Justin Fashanu: Die tragische Geschichte von Englands einstigem Wunderkind

Von Dennis Melzer
Justin Fashanu mit 19 Jahren im Trikot seines ersten Profiklubs Norwich City.
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Trainer beleidigt Fashanu als "Schwuchtel"

Noch wütender wird der Coach allerdings, als er davon erfährt, dass Fashanu offenbar in den einschlägigen Schwulen-Bars der Stadt verkehrt. In der Kabine beschimpft Clough seinen Schützling daraufhin als "Schwuchtel" und wirft ihn aus dem Kader. Doch der Angreifer will sich nicht mit der Suspendierung abfinden, taucht trotzdem beim nächsten Training auf. Es kommt zu einer Auseinandersetzung, weil Mitspieler und Trainer Fashanu des Feldes verweisen wollen, Clough dieses Vorhaben sogar mit Tritten forciert haben soll. Weil sich Fashanu dennoch stur zeigt und mittrainieren will, wird die Polizei gerufen, die den Ausgebooteten letztlich vom Vereinsgelände führt.

Erst viele Jahre später, in seiner 2002 erschienenen Biografie "Walking on Water", gibt sich Clough reumütig, gibt sogar zu Protokoll, mitverantwortlich für den Freitod seines ehemaligen Spielers zu sein. Er schreibt: "Ich war für ihn verantwortlich, denn er fiel in meinen Zuständigkeitsbereich als Trainer, aber ich habe ihm nicht geholfen."

Fashanu allerdings findet seit dem Vorfall nicht mehr in die Spur, 1983 setzt ihn eine schwerwiegende Knieverletzung außer Gefecht, die damit verbundenen Kosten für Operation und Reha sind immens. Versuchte Comebacks bei unterklassigen Vereinen in den USA und Kanada tragen nicht die erhofften Früchte, zwischenzeitlich eröffnet der früher hochgelobte Emporkömmling eine Schwulen-Bar in Los Angeles. Später überredet ihn ein Freund, der protestantischen Fundamentalistengruppe "Born-again Christians" beizutreten, die Homosexualität kategorisch ablehnen.

Indoktriniert vom reaktionären Weltbild der Gemeinschaft, bewegt sich Fashanu weiterhin in der Schwulenszene, mit dem Unterschied, dies nicht mehr fröhlich, frei und unbedacht tun zu können, fühlt er sich aufgrund seiner neuentdeckten Nähe zu Jesus und dessen angeblicher Ablehnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen doch schuldig. In der Annahme, schwere Sünde zu begehen, zerreißt es Fashanu innerlich. Dann fasst er einen folgenschweren Entschluss.

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Fashanus Outing für 80.000 Pfund

Am 22. Oktober 1990 wird ganz England in Aufruhr versetzt, als Fashanus Foto völlig aus dem Nichts auf der Boulevardzeitung The Sun zu sehen ist, daneben prangen fettgedruckte Buchstaben, die die Schlagzeile "Eine Million teurer Fußballstar: ‚Ich bin schwul!'" ergeben. "Ich dachte, wenn ich mich in der schlimmsten Zeitung oute und dann stark bleibe, gäbe es nichts mehr, was noch zu sagen wäre", begründet der mittlerweile 29-Jährige seinen Schritt, zu dem er sich eigenen Angaben zufolge nur wenige Tage vorher entschlossen habe, weil sich ein guter Freund umgebracht hatte, der aufgrund seiner Homosexualität von der eigenen Familie verstoßen worden war. Nebenbei streicht Fashanu dafür, dass er der Sun die Exklusiv-Rechte an der Story liefert, satte 80.000 Pfund ein.

Bei seinem Bruder John, jener Tage aufstrebender Profi beim FC Wimbledon, stößt das Coming-out auf wenig Zustimmung. Vielmehr versucht er, Justin das Bestreben, sich öffentlich, in der auflagenstärksten Zeitung des Landes zu "bekennen", auszureden, bietet ihm sogar das gleiche Geld wie die Sun an, wenn er darauf verzichtet. Im Interview mit The Voice schießt John anschließend gegen Justin: "Mein schwuler Bruder ist ein Ausgestoßener".

