Ronaldo-Erbe, Depressionen, Alkoholprobleme: Der Aufstieg und Fall des Imperators Adriano

Adriano spielte 2001/2002 und von 2004 bis 2009 für Inter Mailand.
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Adriano bei Inter Mailand: Kurzer Stopp im Himmel

Während sie in Brasilien noch über Adriano spotteten und ihn verächtlich als "Tombadour", einen Stürmer im schlechtesten brasilianischen Sinne, bezeichneten, war er bei Inter besonders am Ende der Saison mit sechs Toren in den letzten sechs Spielen der gefeierte Held. "L'Imperatore", "Herrscher", nannten sie ihn aufgrund seiner körperlichen Dominanz in den gegnerischen Strafräumen.

Adriano reiste in Top-Form, jedoch mit einer besseren B-Nationalmannschaft Brasiliens ohne Ronaldo und Ronaldinho zur Copa America nach Peru. Doch er machte das Turnier zu seinem Turnier, wurde bester Spieler, mit sieben Treffern Torschützenkönig und im Finale gegen den Erzrivalen Argentinien zum Volkshelden.

Zweimal glich Adriano im Endspiel aus, das 2:2 schoss er in der 93. Minute, dann trat er auch noch zum ersten Elfmeter an und verwandelte. Brasilien gewann und Adriano widmete den Titel seinem Vater, der immer schwerer an den Folgen des Kopfschusses aus jenem März-Tag 1992 litt.

"Dieser Titel gehört meinem Vater", sagte er schluchzend in die TV-Kameras: "Er ist der beste Freund in meinem Leben. Mein Partner. Ohne ihn bin ich nichts." An diesem 25. Juli 2004 im Estadio Nacional in Lima war er im Himmel angekommen. Ein Volksheld auf dem Weg zum Superstar. Nationaltrainer Carlos Alberto Parreira kündigte an: "Er wird Fußballgeschichte schreiben und die nächsten drei Weltmeisterschaften prägen, ganz sicher." Doch es sollte für Adriano nur ein kurzer Aufenthalt im Himmel sein.

Adrianos Karrierestatistiken bei Inter, Florenz, Parma und Co.

VereinSpieleToreTorvorlagen
Inter Mailand1777427
Parma Calcio4526-
Flamengo38239
AC Florenz1561
FC Sao Paulo106-
AS Rom8--
Coritnhians41-
Club Atletico Paranaense31-

Adriano und der Alkohol: "Die ganze Zeit voll"

Neun Tage nach dem Finale von Lima verstarb sein Vater an einer Herzattacke. Als Adriano in Mailand den Anruf erhielt, brach für ihn eine Welt zusammen. "Ich sah, wie er weinte. Er schmiss das Telefon weg und fing an zu schreien. Man kann sich diese Art von Schrei nicht vorstellen. Ich bekomme noch heute Gänsehaut", erzählte der langjährige Inter-Kapitän Javier Zanetti Jahre später im Interview mit Sempre Inter: "Von diesem Tag an haben Moratti und ich entschieden, auf ihn aufzupassen, als sei er unser Bruder."

Sie hatten auch allen Grund dazu. Schließlich sei es sein Vater gewesen, der nach Adriano gesehen und ihn auf Linie gehalten habe, wie Zanetti es formulierte. Es machte sogar den Eindruck, als hätten Zanetti und Moratti Erfolg bei Adriano, immerhin traf der in der Hinserie 2004/05 14-mal in 16 Ligaspielen. Beim Confederations Cup 2005 in Deutschland wurde er erneut Torschützenkönig und zum besten Spieler gewählt. Gemeinsam mit Kaka, Ronaldinho und Ronaldo war er Teil der fantastischen Vier, die ein Jahr später den sechsten WM-Titel Brasiliens hätten holen sollten.

Doch der Schein trog. Längst hatten sich Trauer, Schmerz und Wut in Adrianos Kopf als stetige dämonische Begleiter eingenistet. "Er spielte zwar weiter Fußball, erzielte Tore und widmete sie seinem Vater im Himmel. Doch seit dem Anruf war es nicht mehr das Gleiche", sagte Zanetti. Ein Umstand, den Adriano selbst später bestätigte.

