"Geil, Anfield Road!"

Von Interview: Jochen Tittmar
Gerhard Tremmel hat 127 Spiele in der deutschen Bundesliga auf dem Buckel
© Imago

Gerhard Tremmel, früher langjähriger Stammtorwart bei Energie Cottbus, rockt derzeit mit seinem walisischen Klub Swansea City die englische Premier League. Aufgrund einer Verletzung von Keeper Michel Vorm steht Tremmel nun zwischen den Pfosten und weist eine makellose Bilanz auf. Im Interview spricht der 34-Jährige über die kuriosen Umstände seines Wechsel zu den Swans, Alkoholleichen im Mannschaftsbus und erklärt, was hinter "Swanselona" steckt.

Cookie-Einstellungen

SPOX: Herr Tremmel, Sie waren zwölf Jahre als Profi in Deutschland aktiv und haben 2010 dann den Sprung ins Ausland zu Red Bull Salzburg gewagt. Dort blieben Sie aber nur eine Saison. Wieso?

Gerhard Tremmel: Ich hätte auch für drei Jahre unterschreiben können. Ich bin dorthin gewechselt, weil sich Stammkeeper Eddie Gustafsson schwer verletzt hatte. Er war Publikumsliebling, wurde Meister und spielte zuvor eine starke Saison. Mir war also klar, dass es weder für ihn noch für mich eine angenehme Situation werden wird, wenn er wieder zurückkommt. Daher wollte ich mich nicht lange binden.

SPOX: Sie kickten zuvor jahrelang in der Bundesliga. Hat der österreichische Fußball Ihnen getaugt?

Tremmel: Das war die andere Sache: Ich war damals 32, das ist kein hohes Alter für einen Torhüter. Mir war die Qualität in der Liga nicht hoch genug, um dort dauerhaft aktiv zu sein. Salzburg war für mich zunächst auch die Chance, international zu spielen, was ja dann mit der CL-Quali und der Europa League geklappt hat.

SPOX: Man hatte im vergangenen Jahr nicht unbedingt damit gerechnet, dass Sie bei Swansea City in der Premier League anheuern. Wie ist denn der Kontakt entstanden?

Tremmel: Eines vorweg: Ich hatte mit Swansea richtig Glück. Der Verein hielt in der Nähe von Salzburg ein Trainingslager ab und ich wusste, dass sie nach Torhütern Ausschau halten. Ich versuchte also auf mehreren Wegen, selbst Kontakt zum Klub herzustellen. Glücklicherweise war der Jugend-Torwart-Koordinator von Red Bull, der sonst in New York arbeitet, für ein Jahr in Salzburg - er kam gebürtig aus Swansea und arbeitete bereits für den Verein.

SPOX: Ab da müsste es dann ein Selbstläufer gewesen sein, oder?

Tremmel: Er kannte natürlich den aktuellen Torwarttrainer von Swansea und nach ein paar SMS wurde ich eingeladen, im Trainingslager mal vorbeizuschauen. So habe ich dann zwei Mal dort mittrainiert und Brendan Rodgers meinte direkt, dass er mich gerne mitnehmen würde. Ich fragte ihn: 'Wie jetzt, mitnehmen?' Er: 'Direkt mit nach Wales, wir fahren morgen ab.' Und so saß ich von heute auf morgen im Mannschaftsbus, bin mitgeflogen, habe noch ein letztes Testspiel gegen Celtic absolviert und dann war klar, dass sie mich verpflichten wollten.

SPOX: Es hieß, dass Sie bei der Abfahrt mit dem Bus zum Flughafen plötzlich zwischen ein paar Alkoholleichen saßen, die ihren Rausch ausschliefen.

Tremmel: Das ist halt bei denen so. Im Gegensatz zu Deutschland funktioniert das hier anders (lacht). Das war eben nach dem Abschlussabend im Trainingslager. Man hatte hart gearbeitet und durfte dann noch in Salzburg ausgehen. Ich selbst bin irgendwann um 6 Uhr früh vor dem Hotel zur Abfahrt hinzugestoßen, da sahen die meisten dann nicht so gesund aus. Ich saß im Bus und alles um mich herum hat gepennt.

SPOX: Gab es eigentlich schon zu einem früheren Zeitpunkt Ihrer Karriere Kontakte in die Premier League?

Tremmel: Zu meiner Erstligazeit in Cottbus gab es wohl mal ein paar Anfragen, aber nichts Konkretes. Es ist generell nicht so leicht, auf die Insel zu kommen, wenn man beispielsweise keine Kontakte zu englischen Beratern hat. Ich wollte aber schon immer nach England. Der Fußball und die Stimmung faszinieren mich sehr, das Flair ist einfach nicht eintauschbar.

SPOX: Sportlich steht jedoch Michel Vorm vor Ihnen. Wie war das bei den ersten Kontakten zu Rodgers geregelt: Wussten Sie davon, dass auch Vorm verpflichtet werden sollte?

Tremmel: Nach dem besagten Spiel gegen Celtic hat mir Rodgers auch mitgeteilt, dass auf jeden Fall auch noch ein anderer Torhüter kommen wird, mit dem ich dann um den Platz im Tor kämpfen müsse. Vorm stand da schon in Verhandlungen mit dem Verein. Er kam dann Anfang August, ich habe meinen Vertrag aber erst vier Wochen später, kurz vor Ende der Transferfrist, unterschreiben können. So stand Vorm dann im ersten Spiel im Kasten und da die Saison so sensationell für uns lief, hat sich daran auch nichts mehr geändert.

