Ex-HSV-Spieler Matti Steinmann im Interview: "Mir war klar: Wir schaffen das nicht mehr, komme was wolle"

Matti Steinmann stieg 2018 mit dem HSV ab.
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Titz übernahm im März 2018 von Bernd Hollerbach die Profis, die Bundesliga kam für Sie wieder näher. Haben Sie sich Chancen auf weitere Profi-Einsätze ausgerechnet, als Sie von Titz' Beförderung hörten?

Steinmann: Ich hatte schon im Laufe der Hinrunde wieder etwas Blut geleckt und als ich hörte, Titz geht hoch, habe ich schon gefühlt, dass was gehen könnte. Er bestellte mich auch noch am gleichen Tag in sein Büro und sagte mir: 'Wenn du diese Woche im Training keinen großen Mist machst, spielst du am Wochenende wieder Bundesliga.' Da habe ich mich die Woche über natürlich brutal reingehängt.

Sie kamen direkt im ersten Spiel unter Titz über 90 Minuten zum Einsatz, 1:2 hieß es am Ende im Heimspiel gegen Hertha BSC.

Steinmann: Ich erinnere mich noch daran, dass wir zur Halbzeit sogar führten und als der Halbzeitpfiff kam, ist das ganze Stadion ausgerastet. Das war so ein Moment, in dem ich gedacht habe 'Alter, wie krass ist das denn? Ich spiele wieder Bundesliga und spiele gut, Wahnsinn'. Das war ein surreales Gefühl.

Durch die Niederlage wurde der Druck auf die Mannschaft allerdings nicht kleiner. Wie war es, damit umzugehen?

Steinmann: Für mich war es ein Vorteil, das halbe Jahr zuvor in der zweiten Mannschaft gespielt zu haben und so gar nicht in den Negativstrudel der Profis mit reingezogen zu werden. Ich konnte unbelastet aufspielen, auch weil wir mit der zweiten Mannschaft fast jedes Spiel gewonnen hatten. Die Situation außenrum war mir eigentlich egal, mir ging es darum, mir zu beweisen, dass ich noch auf Bundesliga-Niveau spielen kann - und das habe ich dann ja auch gemacht. Obwohl der Druck für den Verein sehr groß war, habe ich den gar nicht gespürt, ich wollte einfach nur spielen.

War das wirklich so einfach, sich in einer für den Verein essentiellen Krise davon abzukapseln und sich auf die Spiele in der zweiten Mannschaft zu konzentrieren?

Steinmann: Wir haben schon was von den Profis mitbekommen, weil wir auch sehr nah an denen trainiert haben. Aber es war nie so, dass die Stimmung bei der ersten Mannschaft schlecht war und deswegen auch die Stimmung in der zweiten Mannschaft schlecht sein muss. Bei uns herrschte, auch durch die vielen Siege, eine eher positive Stimmung. Diese positive Energie habe ich dann auch versucht, mit hochzunehmen.

Christian Titz vertraute als HSV-Trainer auf Matti Steinmann.
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Christian Titz vertraute als HSV-Trainer auf Matti Steinmann.

Steinmann: "Mir war klar: Wir schaffen das nicht mehr, komme was wolle"

Obwohl Sie als Stammspieler mit dem HSV vier Siege und ein Unentschieden aus den folgenden sieben Spielen holten, stand am Ende der erste Abstieg fest. Was für eine Stimmung herrschte in der Kabine nach dem 2:1-Erfolg am 34. Spieltag gegen Gladbach?

Steinmann: Dass wir trotz einer solchen Serie abgestiegen sind, zeigt ja erstmal, wie aussichtslos die Situation vor den letzten acht Spielen war. Wir wussten vor dem letzten Spiel, dass wir auf Schützenhilfe von Köln angewiesen waren und dass der Klassenerhalt sehr unwahrscheinlich war. Wir haben ein gutes Spiel gemacht, aber als ich nach meiner Auswechslung auf der Bank erfahren habe, dass Wolfsburg gegen Köln führt war mir klar: Wir schaffen das nicht mehr, komme was wolle. Nach Abpfiff war es dann auf dem Platz sehr emotional und in der Kabine herrschte erstmal Totenstille. Irgendwann setzte sich aber der Gedanke durch, dass wir alles getan hatten, zuletzt gut gespielt hatten und uns unter Titz nichts vorzuwerfen hatten. Wir wollten in der nächsten Saison wieder angreifen.

