Die vergessene Lichtgestalt

Von Martin Jahns
Michael Owen bleibt bei Manchester United nicht mehr viel Zeit, um sich zu empfehlen
© Getty

Einst war Michael Owen der Hoffnungsträger des englischen Fußballs. Doch die eigene Verletzungsanfälligkeit sollte eine Ausnahmekarriere verhindern. Bei Manchester United führt der inzwischen 32-Jährige nun einen verzweifelten Kampf gegen das Vergessen.

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Am 30. Juni 1998 wird in St. Etienne ein Held geboren: Es läuft die 16. Spielminute des WM-Achtelfinals zwischen England und Argentinien. David Beckham spielt einen Pass in den Mittelkreis auf Michael Owen. Der nimmt den Ball an, zündet den Turbo und zieht Richtung Strafraum.

Jose Chamot kann dem 18-Jährigen nicht folgen, an der Strafraumgrenze ist Roberto Ayala mit einem schnellen Haken Owens überfordert. Aus 14 Metern in halbrechter Position zieht der Engländer trocken mit rechts ab und vollendet unhaltbar ins linke Eck - 2:1 für England, eine Nation außer Rand und Band. Es war die späte Revanche für Maradonas Hand Gottes und sein Jahrhunderttor nach einem Solo über den halben Platz 1986.

Auch wenn die Three Lions die Partie am Ende im Elfmeterschießen verloren, war sie doch die Geburtsstunde eines neuen Hoffnungsträgers für das Mutterland des Fußballs.

Nicht einmal ein Jahr zuvor, im Mai 1997, debütierte der gerade einmal 17-jährige Milchbubi für den großen FC Liverpool in der Premier League und erzielte schon in seiner ersten Partie gegen den FC Wimbledon sein erstes Tor. Acht Monate später berief ihn Nationaltrainer Glenn Hoddle erstmals in die englische Nationalmannschaft.

Englands größtes Juwel

In seiner ersten kompletten Ligasaison 1997/98 erzielte Owen starke 18 Tore. So entwickelte er sich innerhalb eines Jahres vom Nobody zu einem der vielversprechendsten Talente des Weltfußballs. Vor der darauf folgenden Saison ließ Liverpool seinen Topstürmer für ca. 90 Millionen Euro versichern - noch einmal 18 Millionen Euro mehr als es Real Madrid für Weltfußballer Ronaldo tat.

Michael Owen war neben David Beckham der Popstar des englischen Fußballs. Die Zeitungen überboten sich mit Anekdoten über den bescheidenen Jungen aus Chester. Die "Welt" berichtete von einem 20-jährigen Koma-Patienten, der nach einer Tonbandnachricht seines Idols wiedererwachte.

Michael Owen erinnerte sich an einen Vorfall mit einem Kind, das nicht sprechen konnte: "Ich gab ihm ein Autogramm. Später hörte ich, dass die einzigen Worte, die es sagen konnte, 'Michael Owen' waren."

Bei Liverpool ein Leistungsträger

Doch Owen wusste den surrealen Wirbel um seine Person richtig einzuordnen: "Jeder erzählt mir, wie viel ich in meinem Alter schon erreicht habe. Doch ich habe noch gar nichts vorzuweisen, ich habe noch nicht mal eine Medaille gewonnen."

Und er legte nach: In den folgenden sechs Spielzeiten erzielte er nur einmal weniger als 16 Tore (1999/2000: 11 Tore). In 216 Ligaspielen für den FC Liverpool traf Owen 118 Mal. 2001 führte er seinen Verein zum UEFA-Cup-Sieg und wurde schließlich zu Europas Fußballer des Jahres gewählt.

Intermezzo bei den Königlichen

Das brachte auch die Fußball-Supermächte auf den Plan: Im Sommer 2004 wechselte Owen für 12 Millionen Euro zu den "Galaktischen" von Real Madrid, wo er trotz der Konkurrenz durch Ronaldo, Raul und Fernando Morientes in einer Saison auf 36 Ligaeinsätze und 13 Tore kam.

Dennoch vermisste Owen bei den Königlichen die Unterstützung, die er an der Anfield Road erfuhr: "Ich hatte einen Lauf und habe sieben Spiele am Stück getroffen. Im nächsten Spiel habe ich in den ersten 55 Minuten kein Tor geschossen und wurde ausgewechselt. Im nächsten Spiel saß ich auf der Bank. Daran sieht man, wie schwierig es war."

Owen zog es zurück in die Premier League - seine Liga. Da Real Madrid für die kommende Saison mit Robinho und Antonio Cassano zudem zwei weitere Stürmer verpflichtete, entschied er sich für einen Wechsel zu Newcastle United.

