Liverpool vs. Chelsea, Klopp vs. Tuchel: Abnutzungserscheinung gegen Aufbruchstimmung

Von Nizaar Kinsella
Thomas Tuchel (l.) trifft mit Chelsea auf Jürgen Klopp und Liverpool.
© getty

Erstmals seit April 2014 treffen Jürgen Klopp und Thomas Tuchel in einem Liga-Spiel aufeinander. Über ein Duell der Gegensätze.

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Am Donnerstag steigt es, das mit Spannung erwartete Duell zwischen dem FC Liverpool und dem FC Chelsea (21.15 Uhr im LIVETICKER). Reds gegen Blues, Jürgen Klopp gegen Thomas Tuchel. Selbstverständlich bestimmt besonders die Tatsache, dass Klopps und Tuchels Vitae diverse Parallelen aufweisen, die englische Presse.

Klopp, der herzliche Menschenfänger, trifft erstmals seit 2014 in einem Ligaspiel auf den gleichermaßen fachlich genialen wie charakterlich schwierigen Tuchel, der ihn einst sowohl bei Mainz 05 (indirekt) als auch bei Borussia Dortmund als Trainer beerbt hatte.

Es ist das insgesamt 15. Aufeinandertreffen der beiden Gegenpressing-Liebhaber, neunmal behielt ein Klopp-Team gegen eine Tuchel-Auswahl die Oberhand, nur zweimal siegte der Krumbacher gegen den Stuttgarter. Verfügte Klopp bis dato zumeist über das nominell deutlich bessere Team als sein Kontrahent, sind die Vorzeichen vor dem rot-blauen-Duell diesmal deutlich anders - überraschend anders.

Tuchel: "Treffen uns nicht für ein Freizeit-Tennis-Match"

"Jürgen hat bewiesen, dass er außergewöhnlich gut ist", schwärmte Tuchel im Vorfeld der Begegnung auf einer Pressekonferenz. "Er hat es bei jedem seiner Klubs geschafft, aus der jeweiligen Mannschaft eine Einheit zu formen, war immer ein großer Teil des Erfolgs." Die Herzen der Fans flögen Klopp zu, sagt Tuchel. "Er ist ein Genie, aber am Ende treffen wir uns nicht für ein Freizeit-Tennis-Match, sondern unsere Mannschaften spielen gegeneinander. Wir müssen vorbereitet sein."

Vorbereitet auf den Klopp'schen Fußball, der so viele Jahre an das Vollgas-Konzert einer Heavy-Metal-Band erinnerte. Bedingungsloses, energisches Gegenpressing, Powerfußball par excellence. Doch in den vergangenen Wochen machten sich Verschleißerscheinungen breit, die sonst so forsche wie erfolgreiche Heavy-Metal-Band wirkte phasenweise ausgelaugt vom Tourstress.

Vor dem 2:0-Erfolg über Schlusslicht Sheffield am vergangenen Wochenende standen vier Niederlagen in Serie zu Buche, teilweise mächtige Klatschen, wie das 1:4 gegen Manchester City oder die erste Derby-Niederlage an der Anfield Road seit 1999 gegen Everton (0:2). In der Vorsaison noch strahlender, souveräner englischer Meister, laufen die Reds in der laufenden Spielzeit der Musik hinterher. Platz sechs, 22 Punkte Rückstand auf Spitzenreiter ManCity.

Tuchel stellt Mourinhos Gegentor-Startrekord ein

Ein Schicksal, das Chelsea zu Beginn der 2020/21er Runde teilte. Bis England-Novize Tuchel die Ostlondoner von Frank Lampard übernahm - und prompt auf Vordermann brachte. Seit neun Pflichtspielen leitet der 47-Jährige die Geschicke an der CFC-Seitenlinie, noch gelang es keinem Gegner, seine Truppe zu bezwingen. Erst zwei Gegentore musste sein neues Team seither hinnehmen. Eine Marke, die bis dato nur Jose Mourinho während seiner ersten Chelsea-Amtszeit zustande brachte (ebenfalls zwei Gegentore nach neun Pflichtpartien).