SPOX: Durch die Verletzung von Vorm (Leiste) stehen Sie derzeit im Kasten und bringen richtig starke Leistungen: In sechs Pflichtspielen kassierten Sie nur vier Gegentore und verloren kein Spiel, darunter gegen Teams wie Chelsea, Arsenal oder Liverpool. Hat da das Herz nochmal höher geschlagen?

Tremmel: Es ging für mich ja Schlag auf Schlag, alle paar Tage ein Spiel. Da hat man kaum Zeit, das alles zu realisieren. Klar, im Nachklapp sagt man schon: Geil, Anfield Road! Aber vor und während des Spiels ist man so fokussiert, da darf man sich nicht in die Hosen machen, nur weil der Gegner Chelsea statt Hamburg heißt. Unterm Strich ist es immer und überall nur Fußball.

SPOX: Swansea hat in seiner Art Fußball zu spielen einen gewissen spanischen Touch. Vor Rodgers standen der Spanier Roberto Martinez und der Portugiese Paulo Sousa an der Seitenlinie, Michael Laudrup führt diese Tradition nun fort. Wie äußert sich das in der Philosophie des Vereins?

Tremmel: Für den Verein steht einfach ganz klar fest, dass man nicht den klassischen englischen Fußball spielen möchte wie es beispielsweise Stoke oder West Ham tun: Die Bälle hoch und lang vorne reinhauen und dann auf die langen Kerle hoffen. So etwas möchte man in Swansea nie sein. Der Fokus auf technische Fähigkeiten und Kurzpassspiel hat sich unter jedem Trainer weiter entwickelt. Unter Rodgers gipfelte dieser Fortschritt.

SPOX: Es war ja auch von "Swanselona" die Rede. Beschreiben Sie doch bitte einmal den Fußball unter Rodgers etwas genauer.

Tremmel: Er ist ein Fanatiker des Ballbesitzes. Das geht schon beim Torhüter los, der auch unter größten Drucksituationen immer passen, passen, passen soll. Für den Großteil der Spieler war dies mit der Zeit in Fleisch und Blut übergegangen, so dass es in der vergangenen Saison einfach sehr gut und gepflegt aussah.

SPOX: Was ist nun unter Michael Laudrup anders?

Tremmel: Seine Philosophie ist natürlich ähnlich, er legt aber mehr Wert auf Zielstrebigkeit, auf Pässe in die Tiefe. Wenn man zu viel Ballbesitz hat, gibt es irgendwann die Problematik, die der FC Bayern am Ende unter Louis van Gaal hatte: Man spielt wie im Handball um den Strafraum herum, aber es kommt nur wenig dabei rum. Bei uns stimmt die Balance im Moment, wir kombinieren quasi die Elemente von Rodgers mit denen von Laudrup.

SPOX: Oft wird auch vom besonderen Teamgeist in England geschwärmt. Wie ist das in Swansea, worin unterscheidet sich der Zusammenhalt von den Erfahrungen, die Sie bisher gemacht haben?

Tremmel: Der Begriff der Einheit auf dem Platz hat hier schon eine eigene Bedeutung, nämlich die im tatsächlichen Wortsinne. Es werden auf dem Feld keine Schuldigen gesucht und niemand angemotzt. Außerhalb des Platzes sieht es so aus: Wenn wir losziehen, dann ziehen wir mit allen los (lacht). Grüppchen gibt es bei uns nicht.

SPOX: Stimmt eigentlich das Gerücht, dass die Spieler in Swansea ihre Trikots selbst waschen?

Tremmel: Nicht mehr. Vor ein paar Jahren war das aber in der Tat noch so. Da ging es aber um die Trainingsklamotten, nicht die Trikots. Die musste man mit nach Hause nehmen und waschen. Am Spieltag selbst läuft es wie in Deutschland aber sehr professionell ab.

SPOX: Inwiefern hat sich denn diese Lockerheit auch auf Sie als Person übertragen?

Tremmel: Es tut mir unglaublich gut. In Deutschland muss man funktionieren wie eine Maschine. Sobald man den Ball falsch stoppt, geht sofort das Geraune los. Hier ist die Spielvorbereitung professionell, aber wesentlich lockerer. Wir treffen uns drei Stunden vor dem Spiel, essen zusammen und dann macht jeder sein Ding in der Kabine, es wird gelacht und Musik gehört. Da ist man nicht so einkaserniert wie in Deutschland, wo keiner mehr spricht und total verbissen an die Sache herangeht.

SPOX: Wie lebt es sich denn eigentlich in Wales? Ich nehme an, dass das am Anfang schon etwas anderes war.

Tremmel: Es war schon eine Umstellung, gerade nach dem Urlaubsfeeling, das einem die Umgebung in Salzburg immer vermittelte. Es hat zudem ein bisschen Zeit gebraucht, mich daran zu gewöhnen, dass meine Frau in Berlin blieb, um ihr Studium dort zu beenden. Ich fühle mich mittlerweile aber pudelwohl. Von meinem Balkon aus kann ich direkt aufs Meer blicken - herrlich!

SPOX: Schauen wir in die Zukunft: Michel Vorm, dessen Vertrag kürzlich bis 2016 verlängert wurde, wird wohl nach seiner Verletzung wieder ins Tor zurückkehren, Ihr Arbeitspapier läuft zudem nächstes Jahr aus. Wie geht es weiter?

Tremmel: Ich kann leider nicht sagen, was nach dem Saisonende passiert oder dann, wenn Michel Vorm wieder fit ist. Das sind Entscheidungen, die nicht ausschließlich in meinen Händen liegen. Das soll jetzt nicht blöd klingen, ich mache mir einfach keinerlei Gedanken darüber, sondern genieße meine Zeit in vollen Zügen.

Gerhard Tremmel im Steckbrief