Auswärtsspiel – die SPOX-Kolumne: Pepe und die Philosophie des Bösen

Von Fatih Demireli
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Pepe ist mit 38 Jahren immer noch ein Top-Verteidiger beim FC Porto. Er sammelte Titel wie kaum ein anderer und dennoch ist seine Karriere überschattet von einem Image des Rüpels. Während viele Weggefährten diesen Ruf nicht verstehen, ist der Portugiese eigentlich gerne so, wie er ist.

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Dieser Képler Laveran Lima Ferreira schreibt eine Lebensgeschichte, für die man ihn eigentlich lieben müsste. Pepe, so kennt man ihn weltweit, kommt aus Maceió, einem schönen Städtchen an der Atlantikküste Brasiliens.

Dort lebte er bis zu seinem 17. Lebensjahr mit seiner Familie. Er schlief noch mit 17 im Bett seiner Eltern, wie er in einem Interview mit Tribuna Expresso einst erzählte: "Ich glaube, meinem Papa hat das nicht so gefallen, weil ich schon sehr groß war."

Eines Tages verließ er das Bett und teilte seinen Eltern mit, dass er nach Europa aufbrechen will, um sich dort als Profifußballer zu probieren. Maritimo Funchal aus Portugal machte ihm ein Angebot, nachdem sich die Verantwortlichen eigentlich Abwehrspieler Ezequias ansahen. Pepe beobachteten sie nur 20 Minuten im Training und ihnen gefiel, was sie sahen.

Der Junge hatte Potenzial und außerdem wäre er für Ezequias ein guter Wegbegleiter, damit sich der Brasilianer nicht so allein fühlt. Um ehrlich zu sein, war Letzteres den Portugiesen sogar wichtiger. Pepe stand irgendwann am Lissaboner Flughafen. Seine Mutter hatte ihm viele Umarmungen und fünf Euro mitgegeben. Mehr war nicht drin.

Wenn Pepe das Fußball-Trikot anzieht...

Er hatte Hunger, wollte sich eigentlich eines dieser teuren Flughafen-Sandwiches kaufen. Oder er investiert das Geld in eine Telefonkarte, um Mama und Papa Bescheid zu geben, dass es ihm gut geht und er gut angekommen ist.

Er entschied sich für den Anruf. Ein paar Tränen flossen, auch nachdem ihm ein Kiosk-Mitarbeiter am Flughafen ein Baguette schenkte.

Dass dieser damals noch schmächtige Junge eines Tages zu einem der besten Abwehrspieler der Welt aufstieg, drei Mal die Champions League gewann, mit seiner neuen Heimat Portugal Europameister wurde und bei Real Madrid zu einer Ikone wurde, ist eine wunderschöne Geschichte. Sie erinnert so ein bisschen an den Fußball-Kinohit Goal! aus dem Jahre 2005.

Auch Santiago Nunez, gespielt von Kuno Becker, hatte man lieb. Doch dann zieht Pepe sein Fußball-Trikot an - und plötzlich ist alles anders.

"Dann hat er eine ganz eigene Identität, die manchmal nicht seine Persönlichkeit, sein Wesen, seine Gefühle widerspiegelt", sagt Nelo Vingada. Der Mann, der Pepe einst in Brasilien entdeckte, bringt nur sehr vorsichtig das zum Ausdruck, was man sonst über Pepe sagt.

Es gehört zum guten Ton, Pepe nicht zu mögen

Gary Lineker twitterte mal unverhohlen, dass Pepe ein "Arschloch" sei oder wie man "Pepe is such a dick" eben übersetzen möchte. Nett war es auf jeden Fall nicht, was die Fußball-Legende Englands sagen wollte. Er steht mit seiner Meinung nicht allein da. Es gehört zum guten Ton, Pepe nicht zu mögen, ihn als Raubein, Rowdy oder Treter zu bezeichnen.

Dafür hat er in seiner Karriere einfach zu oft geliefert. Ein Zusammenschnitt seiner Eskapaden wäre in Deutschland ein Fall für die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft. Die Instanz, die festlegt, welche Altersbeschränkungen Filme unterliegen.