Wann haben Sie den Abstieg realisiert?

Steinmann: Dadurch, dass das ein schleichender Prozess über die Jahre war und der Abstieg demzufolge nicht aus dem Nichts kam, konnte man sich etwas vorbereiten. Es war natürlich an dem Tag emotional, aber dass wir abgestiegen sind, war uns schon bewusst. Es war nicht so, dass ich Wochen später schweißgebadet aufgewacht bin und dachte 'Shit, wir sind abgestiegen'.

So ging es wohl aber dem ein oder anderen Fan. Wie waren die Reaktionen im Klub, nachdem der erste Abstieg der Vereinsgeschichte feststand?

Steinmann: Als nach dem Gladbach-Spiel die Krawalle begannen und sogar Polizeipferde auf dem Spielfeld waren, war das Ganze natürlich sehr emotional. Ich hatte aber in der Folge trotz des Abstiegs das Gefühl, dass die Leistungen unter Titz von den Fans honoriert wurden und dass ein positiver Umschwung im Verein herrschte. Ich hatte das Gefühl, es herrschte eine Aufbruchsstimmung. Die Krawallmacher waren ja nur wenige, die Mehrheit hat applaudiert. Ich erinnere mich noch, wie wir nach dem Spiel gegen Gladbach eine Ehrenrunde gedreht und uns bei den Fans bedankt haben. Es klingt komisch, auch weil ich lange nicht mehr darüber nachgedacht habe, aber die Fans haben unsere Leistungen damals honoriert. Ich hatte keine Angst, nach dem Spiel aus der Kabine zu gehen und beleidigt zu werden. Ganz im Gegenteil: Ich hatte das Gefühl, die Fans sind positiv gestimmt - und das war ich ja auch.

"Die Erwartungshaltung war ja: 'Wir steigen mit 34 Siegen auf, alles andere ist eine Enttäuschung.'"

Nach der Sommerpause ging es in der 2. Liga weiter, ganz wie geplant lief die Saison 2018/19 aber nicht..

Steinmann: Die Erwartungshaltung war ja: 'Wir steigen mit 34 Siegen auf, alles andere ist eine Enttäuschung.' Aber so einfach war das natürlich nicht, das haben wir auch gemerkt. Für mich persönlich lief es ebenfalls enttäuschend, ich hatte mit Verletzungen zu kämpfen und habe vor allem bei meinem letzten Spiel, dem 0:5 gegen Regensburg, eine schlechte Leistung gezeigt. Danach war ich erstmal raus. Und als ich mich zurückgekämpft hatte, wurde Christian Titz entlassen. Unter Hannes Wolf habe ich dann keine wirkliche Chance mehr bekommen, was sehr schade war, weil ich mir das eigentlich zugetraut habe - ich habe ja nicht umsonst gut in der Bundesliga gespielt, ich kann schon Fußball spielen. Leider hatte ich im Verein aber nicht das nötige Standing, sondern war eher der Spieler, der aus der zweiten Mannschaft hochgekommen war und so wurde mir nicht das volle Vertrauen geschenkt.

Hätten Sie sich jemanden gewünscht, der Ihnen dabei hilft? Sie an der Hand nimmt und Ihnen sagt, das wird schon.

Steinmann: Gerade nach meinem desolaten Auftritt gegen Regensburg hätte ich mir mehr Vertrauen gewünscht, da hatte ich das Gefühl, keine echte Chance mehr zu bekommen. Manche sind so gut wie Götze, Haaland, Sancho, die machen einfach, andere brauchen aber etwas länger. Bei mir war es leider nicht der Fall, dass der Trainer auf mich baute und mir gesagt hat: 'Gerade sieht es nicht so gut aus, aber in zwei, drei Wochen bist du wieder am Start, wenn du Gas gibst.' Das ist, glaube ich, auch einer der Gründe, warum es bei mir nicht über einen längeren Zeitraum zum Bundesliga-Spieler gereicht hat.

Im Sommer 2019 folgte trotz Angeboten aus Deutschland der nächste Abschied vom HSV zu den Wellington Phoenix in Neuseeland. Wollten Sie nach drei Abstiegen mit den vergangenen drei Klubs endlich in eine Liga, aus der man nicht absteigen kann?

