Mann ohne Ablaufdatum

Von Roman Ahrens
Seit Anfang des Jahres steht Ze Roberto bei Palmeiras in der Heimat unter Vertrag
© getty

Von Brasilien nach Deutschland, in die Wüste und Retoure. Ze Robertos Karriere begann, da waren viele seiner heutigen Kollegen noch nicht mal geboren - und sie geht immer noch weiter. Der 41-Jährige ist ein echtes Phänomen, ein Ende der Laufbahn scheint für ihn noch lange nicht in Sicht.

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Als José Roberto da Silva Júnior zehn Jahre alt war, verließ der Vater ihn und seine fünf Geschwister. Das Geld war knapp, er begann zu klauen. Und zwar "alles, was gut in die kleine Hosentasche passte". Um von der Polizei in Sao Paulo nicht erwischt zu werden, musste er schneller sein als sie. "Meine Schnelligkeit auf dem Platz habe ich wohl noch aus dieser Sprinter-Zeit", sagte der Mann, den alle unter den Namen Ze Roberto kennen, einmal.

30 Jahre später steht Ze Roberto im grün-weißen Palmeiras-Trikot in der Kabine des Traditionsvereins. Um ihn herum Spieler, die seine Söhne sein könnten. Er hält eine mitreißende Ansprache, dann ertönt der Schlachtruf: "Palmeiras e grande", hallt es im Raum, dessen Wände Sepia-Bilder der Vereinslegenden zieren.

Kürzlich führte Ze Roberto Palmeiras zum brasilianischen Pokalsieg. Oft wurde bei den Gründen für den Erfolg das Video vom Anfang der Saison genannt. Die Rolle Ze Robertos? Sie kann wohl nicht hoch genug eingeschätzt werden. "Wahnsinn" sei es, sagte dessen ehemaliger Weggefährte Giovane Elber zu SPOX, was Ze Roberto in Brasilien leistet. "Er ist der erfahrenste Spieler bei Palmeras und jeder hört ganz genau zu, was Ze Roberto sagt. Er ist ein Leader im Verein und in der Mannschaft."

Der Vertrag des 41-Jährigen wurde bereits bis Ende 2016 verlängert. Karriereende? Nicht absehbar."Er hat noch ein Jahr Vertrag und ich gehe davon aus, dass er noch lange spielen wird", sagt Elber. "Zwei oder drei Jahre" vielleicht.

Bester Linksverteidiger Brasiliens

Dabei schien Ze Robertos Laufbahn schon einmal kurz vor dem Abschluss. Beim FC Bayern wollte man dem Brasilianer mit den meisten Bundesligaeinsätzen (336) aus Altersgründen nur noch einen Einjahresvertrag anbieten - das war 2009, vor sechs Jahren. Dass Ze den Gesetzen der Natur zuwiderläuft, beweist der zum besten Linksverteidiger der Liga gewählte Oldie seitdem Saison für Saison in deutlich über 20 Spielen.

Trotzdem scheint selbst der 84-malige Nationalspieler der Selecao von der eigenen Entwicklung überrascht. "Normalerweise geht deine Leistung nach unten. Die Schnelligkeit nimmt ab, die Wendigkeit. Aber bei mir blieb sie stabil oder wurde noch besser", sagte der Mann ohne sichtbares Ablaufdatum dazu.

Die Grundlage für die blendende Verfassung des Brasilianers? "Der Junge ist gut auf den Beinen geblieben und hat sich keine schlimme Verletzung zugezogen", sagt Elber.

Auch Ze Robertos Professionalität ist ein Baustein. "Ich suche immer nach etwas Neuem, um auf dem Platz besser zu werden." Was sich bei anderen nach einer Floskel anhört, das belegt der Familienmensch nicht nur mit seinem beeindruckenden Körper, der einem einzigen Muskel gleicht. Im Pokalfinale etwa bekamen gleich vier Spieler Krämpfe - der Älteste, Marcos Rocha, ist 22.

