Odyssee in Vietnam, gestrandet auf den Färöer-Inseln: Der aufwühlende Karriereweg von Ex-Bundesliga-Profi Kevin Schindler

Von Dennis Melzer
Kevin Schindler im Trikot von Werder Bremen in der Bundesligasaison 2007/08.
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Odyssee in Vietnam: "Das war riskant und abenteuerlich"

Immer mehr teils dubiose Anfragen erreichten ihn auf verschiedensten Wegen. Einem Probetraining in Vietnam stimmte Schindler letztlich zu, ohne damals damit zu rechnen, dass sich das Ganze zu einer echten Odyssee entwickeln sollte:

"Der Kontakt kam über einen Berater zustande, der mir sagte, dass man dort Spieler aus Deutschland sucht. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, was mich dort erwartet", sagt er und führt aus: "Am Flughafen haben mich zwei Leute abgeholt, die kaum Englisch sprachen. Ich habe mich gefragt: 'Fahren die dich jetzt wirklich zum Trainingsplatz und ich soll vorspielen?' Das wusste ich nicht. Die Autofahrt dauerte vier oder fünf Stunden und ging durch irgendwelche Städte und Dörfer. Das war recht riskant und abenteuerlich. Als wir ankamen, waren dort noch drei andere Spieler, die vorspielen sollten."

Schindler schildert, dass ein Probetraining sowie ein Testspiel für die Kandidaten anberaumt war. "Das war alles sehr komisch, den potenziellen Trainer habe ich nie gesehen. Auch der Berater, über den das Ganze lief, war nicht vor Ort." Um welchen Gegner es sich bei dem Kick handelte, weiß der mittlerweile 31-Jährige bis heute nicht: "Keine Ahnung", antwortet Schindler auf entsprechende Nachfrage.

Kevin Schindler im Dress des DFB-Teams unter anderem mit Thomas Müller und Mats Hummels.
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Kevin Schindler im Dress des DFB-Teams unter anderem mit Thomas Müller und Mats Hummels.

Schindler: "Vom Niveau her war ich sehr erschrocken"

"Vom Niveau her war ich sehr erschrocken, das war fünfte Liga. Ich habe drei Tore geschossen. Später hieß es vonseiten des Beraters, dass sie sich für den Afrikaner entschieden hätten. Der hat übrigens kein Tor gemacht." Weil die Umstände in Vietnam aber ohnehin "chaotisch und unprofessionell" gewesen seien, "gab es für mich den Entschluss, nach drei Tagen wieder abzureisen."

Seine Fußballschuhe hängte Schindler aber zunächst mitnichten an den Nagel. Er kam beim niederländischen Zweitligisten SC Cambuur unter, für den er fortan ein Jahr lang aktiv war, ehe er im Juli vergangenen Jahres auch dieses Abenteuer für beendet erklärte und zunächst wieder nach Übersee zu seiner Freundin reiste.

"Ich war nach meiner Station in den Niederlanden auf Vereinssuche und gerade bei meiner Freundin in den USA, als ein Anruf von Borussia Dortmund kam. Der BVB war auf der Suche nach einem erfahrenen Spieler für die U23", erzählt Schindler. "Aus mehreren Gründen kam eine Zusammenarbeit aber nicht zustande. Ich habe mich damals allerdings mit dem sportlichen Leiter Ingo Preuss und Trainer Mike Tullberg gut verständigt. Nachdem ich in den Gesprächen gesagt hatte, dass ich mir vorstellen könne, in naher Zukunft ins Trainergeschäft einzusteigen, boten sie mir an, eine Hospitation zu absolvieren. Dieses Angebot habe ich sofort wahrgenommen."

Ein Anruf von den Färöer-Inseln

Was dann im Rahmen seines Hospitation-Programms geschah, hätte sich das frühere Bremen-Talent wohl in seinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt. "Wir waren eines Tages auf einer Scouting-Tour in den Niederlanden. Jens Berthel Askou (Trainer bei HB Torshavn) rief bei BVB-U23-Coach Mike Tullberg an, weil er auf der Suche nach einem Co-Trainer war. Daraufhin gab es für mich die Option, auf die Färöer-Inseln zu fliegen, um mir ein Bild von den Verhältnissen dort zu machen."

Tatsächlich kommt es zu dem ungewöhnlichen Engagement auf dem Atoll im rauen Nordatlantik, Schindler übernahm Anfang des Jahres als Askous Assistent beim Rekordmeister HB Torshavn. "Wir haben uns sofort super verstanden, dann kam eins zum anderen und ich habe für mich entschieden, etwas Neues zu starten."

Doch wie hat man sich die Situation vorzustellen, wie ist es um die fußballerische Professionalität auf den Färöer-Inseln bestellt? "Die Voraussetzungen sind mit den ersten drei Ligen in Deutschland nicht zu vergleichen. Eine gute Infrastruktur ist noch nicht gegeben", sagt Schindler. Er ergänzt: "Wir verbessern hier aber stetig, wir haben mit mir als Co. erstmals einen Fitness- und Athletik-Trainer. Ein Kraftraum ist mittlerweile auch vorhanden. Wir versuchen, dem Verein etwas mitzugeben und hier eine Struktur aufzubauen." Nicht nur hinsichtlich der Infrastruktur unterscheidet sich die Trainerarbeit in Torshavn von der in vielen anderen europäischen Ländern. Alleine schon aus dem Grund, dass die meisten Spieler ihr Geld nicht ausschließlich mit Fußballspielen verdienen.

Schindler: Einer war aus beruflichen Gründen im Hafen tauchen

"Vormittags und nachmittags finden Trainingsvorbereitungen und Gespräche mit dem Trainerteam statt. Um 17 Uhr trainieren wir, weil ein Großteil der Jungs einer normalen, geregelten Arbeit nachgeht. Von Fischer bis Dachdecker findet man bei uns alles. Zuletzt habe ich gehört, dass einer der Spieler bei der Kälte aus beruflichen Gründen am Hafen tauchen war." Umso höher sei die Leidenschaft einzuordnen, die die Spieler nach getaner Arbeit auf dem Platz an den Tag legen. "Die Jungs arbeiten wirklich hart und geben nachmittags im Training alles. Das ist extrem beeindruckend", schwärmt Schindler.

Anfang März hätte er mit seinem neuen Arbeitgeber beinahe schon den ersten Titel geholt. Im färingischen Supercup unterlag HB allerdings im Elfmeterschießen der Auswahl von KI Klaksvik (4:5). In einigen Monaten nimmt Torshavn an der Qualifikationsrunde für die Europa League teil. Dafür werden die Spieler von ihren Arbeitgebern freigestellt. Endlich wieder Europapokal-Atmosphäre, 13 Jahre nach dem genialen Abend im Weserstadion, als Schindler ins kalte Wasser geworfen wurde. Diesmal wird er derjenige sein, der einem seiner Schützlinge zu erster Erfahrung auf internationalem Parkett verhilft, derjenige, der einem nervösen Debütanten sagt: "Mach Dich warm!"

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