"Ich war allein in Italien. Isoliert, traurig und deprimiert. Also fing ich mit dem Trinken an", sagte er in einer TV-Reportage 2018. Er sei nur glücklich gewesen, wenn er trinken konnte. "Jeden Abend. Und ich trank alles, was mir in die Hände kam: Wein, Whiskey, Wodka, Bier. Verdammt viel Bier. Ich habe einfach nicht aufgehört. Ich war die ganze Zeit nur voll."

Trost in der Stunde der Trauer: Inter-Kapitän Javier Zanetti wollte für Adriano nach dem Verlust seines Vaters da sein.
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Trost in der Stunde der Trauer: Inter-Kapitän Javier Zanetti wollte für Adriano nach dem Verlust seines Vaters da sein.

Adriano bei der WM 2006: Ein Schatten seiner selbst

Wenige Tage vor der Abreise zur WM nach Deutschland veranstaltete Adriano eine Party in Brasilien mit alten Freunden. "Er war immer noch meistens ein schüchterner, stiller Junge. Aber für uns war Didico (Adrianos Spitzname unter Freunden, Anm. d. Red.) ein Held", wurde ein enger Freund Adrianos von FourFourTwo zitiert.

Er erzählte von einer Party an einem geheimen Ort, damit auch die Freunde Adrianos kommen konnten, mit denen er einst barfuß in den Favelas Fußball gespielt hatte, die jedoch auf die schiefe Bahn geraten waren. Manche von ihnen seien sogar Teil des "Comando Vermelho" geworden. Einer seiner engsten Freunde beispielsweise kam bei einer Schießerei mit der Polizei ums Leben.

Spätestens seitdem seien "Depressionen und Alkohol zum Teil seines Lebens" geworden. Bei der anschließenden Weltmeisterschaft traf Adriano zwar zweimal, doch er war nur ein Schatten des Stürmers, der einst die Verteidiger das Fürchten gelehrt hatte. Brasilien schied im Viertelfinale aus. Nichts war es mit WM-Held Adriano und dem sechsten Stern.

Pleite statt Triumph: Adriano war bei der WM 2006 in Deutschland nur ein Schatten seiner selbst.
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Pleite statt Triumph: Adriano war bei der WM 2006 in Deutschland nur ein Schatten seiner selbst.

Adriano: "Wenn ich morgens besoffen zum Training kam ..."

Bei den Nerazzurri setzte sich der Teufelskreis, in dem sich Adriano befand, fort. Er feierte die Nächte durch, schlief nicht, weil er Angst hatte, das Training zu verpassen.

"Wenn ich morgens besoffen zum Training kam, schickten sie mich in die medizinische Abteilung, damit ich dort meinen Rausch ausschlafen konnte. Der Presse erzählten sie dann immer, ich hätte muskuläre Probleme", sagte Adriano. Er ignorierte die Anweisungen von Trainer Mancini, der ihn einst als die perfekte Stürmer-Symbiose beschrieben hatte, nahm 20 Kilo zu und verlor jegliche Selbstkontrolle.

2008 verordnete Moratti Adriano eine Art "Heimaturlaub", um sich selbst wiederzufinden. Ein Leihgeschäft mit dem FC Sao Paulo wurde ausgehandelt, welches trotz einiger Eskapaden - Adriano sah nach einem Kopfstoß Rot und wurde vom Klub nach einer heftigen Auseinandersetzung mit einem Fotografen sanktioniert - durchaus Anlass zur Hoffnung gab.

Mit der Empfehlung von 17 Toren in 28 Spielen kehrte er nach einem halben Jahr zu Inter zurück. Zu früh, wie sich herausstellte. Adriano verfiel in alte Muster, selbst Jose Mourinho, ein Experte im Umgang mit sensiblen Weltstars, scheiterte als Erziehungsbeauftragter. Nach einem Länderspiel im April 2009 kehrte Adriano nicht mehr zu Inter zurück. Er galt als verschollen, wenige Tage später erklärte er, dass er den Spaß am Fußball verloren habe. Damit riss auch Mourinhos Geduldsfaden und Adrianos Zeit in Mailand endete mit der Auflösung des Vertrags.

