"Ich könnte Eskimos Schnee verkaufen"

Von Markus Matjeschk
Ian Holloway führte den FC Blackpool nach 39 Jahren zurück in die Premier League
© Getty

Er gilt als Spaßvogel im englischen Profifußball und seine Anekdoten sind über die Premier League hinaus bekannt. Doch es gibt noch eine andere Seite des Ian Holloway. Ein Porträt über den außergewöhnlichen Trainer des FC Blackpool, bei dem man nie so recht weiß, was als nächstes kommt.

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Da stehen sie, aufgestellt in Reih und Glied. Zweiundzwanzig Teddybären, fein säuberlich in zwei Gruppen eingeteilt. Es ist der zweite Weihnachtsfeiertag des Jahres 2009. Boxing Day in der Premier League - und Blackpools Coach Ian Holloway packt bei der Taktikbesprechung statt zur Magnettafel zur Puppenkiste.

Holloway ist mit seinem FC Blackpool in der englischen Championship zu Gast bei Derby County. Im Besprechungsraum des Hotels trauen die Seasiders-Kicker ihren Augen kaum. Abwehrspieler Ian Evatt erinnert sich noch heute an das Szenario: "Die Bären hatten alle ein Namensschildchen. Jeder musste nachschauen, ob sein Name auf einem der Bären stand. War das der Fall, wusste man, dass man spielt."

Rückkehr nach 39 Jahren

Seit 2009 hat Ian "Ollie" Holloway die Zügel bei den Tangerines in der Hand - und das äußerst erfolgreich. Nach 39 Jahren Abstinenz führte der heute 47-Jährige Blackpool im vergangenen Jahr zurück ins Fußball-Oberhaus. Neuland auch für Holloway, der zum ersten Mal in seiner Trainerkarriere in der Premier League aktiv wird.

Aus einem Abstiegskandidaten der zweiten englischen Liga formte er, auch dank zahlreicher Transfers, eine Mannschaft, die sich derzeit achtbar in der Premier League hält.

Dabei entspricht die interne Struktur nicht gerade den gewöhnlichen Gepflogenheiten anderer Premier-League-Klubs. Zu Beginn der Saison arbeiteten gerade einmal 30 Angestellte für Blackpool.

Abstiegskandidat Nummer eins

Schon vor Anpfiff des ersten Spieltags wurde der Aufsteiger von vielen Seiten zum Abstiegskandidaten Nummer eins deklariert. Frei nach der Devise: Keine Namen, keine Punkte. Eine irrwitzige Kausalverknüpfung. Die offensive Spielweise mit dem Hang dazu, die Defensivarbeit zu vernachlässigen, sollte ihr Übriges tun.

Doch weit gefehlt, Blackpool hält sich derzeit im Mittelfeld der Tabelle. Das Team funktioniert als Kollektiv, an der Spitze steht mit dem Trainer die einzig schillernde Figur: "Ich bin absolut überzeugt von dem, was ich tue, und sobald ich mich einmal mit jemandem unterhalten habe, dann ist er es auch. Ich könnte Eskimos Schnee verkaufen."

Für derartige Statements und seine Mixed-Zone-Metaphern ist Blackpools Trainer auch über die Premier League hinaus bekannt. Vielerorts wird er dafür belächelt oder kurzerhand zum extrovertierten Spaßvogel abgestempelt. Doch um das Phänomen Holloway und seine Art, mit Menschen und Medien umzugehen, zu verstehen, muss man einen Blick hinter das Bild werfen, das die breite Öffentlichkeit kennt.

Rückschläge im Privatleben

Denn gerade in seinem Privatleben hatte Holloway nicht immer Grund zum Lachen. Drei seiner vier Kinder sind taub, ihnen eine den Gegebenheiten entsprechende Ausbildung zu ermöglichen, entwickelte sich zum Hürdenlauf. Während seiner aktiven Zeit bei den Queens Park Rangers fuhr Holloway täglich 400 Kilometer, um die Schule der Kinder mit seinem eigenen Training zu verbinden.

Zudem erkrankte seine Frau Kim an Lymphkrebs. Holloway weiß, dass es im Leben weitaus Schlimmeres gibt, als ein Fußballspiel zu verlieren.

Bestseller in England

Mit seinen 47 Jahren hat Holloway schon viel erlebt. So war es fast die logische Konsequenz, dass er 2007 seine Biographie mit dem Titel "Ollie" auf den Markt brachte. Ein weiteres Buch, "Little Book of Ollie'isms", eine Sammlung der besten Holloway-Sprüche, wurde in England sogar zum Bestseller. Holloways Statements werden oft und gerne zitiert, vielen ist er nur aufgrund dessen ein Begriff.

Nach einer Niederlage gegen Notts County resümierte er einmal: "Wir brauchen einen großen, hässlichen Verteidiger. Wenn wir so jemanden in unserem Team hätten, wäre Countys erstes Tor nicht gefallen. Der hätte Ball, Gegenspieler und die ersten drei Zuschauerreihen weggeflext."

Unkonventionell und ungebremst

Auch zur Diskussion um Torkameras hat Holloway den passenden Vergleich parat: "Ich verstehe nicht, warum sie nicht eingesetzt werden. Die Schiedsrichter können mittlerweile sehr einfach miteinander kommunizieren. Warum benutzen wir keine Computer, die miteinander verbunden sind und binnen fünf Sekunden zu einer Entscheidung kommen? Sogar ein Schimpanse könnte das machen - ohne viel Training. Wir könnten natürlich auch wieder in die Steinzeit zurückkehren und unsere Frauen an den Haaren in unsere Höhle zerren - ob sie wollen oder nicht. Wir haben uns doch weiterentwickelt, oder etwa nicht?"

Holloway geht seinen eigenen Weg: geradeaus, unkonventionell. Deshalb wird man auch weiterhin über seine Interviews schmunzeln können.

Besagtes Spiel gegen Derby County gewann Blackpool übrigens mit 2:0. Holloways ungewöhnliche Taktikbesprechung kam bei den Spielern an. Ian Evatt stand damals wie heute im Seasiders-Kader: "Unser Coach hat großartige Ideen, aber das Beste war die Bären-Nummer!"

Bei aller Ernsthaftigkeit den Sinn fürs Spielerische behalten - Ian Holloway hat es zu seinem Markenzeichen gemacht.

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