Rennen gegen die Kälte

Der Startschuss zur Marathon-Karriere fiel 1997 bei Real Madrid. Dort spielte der damals 23-Jährige in einem Team mit Granden wie Davor Suker, Fernando Hierro oder Roberto Carlos. Wobei spielen in diesem Fall der falsche Begriff ist, meist saß der junge Brasilianer auf der Bank oder Tribüne. Um seinen großen Traum von der WM-Endrunde 1998 in Frankreich nicht zu gefährden, flüchtete er zu Flamengo.

Dass der flinke Mann mit der wechselhaften Haarpracht damals noch kein großes Selbstvertrauen hatte, belegt auch, dass er bei der WM immer im Hotel blieb, weil er kein Französisch konnte. Dieses für Fußballer so wichtige Selbstvertrauen hat sich Ze längst geholt. "Wäre ich bei Real geblieben, hätte ich wohl sicher Erfolg gehabt, unabhängig von der Konkurrenz", sagte er in der Rückschau über seine Madrider Zeit.

Doch erst bei Bayer Leverkusen, der Wohlfühloase für Brasilianer in Europa, blühte der gläubige Christ so richtig auf. Nirgends hatten die Südamerika-Importe so wenig Eingewöhnungsprobleme - mal abgesehen von den deutschen Klima-Eigenheiten, die fast jedem Brasilianer ungelegen kommen: "Bei Spielen im Herbst und Winter hätte ich mich manchmal am liebsten auswechseln lassen, so kalt war mir. Also habe ich angefangen, zu rennen."

Auf dem vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere traf Ze auch die größte Enttäuschung: Ein schwaches Spiel bei der 1:3 Niederlage in der WM-Quali gegen Bolivien kostete ihn aus seiner Sicht den sicher geglaubten Platz im späteren Weltmeister-Kader von 2002. Seine Begründung war, er sei es satt, immer nur Zweiter zu werden. Zu kämpfen - und am Ende nur Zweiter zu sein.

Flucht vor Magath

Es folgte der Wechsel zu Bayern München, wo er nach dem Trainerwechsel zu Felix Magath einen weiteren Tiefpunkt erlebte. "Wegen Magath wollte ich nur noch weg. Er sprach nicht mit mir, er hat nichts erklärt", sagte er später der SZ. Dabei ist Ze Roberto eigentlich ein loyaler Mensch. Seine Mitspieler sprechen nur positiv von ihm.

Über die Zwischenstation bei Santos kehrte er wieder zum FC Bayern zurück - mit 33. Und er blühte nochmal auf. Ze Roberto kann und konnte ob seiner Symbiose von Leichtigkeit, Technik und Schnelligkeit fast alle Positionen spielen. Dabei schien er lange auf der linken Seite festgenagelt zu sein.

Erst beim zweiten Anlauf in München setzte ihn Ottmar Hitzfeld auf der Sechs ein, wo er auch in der Selecao brillierte. Es folgten Stationen beim HSV und in Katar, ehe er sich wieder in die Heimat begab, um den nächsten Frühling zu erleben.

Ze, der Familienmensch

Wie lange er noch in Brasilien sein wird, ist offen. "Ich glaube nicht, dass er danach als Trainer arbeitet", meint Elber, der jedoch davon ausgeht, dass Ze dem Klub nach der zeit als Profi zumindest noch ein bisschen erhalten bleibt. "Er macht sich dort einen Namen."

Für Ze Roberto, der einst ein Buch mit dem Titel "Traumpass ins Leben. Mit Gott auf der Außenbahn" herausbrachte und sogar mit dem Gedanken spielt, nach der Karriere Pastor zu werden, ist Deutschland dennoch das Größte.

Seit 2011 hat er bereits die deutsche Staatsbürgerschaft. Hier kann er mit seiner Familie unbehelligt draußen spazieren, es braucht keine Gated Community zum Leben wie in Brasilien.

Die Familie und sein Glaube sind Ze Robertos großer Rückhalt, wann immer es geht ist er mit seinen Kindern zusammen. Die gemeinsame Rückkehr nach Deutschland im Anschluss an Karriere ist schon beschlossene Sache. Wann immer das auch sein mag.

Ze Roberto im Steckbrief