Adrianos endgültiger Absturz: Mafia, Schutzgeld, AK47-Bilder

Den letzten Schlag verpasste ihm ein Jahr später Nationaltrainer Carlos Dunga, als dieser ihn nicht in den WM-Kader 2010 berief, obwohl Adriano nach seiner Rückkehr zu Flamengo überzeugte und maßgeblich am Gewinn der Meisterschaft beteiligt war.

Für den labilen Imperator außer Dienst war das das Signal, sich endgültig von dem einst gefeierten Stürmerstar zu verabschieden. Es kursierten fortan immer kuriosere Gerüchte über Schlägereien in Nachtklubs und Drogen, angeblich soll er vor einem Nachtklub einer jungen Frau versehentlich mit der Waffe seines Bodyguards in die Hand geschossen haben. Adriano dementierte und gab der Frau die Schuld.

Was er nicht dementieren konnte, waren Bilder von ihm, die im Internet umhergingen. Darauf war er zu sehen, wie er mit einer goldenen AK47 und einem Mafia-Boss posierte. Gerüchte wurden laut, nach denen er Schutzgeld an Kriminelle zahlen musste und sich dem "Comando Vermelho" angeschlossen habe.

Adriano: "Ich habe es nicht nötig, mich wiegen zu lassen"

Ein Comeback-Versuch bei der Roma 2010 scheiterte ebenso wie ein Engagement in Brasilien bei Corinthians Sao Paulo. Dort riss er sich nach gutem Start die Achillessehne und gab sich wieder dem Alkohol und dem Nachtleben hin und wurde immer dicker. Als ihn sein Trainer auf die Waage gebeten haben soll, soll er geantwortet haben: "Ich bin Adriano und habe es nicht nötig, mich wiegen zu lassen."

Damit endete seine Zeit bei den Corinthians und 2016, vier Jahre später, bei Miami United dann endgültig eine Karriere, die mehr Fragen als Antworten hinterlässt. Was bleibt, ist die späte Reue des einst als Ronaldo-Erben gefeierten Imperators.

"Ich habe leider erst spät kapiert, dass das wirkliche Problem die Leute um mich herum waren", sagte der 53-malige Nationalspieler: "Ich hatte 'Freunde', die nichts anderes taten, als mich mit auf Partys zu nehmen und mit Alkohol und Frauen zu versorgen." Er sei nicht stolz darauf, "dass meine Laufbahn so zu Ende ging".

Es gab zwar jene, die Adriano aufhalten wollten, als dieser seine Karriere vorsätzlich vor die Wand fuhr, doch am Ende waren sie alle machtlos gegen die Dämonen in seinem Kopf. Dämonen, die schon lange vor Adrianos Debüt-Schuss gegen Real Madrid da waren. Neun Jahre um genau zu sein. Denn da traf ein Schuss den Kopf des Vaters, der den Fußballer-Sohn mit Verzögerung auch zerstörte.

Zlatans Bedauern und Adrianos späte Würdigung

"Wir haben ihn nicht von der Depression befreit und das ist vermutlich die größte Niederlage meiner Karriere", sagte Javier Zanetti einmal. "Es tut mir immer noch weh." Selbst Zlatan Ibrahimovic, mit dem Adriano von 2006 bis 2009 bei Inter aktiv war, bedauerte den traurigen Karriereverlauf des Brasilianers.

"Als ich zum Klub kam, habe ich sofort zum Präsidenten gesagt: Den dürft ihr nicht verkaufen, mit Adriano will ich zusammenspielen! Der Typ war ein Tier. Er konnte alles, aus allen Lagen schießen, niemand konnte ihm den Ball abnehmen. Aber seine Karriere war zu kurz. Wohl weil Fußball zu 50 Prozent Kopfsache ist. Und wenn der nicht dabei ist, dann wird's schwer."

Ein kleines Happy End gab es für Adriano trotz all der Eskapaden und des offensichtlichen Scheiterns aber dennoch. Im Mai 2021 wurde ihm mitgeteilt, dass er sich auf dem legendären Maracana Walk of Fame verewigen darf. Dort, wo all die Legenden bereits ihre Fußabdrücke hinterlassen haben: Pele, Zico, Romario, Ronaldo, Ronaldinho - und nun eben auch Adriano. Als er die Nachricht erhielt, weinte er hemmungslos. Es ist die späte Würdigung eines Fußballers, der so viel mehr hätte werden können - wären da nicht die Dämonen gewesen.

 

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