"Angsteinflößend", schnöder Didaktiker und "mein wichtigster Trainer": Wie Louis van Gaal bei seinen Spielern polarisierte

Von Oliver Maywurm
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Außergewöhnlich war auch die Goldene Generation, die van Gaal bei Ajax, seiner allerersten Station, formte: Patrick Kluivert, Clarence Seedorf, Marc Overmars, Edgar Davids, Edwin van der Sar - reihenweise Legenden machte van Gaal groß. Und schon damals bewies er, dass in dem Disziplin-Fanatiker auch ganz viel Herz steckt für das, was er tut. Und dass er ein unglaublich gutes Auge für Talent hat.

"Bei Ajax hatten wir kaum Geld, wir waren pleite. Also musste ich mich nach Jugendspielern umschauen", sagte van Gaal mal dem Daily Telegraph. Die lediglich umgerechnet 4.000 Euro, die man 1993 als Ablöse für Flügelspieler Finidi George, essenzieller Teil des Champions-League-Sieger-Teams von 1995, an den nigerianischen Klub Sharks FC zahlen musste, legte er aus eigener Tasche auf den Tisch. Ein Jahr zuvor hatte van Gaal No-Name Jari Litmanen aus Finnland nach Amsterdam geholt. Kostenpunkt: Lächerliche 14.000 Euro.

Auch Spieler wie George und Litmanen machte van Gaal zu Stars. Letzterer ist besonders begeistert von seinem Ex-Coach, folgte van Gaal später auch noch zu Barca, obwohl er auch Angebote von Bayern, Milan oder Liverpool vorliegen hatte. "Finnland formte mich als Fußballer, aber van Gaal gab mir die letzten 15 oder 20 Prozent. Er war fordernd, aber immer ehrlich. Er sah alles", sagt Litmanen, der sogar bekräftigt: "Pep Guardiola ist gut, Jose Mourinho auch. Aber van Gaal ist der beste Trainer der Welt. In 25 Jahren wird jeder so denken."

Litmanen: "Van Gaal ist der beste Trainer der Welt"

Er schaffte es, van Gaal zu verstehen, sich auf ihn einzulassen. "Unzählige Male sagte van Gaal etwas, mit dem ich zunächst nicht übereinstimmte. Aber als ich es dann in der Praxis sah, hatte er eigentlich immer recht", erklärt Litmanen. Worte, die zeigen, dass auch Individualisten mit van Gaal klar kommen konnten.

Nicht zuletzt beweist das auch das Beispiel Luis Figo. Den Portugiesen, ein Einzelkönner vor dem Herrn und Superdribbler, hob er gegenüber dem Guardian sogar als den Spieler hervor, mit dem ihm die Zusammenarbeit am meisten Spaß machte. "Er ist ein Gewinnertyp. Er war immer voll da, ob im Training oder im Spiel. Diese Spielertypen mag ich am liebsten, weil sie dir gegenüber offen sind, auf dem Platz aber trotzdem Führungspersönlichkeiten sind", sagte van Gaal über seinen Ex-Schützling bei Barca und nutzte ihn auch einmal zur Veranschaulichung seiner Probleme mit Ribery: "Für mich war Figo ein Star - Ribery nicht", sagte er France Football.

Rein fußballerisch betrachtet war van Gaal immer ein Systemtrainer, dem aber gleichzeitig auch das schöne Spiel am Herzen lag. Er wollte Effektivität und Attraktivität bestmöglich vereinen, schoss dabei manchmal vielleicht über das Ziel hinaus. Zudem lag auch im Sportlichen stets Zündstoff, was die Arbeit mit Künstlern anging: Denn die Methoden, mit denen er jenen sein komplexes Konzept vermitteln wollte, fanden viele derer - zumal van Gaal als Spieler selbst nie eine ganz große Nummer gewesen war - unpassend.

Van Gaal und die besonderen Spieler

"Er wird es nie zugeben, aber van Gaals Fußball ist der Fußball von Cruyff und Wenger. Lediglich die Methoden unterscheiden sich", schreibt Oranje-Legende Dennis Bergkamp, der zu Beginn seiner Laufbahn bei Ajax unter van Gaal kickte, in seiner Autobiografie. Cruyff habe "nicht so viel analysiert. Es ging mehr um Instinkt und Technik", während van Gaal eher Didaktiker sei: "Louis gibt seinen Spielern Anweisungen, die sie ausführen müssen, damit das System funktioniert. Und das System ist heilig."

Wenger indes liege irgendwo dazwischen - auch was den Umgang mit Unterschiedsspielern angeht. Bei Cruyff hatten jene stets alle Freiheiten, bei Wenger war zwar sichergestellt, "dass die Starspieler sich dem Team verschreiben. Aber gleichzeitig gibt er ihnen den Raum, den sie brauchen, um großartig zu sein." Van Gaal habe genau das nie gekonnt, bemängelt Bergkamp. Unterordnen sei die oberste Maxime gewesen: "Aber was, wenn du zehn durchschnittliche Maler hast und einen Rembrandt? Sagst du Rembrandt dann, dass er seine Fantasie nicht braucht, dass er nicht für mehr steht als die anderen? Oder gibst du ihm das Gefühl, dass er etwas Besonderes ist und lässt es ihn ausleben, damit er sein Bestes abrufen kann?"

Bergkamps Ausführungen leuchten so wunderbar ein und liefern eine Erklärung dafür, warum van Gaal gerade mit besonderen Spielern seine Probleme hatte. Und doch gibt es eben die Gegenbeispiele, die von Figo, von Iniesta oder Litmanen. Waren die nicht auch besondere Spieler? Oder Robben! Davon, dass jener Robben, ja durchaus ein Individualist, eines der spektakulärsten Tore der Champions-League-Geschichte wohl nie zelebriert hätte, gäbe es van Gaal nicht. Dessen Wirken als Trainer ist eben nicht so leicht auf einen Nenner zu bringen.

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