Der unbekannte Thronfolger

Von Markus Matjeschk
Anders Lindegaard wechselt zu den Red Devils und soll Nachfolger für Edwin van der Sar werden
© Imago

Wenn Edwin van der Sar nach der Saison seine Handschuhe endgültig an den Nagel hängt, hinterlässt er ein großes Loch im Tor von Manchester United. Doch die Engländer haben sich auf der Suche nach dem Nachfolger nicht wie von vielen erwartet für einen Renommierten des Weltfußballs, sondern für einen Nobody aus Dänemark entschieden. Zumindest vorläufig.

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"Du meine Güte! Ist das alles?" - Die "Daily Mail" verzweifelte schier bei dem Versuch, ihren Lesern Uniteds neuen Keeper vorzustellen. Ein paar lieblose Zeilen, dann das ernüchternde Zwischenfazit.

Die britische Tageszeitung hätte sich mal lieber bei Cristiano Ronaldo erkundigt. Denn Portugals Superstar wird seine erste Begegnung mit Anders Lindegaard so schnell nicht vergessen.

Als Dänemarks Ersatzkeeper in der EM-Quali nach einer halben Stunde völlig kalt für den verletzten Thomas Sörensen zwischen die Pfosten musste, stand es schon 2:0 für die Portugiesen. Eigentlich ein gefundenes Fressen für CR7.

Doch was dann folgte, muss für Ronaldo wie ein Alptraum gewesen sein. Mit unzähligen Fernschüssen bombardierte Portugals Kapitän den eingewechselten Lindegaard wie einen Endgegner in einem Videospiel. Lindegaard hielt dem Dauerbeschuss stand und brachte Ronaldo sichtbar zur Verzweiflung.

United wählt unpopuläre Variante

Doch wer stand ihm da eigentlich gegenüber? Selbst Experten staunten nicht schlecht, als der Transfer von Anders Lindegaard zu Manchester United vermeldet wurde. Viele Namen für das Van-der-Sar-Erbe waren in den vergangenen Wochen und Monaten in der Presse kursiert. Angefangen bei David de Gea von Atletico Madrid über Igor Akinfeev von ZSKA Moskau bis hin zu Manuel Neuer von Schalke 04 und Leverkusens Rene Adler - die Namen waren stets prominent. Am Ende entschied sich United für die unpopuläre Variante. Zumindest vorläufig.

Kostspielig ist die Wahl nicht. Umgerechnet fünf Millionen Euro überwiesen die Red Devils an den norwegischen Erstligisten Aalesunds FK, Lindegaard bekommt einen Vertrag bis 2014. Bereits im Winter wechselt er offiziell die Lager und hat damit zumindest ein halbes Jahr lang die Chance, Sir Alex Ferguson davon zu überzeugen, dass er keinen weiteren Keeper zu verpflichten braucht.

Lindegaard ist 26 Jahre alt, ein Youngster ist er also nicht mehr. Europäische Spitzenklubs sucht man in seiner Vita vergeblich, Lindegaards bisherigen Stationen gehen Fußball-Feinschmeckern eher zögerlich über die Lippen: Odense BK, Kolding FC und schließlich Aalesunds FK. Vier Länderspiele mit der dänischen Nationalmannschaft kann Lindegaard vorweisen. Nun der Wechsel auf die Insel. Lindegaards erste Anstellung außerhalb Skandinaviens.

Erinnerungen an Peter Schmeichel

Der Wechsel in den Nordwesten Englands soll der große Durchbruch werden: "Ich freue mich, dass ich demnächst mit so vielen großartigen Fußballern trainieren und spielen kann. Ich kann es kaum erwarten, dieser Mannschaft zu helfen, auch weiterhin ganz oben mitzuspielen."

Ein Däne im United-Tor - bei diesem Gedanken kommen die Anhänger der Red Devils noch heute regelmäßig ins Schwärmen. Gerne denken sie an "The Great Dane" Peter Schmeichel zurück. Mit ihm holten die Engländer fünf Meisterschaften und im Finale gegen den FC Bayern 1999 gar die Champions League. Mit Schmeichel werden große Erfolge verbunden. Lindegaard soll es ihm gleichtun.

