Liverpool-Trainer Jürgen Klopp im Interview: "Der Trash-Talk vor dem Spiel muss sitzen"

Von Timon Saatmann
Jürgen Klopp hält beim FC Liverpool keine Kabinenansprachen.
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Jürgen Klopp hat als Trainer des FC Liverpool bereits einen Platz in den Herzen der Fans erobert, schließlich holte der Deutsche mit seiner Mannschaft nach dem Champions-League-Titel im Jahr 2019 ein Jahr später auch die erste englische Meisterschaft seit 30 Jahren. Im Interview mit SPOX und DAZN spricht er über die Feier, Hindernisse und Schlüsselmomente.

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"The End Of The Storm", ein Dokumentarfilm in Spielfilmlänge über die erste Liverpooler Meisterschaft nach 30 Jahren Durststrecke, ist ab Mittwoch, den 3. Februar 2021, auf DAZN abrufbar.

Bereits zuvor spricht Klopp im Interview über die Feierlichkeiten nach der Meisterschaft und den Schlüsselmoment für den Titel. Zudem verrät der 53-Jährige, wie sich seine Ansprachen von denen während seiner Zeit bei Borussia Dortmund unterscheiden.

Herr Klopp, in der Dokumentation "The End Of The Storm" geht es um den Titelgewinn in der englischen Premier League. Was hat Sie bei den Feierlichkeiten besonders berührt?

Jürgen Klopp: An die Feierlichkeiten kann ich mich dieses Mal nahezu komplett erinnern, weil sie völlig anders waren als jemals zuvor. Auf der Terrasse eines Golfhotels haben wir als Mannschaft gemeinsam das Spiel geschaut. Das Wetter war dafür ausnahmsweise mal gut genug, es war schön warm draußen. Wir haben dabei zugesehen, wie ausgerechnet Christian Pulisic ManCity abgeschossen hat. Als City den zwischenzeitlichen Ausgleich machte, konnte man wunderbar sehen, wie sehr Menschen trotz riesigem Punktevorsprung ins Zweifeln geraten können. Sie dachten sofort: "Oh Mist, das wird heute doch nichts." Dann die Erlösung zu sehen, als Chelsea doch noch zum Sieg traf und der Schiedsrichter das Spiel abpfiff, war einfach großartig. Wir hatten alle Tränen in den Augen. Das war ein ganz, ganz großer Moment, weil zwar nicht wir 30 Jahre darauf gewartet, aber gefühlt alle anderen Liverpool-Fans. Es gab viele Momente, an die ich mich erinnern kann. Ich habe mit meiner Familie telefoniert und versucht, sie live daran teilhaben zu lassen, indem ich sie kurz vor Schlusspfiff angerufen und das Handy auf dem Tisch platziert habe, sodass sie das ganze Tohuwabohu miterleben konnte. Technisch hat das leider nicht richtig funktioniert, aber als ich sie später noch einmal angerufen habe, habe ich Rotz und Wasser geheult. Im Vorfeld dachte ich nicht, dass es so emotional werden würde, aber es war wohl mehr Druck vorhanden, als ich wahrhaben wollte. Als der dann abfiel, war das ein echt großer Moment.

Gab es auf dem Weg zum Titel diesen einen Schlüsselmoment?

Klopp: Rückblickend war es möglicherweise das Leicester-Spiel. Wir sind nach Katar geflogen, um Klub-Weltmeister zu werden. Alle haben uns gefragt: "Warum macht ihr das? Nehmt doch nicht daran teil!" Gleichzeitig war auch ein Pokalspiel, zu dem wir schließlich unsere U23 beziehungsweise fast unsere U19 hingeschickt haben. Damit waren nicht viele glücklich. In einer intensiven Phase wurde es noch intensiver, weil wir in Katar andere klimatische Bedingungen vorfanden und aufgrund von Verletzungen nicht den breitesten Kader zur Verfügung hatten. Nach der Rückkehr wusste niemand so recht, wo wir stehen, aber zwei Tage später haben wir in Leicester gespielt und deren Mannschaft vom Platz gehauen (4:0-Sieg; Anm. d. Red.). Das war mit das beste Spiel der Saison - da dachte ich mir: Okay, jetzt haben wir womöglich den letzten Stresstest absolviert, das könnte durchaus klappen dieses Jahr.

Wie wäre die Reaktion ausgefallen, wenn die Saison aufgrund von Corona kurz vor dem Ziel doch noch abgebrochen worden wäre?