Tuchel, der - ähnlich wie Klopp - eigentlich als Verfechter des schnellen Umschaltens bei Balleroberung gilt, mausert sich bei Chelsea zum ergebnisorientierten Pragmatiker. Unter seiner Ägide sprangen bislang nie mehr als zwei eigene Tore heraus. Trotz der insgesamt vier Titel, die er mit dem BVB und PSG geholt hat, scheint Tuchel seit seiner Zeit als Mainz-Trainer, als er sensationell zwei Europa-League-Qualifikationen verbuchte, auf der Suche nach einem Team zu sein, das seine Ideen bedingungslos und erfolgreich umsetzt.

Ex-05er Zimling: Tuchel? "Intensivstes Jahr meiner Laufbahn"

"Tuchel hat uns zu verstehen gegeben, dass wir vielleicht auf individueller Ebene nicht die besten Spieler sind, aber dass wir gemeinsam als Mannschaft etwas Außergewöhnliches erreichen können", erklärt Niki Zimling, früher Tuchel-Schützling bei den Nullfünfern, im Gespräch mit SPOX und Goal: "Wir haben uns gegenseitig gepusht und im Training und im Spiel immer hundert Prozent gegeben. Diese Einstellung hat den Unterschied gemacht, da bin ich mir sicher. Ich wusste, dass ich immer mein Bestes geben muss, ansonsten hätte mich ein anderer Spieler ersetzt. Das war wohl das intensivste Jahr meiner Klub-Laufbahn", sagt der Däne weiter.

Es wirkt ganz so, als verfolge Tuchel diese Devise auch bei seinem aktuellen Arbeitgeber. Aber mit dem Unterschied, dass er bei den Blues bessere Spieler zur Verfügung hat als in Mainz. Das von ihm etablierte 3-4-1-2-System lässt das Team zur Höchstform auflaufen, Tuchel holt beispielsweise aus Timo Werner, Marcos Alonso und Callum Hudson-Odoi das Beste heraus.

Etwas, das Frank Lampard nur bedingt gelungen war. Insbesondere der 1:0-Erfolg bei Atletico Madrid im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League in der vergangenen Woche ließ Chelseas Fortschritte unter Tuchel erahnen: seriöser, bisweilen nüchterner Ballbesitzfußball. Wenn Klopps Team eine (aktuell etwas abgenutzte) Heavy-Metal-Band ist, kommt Tuchels Mannschaft als ruhige, gelassene Indie-Rock-Band daher, die keine musikalischen Wunderwerke schafft, aber ihr Ding überzeugend durchzieht.

Tuchel steigert Chelsea-Ballbesitz um acht Prozent

"Sie waren in den vergangenen Spielen sehr erfolgreich", sagte Klopp am Mittwoch. "Sie haben eine klare Philosophie, eine klare Idee, sind auf Ballbesitz aus. Es wird schwer sein, mehr Ballbesitz als sie zu haben." Kam Chelsea in dieser Saison unter Lampard auf einen durchschnittlichen Ballbesitz von 59,3 Prozent, steigerte Tuchel die Spielanteile auf satte 67,38 Prozent (Spitzenwert in der Premier League, Liverpool liegt mit 61,27 auf Rang vier).

"Thomas ist es in kurzer Zeit gelungen, positive Ergebnisse einzufahren und seine Spieler besser kennenzulernen. Er hat vieles verändert", weiß Klopp und ergänzt: "Sie sind einen Schritt weiter, nun treffen wir auf sie. Das wird interessant."

Interessant zu sehen, ob Klopp mit einem Sieg gegen einen direkten Konkurrenten um die Champions-League-Plätze die Kehrtwende einleitet, interessant zu sehen, ob Tuchels Pragmatismus auch das einstige Hochgeschwindigkeits-Ensemble von der Anfield Road zur Verzweiflung bringt.