Da ist der Clasico 2012, als Pepe im Trikot von Real Madrid Lionel Messi absichtlich auf die Hand trat. Den kleinen Argentinier trat Pepe ohnehin am liebsten. Einmal sagte er ihm während eines Spiels: "Gegen mich machst du dir immer in die Hose."

Da ist die brutale Attacke gegen Getafes Javier Casquero, die ihm 2009 zehn Spiele Sperre einbrachte und selbst Kollegen wie Iker Casillas entsetzte. Der Real-Torhüter schmiss Pepe damals eigenhändig vom Platz. Auch Thomas Müller machte schon Bekanntschaft mit Ellbogen, Kopf und Beschimpfungen bei der WM 2014.

Pepe vs. Messi: "Gegen mich machst du immer in die Hose"
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Pepe vs. Messi: "Gegen mich machst du immer in die Hose"

Muss Pepe seine Karriere beenden?

Als man Pepe in den letzten Jahren erst wieder liebgewann, kam es Anfang Februar zu heftigen Tumulten beim Spiel des FC Porto, wo er seit 2019 wieder spielt, gegen Sporting Lissabon. Pepe zettelte die Rudelbildung, an der rund 100 Personen teilnahmen und die auf dem Präsidenten-Parkplatz endete, zwar nicht an, aber er wurde zum Hauptdarsteller. Nicht nur, weil er die gegnerischen Spieler attackierte und die Rote Karte sah.

Die portugiesische Zeitung A Bola deckte auf, dass Schiedsrichter Joao Pinheiro in seinem Bericht dokumentierte, dass Pepe im Zuge der Tumulte Hugo Viana, Sportings Direktor für internationale Beziehungen, getreten haben soll. Auf Angriffe von Spielern auf Offizielle gelten in Portugal harte Strafen von zwei Monaten bis zu zwei Jahren.

Ob und wie der mehrmals vorbestrafte Pepe aus der Sache herauskommt, ist noch unklar. Eine Sperre von zwei Jahren wäre für den 38 Jahre alten Haudegen das Karriereende. Als Pepe Casquero malträtierte, sagte er später: "Bis heute kann ich nicht verstehen, was mit mir passiert ist." So ähnlich klang er häufig und wird man ihn zu den Ereignissen gegen Sporting befragen, wird er es auch tun.

Und auch viele Wegbegleiter können sich Pepes Verhaltensweisen nicht erklären. Da ist Entdecker Vingada, der sogar so weit geht und sagt: "Er ist der netteste Mensch der Welt, sehr umgänglich, aber wenn er auf das Spielfeld geht, hat er eine ganz eigene Identität als Spieler."

Bernd Schuster: "Pepe ist ein netter, umgänglicher Kerl"

Da ist auch Portugals früherer Nationalspieler Maniche, der 2009/10 für den 1. FC Köln spielte: "Dieser Ruf ist ungerecht. Hart anzugreifen ist nicht dasselbe wie gewalttätig zu sein. Das ist er nicht." Bernd Schuster war Pepes Trainer, als dieser Casquero trat und auch vom Deutschen gab es damals eine andere Pepe-Beschreibung: "Er hatte seine Nerven nicht im Griff. Dabei ist Pepe ein netter, umgänglicher Kerl. Nur wenn er das weiße Hemd überzieht, dreht er durch."

Die Farbe des Hemdes hat sich über die Jahre verändert, aber Pepe ist Pepe geblieben. Ein Schurke. Ein Schurke, der weiß, wie er ankommt und seinen Ruf pflegt. Auch verbal: "Ein Innenverteidiger muss hässlich spielen", sagte er im bereits zitierten Interview mit der Tribuna Expresso. Abseits des Platzes sei er aber kein Badboy: "Die Leute sagen, ich sei ein schlechter Kerl, aber neben dem Spielfeld bin ich ein sehr netter Mensch."