Klopp: Ich weiß nicht, ob das wirklich im Raum stand. In der ersten Pandemie-Zeit wusste man ja gar nicht, wie lange es dauern und wie lange der Fußball pausieren würde. Damals dachte man, das wäre ein riesiges Problem. Heute wissen wir, dass es ganz andere Probleme als den Fußball gibt. Aber als die Gerüchte aufkamen, habe ich körperlichen Schmerz verspürt, weil wir so nah dran waren und eine großartige Saison gespielt hatten. Wäre es eine normale Saison gewesen, sagen wir zwei, drei Punkte Vorsprung auf City oder einen anderen Kontrahenten, und diese wäre abgebrochen worden, hätten wir damit leben müssen. In Holland war das ja der Fall, aber bei 25 Punkten Vorsprung hätte man schon sagen können, dass Liverpool bei einem Saisonabbruch Meister ist. Das wäre zwar nicht das Gleiche gewesen, aber genommen hätte ich es trotzdem. Die Spielzeit für nichtig zu erklären, wäre ganz, ganz hartes Brot gewesen. Dafür haben die Jungs zu viel investiert. Was unsere Fans gemacht hätten - darüber will ich nicht nachdenken.

FC Liverpool, Jürgen Klopp, FC Bayern München, Hansi Flick
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Klopp: "In der Kabine ergreifen die Spieler das Wort"

War ein möglicher Saisonabbruch innerhalb der Mannschaft ein Thema?

Klopp: Klar war das ein Thema. Bei den Jungs war die Gefühlslage ähnlich wie bei mir, denn niemand wollte sich ein solches Szenario vorstellen. Es war in einer Phase, in der man gerade lernte, mit der Pandemie umzugehen und plötzlich kommt der Vorschlag um die Ecke, die Saison für nichtig zu erklären. Natürlich verursachte das auch bei den Spielern körperliche Schmerzen.

Sich ständig neu zu motivieren und sich immer wieder auf neue Gegebenheiten einzustellen, war auf dem Weg zum Titel entscheidend. Auch die Spieler selbst hielten innerhalb der Mannschaft des Öfteren Ansprachen. Hat sich eine davon besonders bei Ihnen eingeprägt?

Klopp: In der Kabine ergreifen die Spieler das Wort. Meine Ansprache bezüglich Aufstellung, Taktik, Herangehensweise und unter Umständen auch Motivation halte ich - wie beim BVB auch schon - im Mannschaftshotel. In Dortmund wurde ich später in der Kabine selbst auch noch einmal richtig aktiv, das ist in England anders. Mein Englisch ist zwar deutlich besser geworden über die Jahre, aber dieser Trash-Talk vor dem Spiel muss dann sitzen. Da kannst du dir nicht einen zurechtstolpern, deshalb mache ich das dort nicht. Aber mit der Mannschaft hatte ich Glück, denn dort gibt es genügend Spieler, die das übernehmen können. James Milner beispielsweise fasst meine Sitzung immer sehr gekonnt zusammen, oftmals schreiend mit allen notwendigen Worten, um den Jungs Feuer unterm Hintern zu machen. Eine besonders einprägsame Ansprache habe ich nicht im Kopf, aber es gibt viele, die einen großen Beitrag zum Erfolg geleistet haben. Die Mannschaft ist außergewöhnlich, das muss einfach gesagt werden. Die Jungs sind mit Rückschlägen sensationell umgegangen. Wenn man das schafft, hat man eine große Chance, daraus zu lernen und am Ende etwas dafür zu bekommen. Und das war bei uns glücklicherweise nun schon mehrfach der Fall, was mich unheimlich freut.

Warum sollte man sich die Dokumentation "The End Of The Storm" unbedingt anschauen?

Klopp: Weil es ein geiler Film geworden ist, denke ich. Dass ich ihn gut finde, kann man sich ja vorstellen, aber wenn man auf Sport-Dokus steht, sollte man ihn schauen. Für viele Leute ist das Fernsehen derzeit gezwungenermaßen die Haupt-Freizeitbeschäftigung. Dort reinzuschauen, lohnt sich auf jeden Fall. Liverpool ist ein geiler Verein, man muss kein Fan sein, um das zu erkennen. Die Geschichte des Klubs ist außergewöhnlich. Wenn ein solcher Klub 30 Jahre auf eine Meisterschaft warten muss und es dann endlich schafft, ist eine Dokumentation darüber definitiv sehenswert.

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