Thomas Doll im Interview: "Gerede von Matchplänen ist nur für die Galerie"

Thomas Doll ist seit Dezember 2013 Trainer von Ferencvaros Budapest
© getty

Als Trainer von Borussia Dortmund lachte sich Thomas Doll einst den Arsch ab, als Spieler des BFC Dynamo musste er sich bespucken lassen. Seit mittlerweile drei Jahren geht es in Dolls Leben geruhsamer zu - er ist Trainer von Ferencvaros Budapest. Im Interview spricht er über die Lage bei seinem Ex-Klub HSV, deutsche Konzepttrainer, angetäuschte Fluchtversuche, sein Marionetten-Dasein in Ankara und über das Gefühl des großen Fußballs in Budapest.

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SPOX: Herr Doll, Sie sind seit knapp drei Jahren Trainer von Ferencvaros Budapest. Wie gefällt es Ihnen in Ungarn?

Thomas Doll: Großartig! Ich fühle mich richtig wohl, habe bereits fünf Titel gewinnen können und im Sommer meinen Vertrag bis 2019 verlängert.

SPOX: Hätten Sie bei Ihrer Ankunft gedacht, dass Sie so lange bleiben werden?

Doll: Nein, das war auf keinen Fall abzusehen. Ich fand das Angebot aus Budapest sehr interessant und ich habe mich zum Glück dafür entschieden, es anzunehmen. Es konnte jedoch keiner damit rechnen, dass ich nach drei Jahren immer noch hier bin. Aber es ist ja auch nicht so, dass man sich denkt: "Ich gehe jetzt mal nach Budapest, nächste Woche nach Barcelona und dann wartet schon der nächste." Solche Pläne darf man sich als Trainer nicht erlauben.

SPOX: Gab es Startschwierigkeiten?

Doll: Zu Beginn war es kompliziert, weil wir viele Spieler hatten, die ihr eigenes Ding gemacht haben. Dann habe ich aber begonnen, das Gesicht des Teams zu verändern und gleichzeitig wurde durch das neue Stadion eine Euphorie entfacht. Vielleicht bin ich genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen.

SPOX: Was hat das neue Stadion bewirkt?

Doll: Es gibt einem das Gefühl, alle zwei Wochen beim großen Fußball mitzumachen. Das Stadion ist topmodern und auch das Trainingsgelände wird immer weiter professionalisiert. Wir haben jetzt zum Beispiel ein eigenes Restaurant, in dem die Mannschaft täglich zusammen isst.

SPOX: Was haben Sie persönlich als Trainer von Ferencvaros bewirkt?

Doll: Ich habe Spieler entwickelt, die den Sprung in große Ligen geschafft haben. Muhamed Besic ging zum FC Everton, Adam Nagy zum FC Bologna und bald schaffen es sicher die nächsten.

SPOX: Einige Ihrer Spieler sind auch im ungarischen Nationalteam aktiv. Welchen Einfluss hat Ihre Arbeit auf dessen Erfolge?

Doll: Wir haben eine überragende Saison gespielt und unsere ungarischen Spieler hatten entscheidenden Anteil an der EM-Qualifikation des Nationalteams.

SPOX: Welche Auswirkungen haben die Erfolge des Nationalteams auf den Klubfußball?

Doll: Das spürt man leider gar nicht und das hat mich schon überrascht. Im Endeffekt ist es aber in allen osteuropäischen Ländern so, dass sich Erfolge der Nationalmannschaft nicht auf die nationalen Ligen auswirken.

SPOX: Wie professionell wird bei Ferencvaros gearbeitet?

Doll: Wir arbeiten genauso wie in Deutschland mit Dingen wie GPS-Westen und ich bekomme von meinen Physiotherapeuten jeden Tag per Mail die wichtigsten Leistungsdaten der Spieler gesendet. Hinsichtlich der Professionalität und Komplexität unterscheidet sich die Arbeit bei Ferencvaros nicht von der in der Bundesliga. Wir können hier auch in Ruhe trainieren, weil vor dem Training die Schranken runter gehen und keiner zuschauen kann. Wobei mehr als ein paar Rentner wohl ohnehin nicht kommen würden.

SPOX: Und wie sieht es sportlich aus?

Doll: Das ist schwer zu sagen, aber wenn alles passt und alle fit sind, könnten wir gegen einen Bundesliga-Abstiegskandidaten in einem Spiel dagegenhalten.

SPOX: Vor Ihrem Engagement in Budapest waren Sie in Saudi Arabien für Al-Hilal und in der Türkei für Genclerbirligi Ankara tätig. Wie waren die dortigen Arbeitsbedingungen?

Doll: In der Türkei laufen die Dinge prinzipiell frei ab, aber bei meinem Verein Genclerbirligi war es etwas kompliziert, weil viele Dinge passiert sind, auf die ich als Trainer keinen Einfluss hatte. Auf der einen Seite wurde Erfolg verlangt, auf der anderen Transfers abgewickelt, auf die ich als Trainer keinen Einfluss hatte. Das fand ich merkwürdig. Da hat man das Gefühl, man ist eine Marionette des Vereins. In Saudi-Arabien spielen Kultur und Religion schon eine übergeordnete Rolle im alltäglichen Leben.

SPOX: Hatten Sie Gewissenskonflikte, in einem Land zu leben, in dem Menschenrechte womöglich nicht ganz einwandfrei eingehalten werden?

Doll: Ich habe mich schon intensiv mit den dortigen Strukturen befasst, aber dann für mich entschieden, dass mich das eigentlich nichts angeht. Ich habe auf der Straße jedenfalls nicht gesehen, dass Leute massakriert worden wären.

SPOX: Mit Ihren Wechseln haben Sie schon als Spieler selten den leichten Weg gewählt. Einst sind Sie von ihrem Heimatklub Hansa Rostock zum verhassten Stasi-Verein BFC Dynamo gegangen.

Doll: Ich habe mich dazu entscheiden dorthin zu gehen, weil es zum Zeitpunkt des Wechsels geographisch der nächste Oberligaklub zu meiner Heimat war.

SPOX: Wie war die erste Rückkehr nach Rostock?

Doll: Ich war 20 und das ganze Stadion hat "Doll du Schwein" geschrien. Das war schon hart, weil Hansa mein absoluter Lieblingsklub war und ich ihm emotional sehr verbunden war. Meine Mutter musste mir immer die kleinen Koggen auf die Trainingsjacken bügeln - und nun saß sie heulend im Stadion. In der 19. Minute hatte ich dann genug und habe den Ball in die lange Ecke gebombt. Dann hat keiner mehr einen Mucks gemacht.

SPOX: Ein Stahlbad.

Doll: Ich hätte daran zerbrechen können, aber ich habe einen anderen Weg gewählt. Ich wollte den Leuten ihre Mäuler stopfen.

SPOX: Wie beurteilen Sie Ihre Zeit beim BFC im Rückblick?

Doll: Es war auf jeden Fall sehr lehrreich und ich habe Dinge erlebt, die mich für mein weiteres Leben gestärkt haben. Es ist nicht einfach, wenn du dich von einem Achtjährigen durch den Zaun bespucken lassen musst.

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