Ex-Schalke-Trainer Michael Boris im Interview: "Ich weiß, was unsere Waschfrau gestern gekocht hat"

Von Philipp Schmidt
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Kam das aus dem Nichts oder haben Sie sich auch proaktiv in diesen Breitengraden umgeschaut?

Boris: Es gibt ja genug Plattformen wie footballjobs.com und wenn man sich ein bisschen damit beschäftigt, im Internet recherchiert und bereit ist, eine Herausforderung im Ausland anzunehmen, findet sich auch ein Cheftrainer-Posten auf Tahiti. Der Kontakt mit Japan bestand schon über Monate: Auswahlverfahren, Treffen, meine Idee vom Fußball vorstellen - das war keine spontane Geschichte.

Letztlich waren Sie dort nur ein halbes Jahr. Wie war's denn?

Boris: Tokyo Verdy ist der Traditionsklub in Japan und genießt eine hohe Aufmerksamkeit. Und ich war natürlich der, der anders aussieht als alle anderen. Ich habe 15 Kilometer außerhalb von Tokio gelebt und wenn ich da in ein Einkaufszentrum gegangen bin, waren da 2000 Japaner und ich stand mit meinen 1,86 Meter irgendwo dazwischen. (lacht) Die Leute sind insgesamt viel ruhiger und bescheidener. Alleine wie man dort an vermeintlich hektischen und überlaufenen Orten in einer Reihe steht, das ist richtig strukturiert.

Boris: Japan? "Schwierig als Kerl aus dem Ruhrgebiet"

Wie sah es in fußballerischer Hinsicht aus?

Boris: Die Japaner trainieren unfassbar viel und lang, eine Trainingseinheit unter zwei Stunden ist quasi nicht möglich. Alle Spieler sind wieselflink und machen jederzeit ihren Job. Wenn es heißt, drei Stunden vor dem Training ist Treffpunkt, dann sind alle pünktlich dort und niemand fragt nach den Gründen. In vielen Fällen haben die Spieler Größennachteile, aber die technischen und taktischen Grundlagen sind wirklich top.

Wieso war ein langfristiger Verbleib für Sie nicht denkbar?

Boris: Der Vertrag war auf ein Jahr ausgelegt. Nach vier, fünf Monaten bin ich aber zu der Erkenntnis gekommen, dass das alles zu weit von meiner eigentlichen Lebensrealität entfernt ist, zu weit weg von Europa, auch aufgrund der Zeitverschiebung von acht Stunden. Deshalb habe ich entschieden, eine Veränderung anzustreben, falls sich etwas Interessantes ergeben sollte. Ich bin zwar keiner, der ständig sein Zuhause braucht, aber das Leben in Japan ist schon anders. In einer solchen Kultur als Kerl aus dem Ruhrgebiet Fuß zu fassen, ist wirklich schwierig, denn auf soziale Kontakte außerhalb der Familie wird bei den Einheimischen wenig Wert gelegt.

Apropos Ruhrgebiet: Als Sie erstmals als Trainer auf der großen Bühne in Erscheinung traten, stand am 1. August 2009 mit Germania Windeck das DFB-Pokalspiel gegen den FC Schalke 04 an. Wie erinnern Sie sich an diese Partie, die mit 0:4 verloren ging?

Michael Boris: Es war mein bis dahin größtes Spiel als Trainer. Da herrschte eine riesige Medienpräsenz, auch weil die Partie live übertragen wurde. Wir mussten deshalb nach Köln ins Rhein-Energie-Stadion umziehen. All diese Rahmenbedingungen waren für einen Verein wie Windeck eigentlich komplett unvorstellbar.

Bereits vor dem Spiel haben Sie Schalke-Trainer Felix Magath vor laufender Kamera um ein Praktikum bei S04 gebeten. Ein spontaner Einfall?

Boris: Ja. Felix Magath stand neben mir am Pult am Spielfeldrand und dann kam direkt die Frage, ob ich denn irgendetwas von ihm wissen möchte, da ich ja nicht jeden Tag neben einem solch prominenten Trainer stehen würde. Also habe ich ihn einfach nach einem Praktikum gefragt. Ab dem darauffolgenden Dienstag hat er das auch tatsächlich ermöglicht.

FC Schalke 04: "Irgendwann war ich als Montags-Praktikant bekannt"

Wie ging es dann weiter?