Newcastle - Der Anfang vom Ende

Doch aus der triumphalen Rückkehr in die Heimat sollte der Beginn einer Leidenszeit werden, die bis heute andauert. Owen haderte weniger mit der Konkurrenz, als mit seinem eigenen Körper, der der Belastung Profifußball immer weniger gewachsen schien.

Im Spiel gegen Tottenham zu Silvester 2005 zog sich Owen einen Mittelfußbruch zu. Die Sorge in England um die Teilnahme des Nationalstürmers bei der WM 2006 in Deutschland war groß. Nationalcoach Sven-Göran Eriksson sagte: "Ich hoffe, dass er so schnell wie möglich zurückkommt und werde seine Fortschritte genau verfolgen. Michael ist ein sehr wichtiger Stürmer für seinen Verein und die Nationalmannschaft."

Owen kam rechtzeitig zurück - mit fatalen Folgen: Im Vorrundenspiel gegen Schweden stockte England nach nicht einmal einer Minute der Atem, als Michael Owen ohne gegnerische Einwirkung an der Seitenlinie zusammensackte und vom Feld robbte.

"Ich wusste direkt, dass mir etwas Schlimmes passiert ist. Für mich sind die Verletzung und das Aus bei der WM ein schwerer Schlag," so Owen. Die erschütternde Diagnose: Kreuzbandanriss und knapp ein Jahr Verletzungspause.

Verpasste Chance in Manchester

Erst in der Saison 2007/2008 konnte Owen wieder angreifen und meldete sich mit elf Toren in 29 Spielen zurück. Doch da befand sich Newcastle längst im Sturzflug. 2009 stieg der damals 29-Jährige mit den Magpies ab und stand auf einmal ohne Vertrag da.

Unerwartet öffnete sich für ihn eine neue Tür, mit der selbst er nicht mehr gerechnet hatte: "Alex Ferguson hat mich wie aus dem Himmel heraus angerufen und mich zum Frühstück eingeladen", sagte Owen: "Als er mich dann nach einem Wechsel gefragt hat, habe ich keinen Moment gezögert und zugesagt."

Die Chancen für Owen standen bei Manchester United nicht schlecht: Mit Carlos Tevez und Cristiano Ronaldo verließen zwei begnadete Offensivakteure gerade den Verein. Dimitar Berbatow war der einzige Konkurrent um den Platz neben Wayne Rooney. Owen, der zuletzt 2007 für die Nationalmannschaft auflief, hoffte auf einen Karriere-Aufschwung. Doch letztlich behielt Berbatow die Oberhand.

Zwischen Reha und Rennbahn

Inzwischen spielt Michael Owen bei United keine Rolle mehr. In der Liga stand er diese Saison nur einmal auf dem Platz. Als er in der Champions League gegen Otelul Galati eine Einsatzchance bekam, verletzte sich Owen nach elf Minuten erneut und stand den Red Devils seitdem nicht zur Verfügung.

In Manchester hat der inzwischen 32-Jährige keine Perspektive. Die Lichtgestalt von einst führt ein Schattendasein zwischen Ersatzbank und Reha-Zentren. In der Presse war er zuletzt höchstens wegen seines Rennpferds "Brown Panther", das das Derby in Owens Heimadstadt Chester gewann.

Ans Aufgeben denkt er dennoch nicht. Zu "Sky Sports News" sagte er im November: "Ich glaube, dass ich noch ein paar Jahre in mir habe, und ich liebe den Fußball noch immer."

Owens schwerster Kampf

Dass er dies weiterhin bei United tut, ist unwahrscheinlich. Owens Vertrag läuft Ende dieser Saison aus. Eine Verlängerung rückt angesichts der immer wieder neuen Verletzungen in weite Ferne. Schon die Verlängerung seines Vertrags für diese Saison sorgte bei nicht wenigen United-Anhängern für Unverständnis.

Der Frust bei Owen ob seiner Situation sitzt tief. Als ein Tweeter ihn anschrieb, ob sein Wort des Jahres nicht "verletzt" oder "Ersatzbank" sei, reagierte Owen ungehalten: "Großartig, zumal auf deinem Profilbild eine große Rolle Fett über deiner Hose hängt. Ich hatte ein erfolgreiches Leben. Du auch? Bauer!"

Michael Owen bleibt nur noch ein halbes Jahr im Kampf gegen das Vergessen und um eine weitere Saison in der Premier League. Ein Kampf, in dem sich sein Körper gegen ihn verschworen hat.

Michael Owen im Steckbrief

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