Genau das bezweifelt Schmeichel aber. Zuletzt äußerte sich der zweimalige Welttorhüter wenig positiv über die Neuverpflichtung. Der "Telegraph" zitiert den mittlerweile 47-Jährigen mit den Worten: "Die Torwart-Position muss von jemandem bekleidet werden, der allerhöchste Qualität und die nötige Erfahrung hat." Qualität mag Lindegaard haben, erfahren ist er nicht. Erst bei seinem letzten Arbeitgeber, dem Aalesunds FK, schaffte er den Sprung zur Stammkraft.

Povlsen: "Van der Sar ist auch kein Kraftpaket"

Rückendeckung gibt es von anderer Stelle. Flemming Povlsen, Ex-Bundesliga-Profi (BVB, Köln) und Europameister von 1992, schwärmt gegenüber SPOX regelrecht von seinem Landsmann: "Er hat das gewisse Selbstbewusstsein, das ein Torwart haben muss. Er ist reaktionsschnell auf der Linie, antizipiert gut und leitet mit Abwürfen schnelle Gegenangriffe ein." Gleichzeitig weiß Povlsen aber auch um Lindegaards Schwächen: "Er muss an seiner Strafraumbeherrschung arbeiten und mehr Muskelmasse aufbauen. Allerdings ist van der Sar auch kein Kraftpaket."

Sein Potenzial zwischen den Pfosten ist unbestritten, vom Charakter ist Lindegaard jedoch ein ganz anderer Typ als sein Vorgänger in spe. Die "Daily Mail" beschreibt den 1,93-Meter-Schlaks kurz und knapp als "dominant, unerschrocken und ein bisschen verrückt". Keine besonders schmeichelhafte Charakterisierung für einen Mann, der sich in die Liste großer United-Keeper einreihen soll.

Spielpraxis als entscheidender Faktor

Die Bürde beim englischen Traditionsklub wird zweifelsohne groß sein. Ob der Verein Lindegaard die nötige Zeit gibt, um sich zu entwickeln, hält Povlsen für den wichtigsten Faktor auf dem Weg zum Durchbruch: "Ich glaube, dass er es in Manchester schaffen kann, wobei man abwarten muss, ob die dort noch einen Keeper verpflichten und er überhaupt eine Chance bekommt. Er braucht einfach Spielpraxis. Ob die bei Manchester gegeben ist, weiß ich nicht."

Das Experiment Lindegaard birgt für United durchaus Zündstoff. Einen Nobody als Van-der-Sar-Nachfolger zu installieren, ist ein gewagtes Unterfangen. Dass sich der Verein selbst noch nicht ganz sicher ist, ob er Lindegaard als künftige Nummer eins aufbauen will, zeigen jüngste Berichte, wonach United trotz Lindegaards Verpflichtung weiterhin nach einem neuen Torwart Ausschau hält.

Dänemarks Nummer zwei erhebt jedoch den Anspruch, Nummer eins im Red-Devils-Kasten zu werden. Der norwegischen Boulevardzeitung "Verdens Gang" erklärte Lindegaard selbstbewusst: "Ich gehe nicht nach Manchester, um dort auf der Bank zu sitzen."

Torwartfrage bleibt Top-Thema

Uniteds Torwartfrage wird die Medien auch in den nächsten Monaten beschäftigen. Trotz der Verpflichtung Lindegaards. Und auch dann, wenn Manchester doch noch einmal auf dem Torhütermarkt zuschlägt.

Cristiano Ronaldo kam an besagtem Abend übrigens doch noch zu seinem Treffer. Kurz vor Toresschluss brachte er den Ball aus kurzer Distanz zum 3:1-Endstand über die Linie. Was blieb, war Bewunderung für eine außergewöhnliche Torwartleistung. "Heute war es unglaublich schwer, ein Tor zu schießen", zollte Ronaldo nach dem Abpfiff Lindegaards Leistung Respekt. Ein kleiner Ritterschlag für einen bis dato für viele unbekannten Torwart.

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