Boris: In Windeck war montags in der Regel trainingsfrei, auf Schalke nicht. Das Praktikum war zunächst auf zwei Wochen angesetzt, wurde dann aber auf sechs Monate verlängert. Ich habe regelmäßig nachgefragt, ob ich wiederkommen darf. (lacht) Irgendwann war ich dann als der Montags-Praktikant bekannt. Manuel Neuer, Ivan Rakitic, Kevin Kuranyi, Marcelo Bordon - auf einmal bin ich als Oberligatrainer gemeinsam mit so namhaften Spielern von der Kabine mit dem Fahrstuhl zum Trainingsplatz gefahren. Als dann die zweite Mannschaft schlecht stand, erhielt ich das Angebot, sie ab dem 1. Januar 2010 zu trainieren und habe daraufhin einen Vertrag über eineinhalb Jahre als U23-Trainer unterschrieben.

Wie sah Ihr Austausch mit Magath aus?

Boris: Ich habe mich viel mit seinen Co-Trainern, vor allem mit Bernd Hollerbach und dem Torwarttrainer ausgetauscht, mit ihm weniger. Felix hatte unfassbar viel zu tun. Von Konditionstrainer Werner Leuthard konnte ich sehr viel lernen. Auch nach Beginn meiner Arbeit mit der U23 bestand noch ein regelmäßiger Austausch mit den Profis - auch hier vor allem über Bernd Hollerbach, der stets wissen wollte, was im Nachwuchs passierte.

Wie haben Sie einen ausgewiesenen Disziplinfanatiker wie Magath erlebt?

Boris: Ich glaube, dass jeder Trainer einen Fokus auf Disziplin legt - ob er Magath heißt oder nicht. Schalke ist damals Vizemeister geworden, was für ihn spricht. Die Mannschaft hat möglicherweise sogar überperformed.

Ist Magaths Ruf in der Öffentlichkeit, wo er gerne als Schleifer dargestellt wird, der eigens einen sogenannten Konditionshügel am Trainingsgelände errichten lässt, also irreführend?

Boris: Welcher Trainer legt keinen Wert auf Kondition? Das gilt bei Vereinen aller Ligen in Deutschland genauso wie jetzt bei meinem Job in Ungarn. Unterhält man sich mit Athletiktrainern, sind weder Medizinbälle noch Treppen- und Bergläufe oder Hürdensprünge etwas Ungewohntes. Dass solche Dinge immer in einem besonderen Maß mit Magath in Verbindung gebracht werden, stört mich insofern, dass es sich dann immer so anhört: Felix Magath lässt keinen Fußball spielen, noch nicht einmal im Training. Das ist aber einfach nicht richtig.

Michael Boris während seiner Zeit als U23-Trainer des FC Schalke 04.
© imago images / Martin Hoffmann
Michael Boris während seiner Zeit als U23-Trainer des FC Schalke 04.

Ihre Zeit auf Schalke endete im Sommer 2011, anschließend trainierten Sie für drei Jahre die Sportfreunde Siegen. Gab es bei S04 keine Möglichkeit, in der Hierarchie aufzusteigen - beispielsweise als Co-Trainer des Bundesligateams?

Boris: Nein. Mein Vertrag wurde nicht verlängert, weil mir damals die Ausbildung zum Fußballlehrer gefehlt hat. Das war schade, hat aber auch immer etwas mit dem Lizenzierungsverfahren und der konkreten Situation zu tun. In Siegen heuerte ich zunächst eine Liga tiefer an, doch bei einem weiteren Traditionsverein. Dort haben wir sofort den Aufstieg geschafft, so dass ich recht schnell gegen meine alte Mannschaft spielen konnte. Die Fußballlehrer-Lizenz habe ich dann 2014 erworben.

Zu Ihrer Zeit war Schalke Dauergast im internationalen Wettbewerb. In den beiden vergangenen Spielzeiten reichte es nur zu den Plätzen 12 und 14, zudem ist die finanzielle Situation des Klubs bedrohlich. Wie blicken Sie heute auf Ihren Ex-Klub?

Boris: Ich bin inzwischen zu weit weg, um mir ein Urteil erlauben zu können. Generell sollte man jedoch Testspielergebnisse in der Vorbereitung nicht überbewerten, sie hängen auch immer vom Trainingsstand ab. Gerade auf Schalke ist der Fan da schneller enttäuscht als der Trainer.

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