Ändern will er sich auch auf seine alten Tage nicht. Warum auch? Sie ist zu seiner Philosophie geworden. Die Philosophie des Bösen: "Die Leute müssen etwas sehr Einfaches verstehen: Ich werde meine Arbeit mit Händen und Füßen verteidigen. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt auf dem Spielfeld, damit kann ich das Essen für meine Familie bezahlen. Dafür mache ich alles."

Es ist sicherlich seiner Lebensgeschichte geschuldet, dass Pepe immer noch in diesen Sphären denkt, obwohl er in seiner schon sehr langen Karriere sehr gutes Geld verdient hat. Doch wie groß der Antrieb offenbar noch ist, sich und seiner Familie so viele Mittel anzuhäufen, damit sie sich nie wieder Sorgen machen müssen, bewies sein Weggang bei Real Madrid.

Die Spuren der Vergangenheit

Er war nach zehn Jahren Zugehörigkeit bei den Königlichen beliebt und überaus erfolgreich, doch weil Real Madrid ihm nur einen Ein-Jahres-Vertrag angeboten hatte, ließ er die Verhandlungen platzen und bot sich auf dem Markt an. Er ging in die Türkei zu Besiktas, wo man ihm jährlich fünf Millionen Euro im Jahr netto für drei Jahre versprach.

Als der Klub vom Bosporus nach anderthalb Jahren bemerkte, dass man Pepe gar nicht bezahlen kann, wechselte er zu Porto. Bei seinem Ex-Klub wurde er wieder zum Stammspieler, obwohl die Portugiesen mit Eder Militao und Felipe hervorragend besetzt waren.

Als Italien und Portugal damals in einem Nations-League-Spiel aufeinandertrafen, kam Italiens Abwehrgott Giorgio Chiellini aus dem Staunen nicht heraus. "Er war bei Real sehr wichtig. Mich überrascht es, dass er bei Besiktas spielt. Die Zeit vergeht, er wird älter, aber er hält sein Niveau", sagte Chiellini damals. Auch wenn er mit zunehmendem Alter von seiner damals brutalen Schnelligkeit eingebüßt hat, ist er heute noch ein Top-Verteidiger.

Danach gab es Rudelbildung: Pepe im Spiel gegen Sporting
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Danach gab es Rudelbildung: Pepe im Spiel gegen Sporting

Als Pepe seinen Akzent wegen Queiroz veränderte

Sein Trainer Sergio Conceicao hielt zuletzt auch einen kleinen Vortrag über seine Liebe zu seinem Ex-Kollegen: "Ich habe große Freude daran, Pepe zu trainieren. Von allen Kollegen, die ich hatte und von denen es viele in vielen Vereinen gab, ist Pepe der wettbewerbsfähigste und professionellste Spieler, mit dem ich je gearbeitet habe. Der Wille, den er hat, ist unglaublich. Er ist der erste, der bei Olival (Portos Trainingsgelände, Anm. d. Red.) auftaucht und einer der letzten, die gehen. Er hat eine Mentalität innerhalb dessen, was ich hier von großartigen Spielern gekannt habe. Es ist in der sehr begrenzten Menge der großen Champions, die den Verein repräsentierten. Das ist der FC Porto, das ist das Geheimnis, das ist Pepe."

Die Menschen um ihn herum lieben den Jungen aus Maceió, der damals mit fünf Euro in die Tasche nach Europa kam, damit seine Eltern anrief und sich dann zu einem der besten Verteidiger der Welt entwickelte.

Als ihn Portugals damaliger Trainer Carlos Queiroz nach einer Auseinandersetzung im Nachgang der WM 2010 als "Statisten in einer billigen brasilianischen Seifenoper" nannte und damit auf Pepes Vergangenheit anspielte, schadete das vor allem Queiroz. Er verlor seinen Job. Cristiano Ronaldo erzählte damals, dass Pepe im Urlaub seinen Akzent veränderte und wieder brasilianisch-portugiesische Wörter benutzte. So ist er auch, dieser Pepe.

Endet irgendwann seine Karriere, darf er voller Stolz zurückblicken, auf das, was er erreicht hat. Endet die Karriere, weil er seinen ehemaligen Nationalmannschaftskollegen Hugo Viana getreten hat, wäre das standesgemäß.

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