Mikels erste Wahl waren allerdings spätestens seit dem Gespräch mit Mourinho die Blues. Also versuchten die Londoner, vor einem möglichen FIFA-Urteil eine Lösung zu finden. Es dauerte fast zehn Monate, ehe man sich mit United und Lyn einigte. 4,5 Millionen Euro überwies Chelsea als Ablöse nach Norwegen, 13,5 Millionen Euro bezahlte man als Entschädigung an den Rivalen - und über ein Jahr nach seiner Präsentation als Spieler der Red Devils gehörte Mikel offiziell dem Chelsea Football Club an.

Kurz darauf erhielt er seine Arbeitserlaubnis in England und stand ab der Saison 2006/07 in der Premier League auf dem Platz. Insgesamt elf Jahre trug der 89-fache Nationalspieler letztlich das blaue Trikot, gewann neben zwei Meisterschaften und sieben nationalen Pokalen auch die Champions League sowie die Europa League.

Fergusons Reaktion auf seine Absage allerdings wird er sein Leben lang nicht vergessen. "Er konnte mich gut leiden, aber es war ihm anzusehen, wie wütend und enttäuscht er war", verriet Mikel. Bei einem Aufeinandertreffen im Old Trafford schüttelten sich die beiden die Hand, ganz aufgegeben hatte er seinen Wunschspieler seinerzeit noch nicht. "Eines Tages wirst du für mich spielen", erinnerte sich Mikel an Worte des Schotten. Recht behalten sollte er damit jedoch nicht.