Steinmann: (lacht) Der Gedanke kam mir nach meinem Wechsel auch. Letztlich wollte ich aber noch ein paar Jahre auf gutem Niveau Fußball spielen und hatte keine Lust, in der 3. Liga rumzuspielen. So habe ich etwas Neues probiert.

Steinmann über Indien-Derby: "Da brennt's hier absolut"

Im Oktober diesen Jahres zogen Sie nach Indien zum SC East Bengal weiter. Wie kam es dazu?

Steinmann: Nach einem tollen Jahr in Neuseeland, wo ich eigentlich bleiben wollte, kam Corona dazwischen. Dadurch, dass Wellington in Neuseeland liegt, aber in der australischen A-League spielt, wurde es durch die Reisebeschränkungen immer schwieriger, zu den Spielen zu kommen und es herrschte Chaos. Als dann Robby Fowler, der zuvor in der A-League trainiert hatte und mich daher kannte, anrief und mir sagte, er wollte mich zum SC East Bengal holen, war ich zuerst skeptisch. Aber das Projekt klang spannend, also habe ich das einfach mal gemacht. Vor einem Jahr hätte ich jeden, der mir das vorausgesagt hätte, für verrückt gehalten, aber jetzt bin ich hier. (lacht)

Gab es denn sportlich reizvollere Angebote?

Steinmann: Mein erster Ansprechpartner waren die Wellington Phoenix, weil ich dort sehr gerne geblieben wäre. Letztlich wollte ich aber nicht fünf, sechs Monate rumsitzen und auf den Saisonbeginn warten. Dort war vieles unsicher, der Verein musste beispielsweise nach Australien umziehen und so war nicht mal klar, wo wir wohnen sollten. Deshalb habe ich meinen Vertrag dort aufgelöst, ich wollte spielen. Zig andere Optionen gab es nicht und so habe ich, als das Angebot von East Bengal kam, gesagt: 'Okay, los geht's.'

Deutschen Auffassungen nach ist Fußball in Indien neben Cricket nur eine Randsportart. Ist das wirklich so?

Steinmann: Ich hatte das auch gedacht, es hängt aber davon ab, wo in Indien man ist. Das habe ich durch die Gespräche hier gelernt. Der Süden und der Osten mit Kalkutta, wo mein Verein beheimatet ist, sind die Fußballregionen, hier ist Cricket eher die Nummer zwei. In Dehli und Mumbai ist das andersherum. Was ich ebenfalls vorher nicht wusste: Zum Derby vom SC East Bengal gegen Mohun Bagan kommen im Schnitt 80.000 Menschen, der Rekord liegt sogar bei 130.000 Zuschauern. Da brennt's hier absolut. Mir wurde gesagt, das sei Asiens größtes Fußballderby.

Wie ist das fußballerische Niveau in Indien im Vergleich mit Deutschland anzusiedeln?

Steinmann: Die Top zwei können sicherlich in der 2. Bundesliga mithalten, der Durchschnitt ist eher auf dem Niveau der 3. Liga.

Die dortige Super League ist Ihre mittlerweile neunte Liga im Herrenbereich, bei Wikipedia wird schon vom "Weltenbummler Steinmann" gesprochen. Wie fühlt es sich an, so wahrgenommen zu werden?

Steinmann: Ich plane meine Karriere nicht danach, in Fußballdeutschland möglichst präsent zu sein, sondern mache das, worauf ich Lust habe. Im Moment ist das Indien. Sowas lässt sich aber nicht planen, wie die Corona-Pandemie. Da muss man sich anpassen.

Unter welchen Voraussetzungen könnten Sie sich eine Rückkehr nach Deutschland vorstellen?

Steinmann: Ich denke gar nicht darüber nach, nach Deutschland zurückzukehren, um Fußball zu spielen. Dafür fehlt mir der Anreiz - es sei denn, es fragen der HSV oder St. Pauli an. Eine Rückkehr nach Hamburg wäre der einzige Anreiz. Und zu den Bayern würde ich auch nicht Nein sagen (lacht). Generell plane ich aber nicht, in naher Zukunft in Deutschland nochmal Profifußball zu spielen.

Abschlussfrage: Was würde der 26-Jährige Matti Steinmann seinem 18 Jahre alten Ich gerne sagen?

Steinmann: Ich würde sagen, er soll geduldiger sein, dranbleiben und nicht, wenn's nicht läuft, etwas Neues suchen.

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