Dass es nachfolgend wider Erwarten doch noch einiges zu sagen geben würde, ahnt Justin offenbar nicht. Von Regenbogenpresse bis hin zu den seriösen Medien reißen sie sich um den ersten geouteten Fußballprofi, reichen Fashanu herum, der bereitwillig Auskunft über Sex mit Popstars, Politikern, Schauspielern und Mannschaftskameraden gibt, sich in seiner Rolle offenkundig gefällt.

Lügen für leichtes Geld

"25 Prozent meiner Fußball-Kollegen sind schwul" oder "Im Fußball ist einer AIDS-Infektion Tür und Tor geöffnet", erzählt er. Justins Redseligkeit kommt nicht überall gut an, eher wird er im Königreich für sein Getratsche kritisiert. Dass er es bei seinen spektakulären Geschichten nicht immer mit der Wahrheit hält, kommt 1994 raus. Fashanu gibt zu, den englischen Abgeordneten Stephen Milligan, mit dem er ein vermeintliches Verhältnis habe, gar nicht zu kennen: "Ich habe gelogen, um an leichtes Geld zu kommen."

Frei nach dem Motto "wer einmal lügt, dem glaubt man nie mehr", kühlt das Medien-Interesse an Fashanu, der sich langsam wieder seinem eigentlichen Beruf widmen will, ab. Er heuert bei Trelleborgs FF in Schweden an, wechselt nur einen Monat später zum schottischen Erstligisten Hearts of Midlothian, wo er nach einem halben Jahr entlassen wird, weil Fashanu "dem Verhalten eines professionellen Fußballers nicht würdig" gewesen sei, heißt es vonseiten der Nachrichtenagenturen. Der Verein erklärt indes, Fashanu sei zwei Tage in Folge unentschuldigt dem Training ferngeblieben.

Dann das Wagnis in den USA, zunächst als Spieler bei Atlanta Ruckus, ab 1998 eben als Coach bei den bereits erwähnten Maryland Mania, wo er mit Vergewaltigungsvorwürfen konfrontiert in die Heimat flüchtet und leblos in der Garage am Fairchild Place aufgefunden wird.

Justin Fashanu im Trikot der englischen B-Nationalmannschaft und im Dress von Hearts of Midlothian.
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Justin Fashanu im Trikot der englischen B-Nationalmannschaft und im Dress von Hearts of Midlothian.

Der Fußball als rückständiges Phänomen

Es ist die Geschichte eines Mannes, der sich selbst als Vorreiter sah, als Kämpfer betrachtete, die konservativen Strukturen einer verstaubten Gesellschaft zu erschüttern. Fashanu wollte aufrütteln, andere dazu animieren, es ihm gleichzutun. Nur nahm er bei seinem ehrsamen Unterfangen immer wieder falsche Abzweigungen, Wege, die in Lügen und fragwürdiger Selbstinszenierung endeten.

Über 27 Jahre nachdem einer, der bis heute Mutigste von allen, nicht länger mit der Bürde des Versteckspielens leben wollte, hat die Toleranz in allen Teilen von Gesellschaft und Kultur Einzug erhalten. Doch bildet der Fußball als "Sport für echte Männer" noch eine der wenigen Enklaven, wo Homosexualität traurigerweise totgeschwiegen wird. Und so wird sich der ein oder andere aktive schwule Fußballer, der nach wie vor einen Mantel des Schweigens über seine Sexualität legt, denken: "Du weißt nicht, wie das ist, wenn man immer eine Maske trägt, immer aufpassen muss, wer man ist, wie man lebt. Aber ja, es wird besser und der Tag ist in Sicht. Einer wird es schaffen, aber ich bin es nicht."

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