Freund oder Feind?

Die Affäre um Mathieu Valbuena (l.) und Karim Benzema beschäftigt Frankreichs Justiz
© getty

Welche Rolle spielt Real Madrids Stürmer Karim Benzema im vermeintlichen Erpressungsversuch gegen seinen Nationalmannschaftskollegen Mathieu Valbuena? Die Antwort auf diese Frage beschäftigt derzeit die französische Justiz und dürfte über den weiteren Karriereverlauf Benzemas entscheiden, dessen Charakter weiter undurchsichtig bleibt.

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"Es gab zuvor keine Feindseligkeiten und es gibt sie noch immer nicht", sagt Didier Domat. "Man kann nicht gefühllos bleiben, wenn man die Berichterstattung sieht. Sollte sich all dies als wahr herausstellen, ist es sicher, dass er nicht sein Freund sein wird."

Domat ist der Anwalt von Mathieu Valbuena und spricht über die "Affaire Benzema", den derzeit größten Skandal Frankreichs. Karim Benzema, Stürmer in Diensten Real Madrids, soll Valbuena, Spielmacher bei Olympique Lyon und Benzemas Teamkollege in der französischen Nationalmannschaft, erpresst haben.

Es geht dabei um ein Handyvideo, das Valbuena beim Sex mit einer Unbekannten - nicht seiner offiziellen Freundin - aufgenommen haben soll. Später verlor Valbuena dieses Mobiltelefon und es geriet in Hände, in die es nicht geraten sollte. Drei anrüchige Personen treten in dieser Posse als Erpresser auf, die in Kontakt zum 32-jährigen Karim Zenati stehen - einem Jugendfreund Benzemas.

Worüber sprach Benzema mit Valbuena?

Über Mittelsmann Zenati kamen sie an Benzema heran, der wiederum - angeblich schuldete der Stürmer seinem alten Kumpel noch einen Gefallen - mit Valbuena sprechen sollte, um die Forderungen der Erpresser zu hinterlegen. 150.000 Euro, perfider Weise das Wochensalär Benzemas bei den Königlichen, wurden angeblich von Valbuena verlangt, damit das pikante Video nicht an die Öffentlichkeit gelange.

Dass zwischen Benzema und Valbuena ein Gespräch zu dieser Thematik stattgefunden hat, steht fest. Es trug sich am 6. Oktober in Clairefontaine zu, wo sich die Equipe Tricolore traditionell vor Länderspielen einfindet. Am späten Abend soll Benzema mit Zenati telefoniert und ihn über den Verlauf des Treffens mit Valbuena unterrichtet haben.

Ab hier stellen sich nun mehrere Fragen, die mit großer Wahrscheinlichkeit über die weitere Karriere Benzemas entscheiden dürften. Zuvorderst: Welchen Inhalt hatte das Gespräch zwischen Benzema und Valbuena? Riet der Stürmer seinem Teamkollegen, sich nicht auf die Erpressungsversuche einzulassen und das geforderte Geld nicht zu bezahlen? Oder aber trat Benzema als mitwissender Komplize auf und setzte Valbuena unter Druck?

Knast wegen 210 Kilo Cannabis

Diesen Verdacht legen zumindest Mitschnitte des Telefonats zwischen Benzema und Zenati nahe, die der französische Radiosender Europe 1 veröffentlicht hat. "Ich glaube, er nimmt uns nicht ernst", soll Benzema gegenüber Zenati behauptet haben. Der TV-Sender M6 zitiert gar folgenden Wortlaut Benzemas: "Mach' dir keine Sorgen. Er (Valbuena, Anm. d. Red.) hat keine Wahl. Das werde ich ihm verständlich machen. Er wird zahlen."

Aufgrund dieser Anschuldigungen verbrachte Benzema vergangene Woche eine Nacht in Untersuchungshaft in Versailles. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn offiziell aufgrund des Verdachts der Komplizenschaft.

Zenati wurde am 5. November am Flughafen Lyon festgenommen und sitzt seitdem in Haft. Er ist der Polizei gut bekannt, unter anderem wanderte er bereits wegen mehrerer Raubüberfälle und des Besitzes von 210 Kilogramm Cannabis in den Knast. Benzema stattete ihm damals einen Besuch ab.

War Benzema vielleicht nur naiv?

Benzemas Anwalt Sylvain Cormier bestritt alle Vorwürfe und behauptet, dass sein Mandant "von ganzem Herzen zu seinem Freund Mathieu" stünde. Zu diesem darf Benzema nach einem richterlichen Beschluss jedoch vorerst keinen Kontakt mehr aufnehmen. Nationaltrainer Didier Deschamps konnte beide Spieler daher nicht für die Länderspiele gegen Deutschland und England nominieren.

Die französische Justiz ist aktuell dabei herauszufinden, welche Rolle Benzema in dieser Affäre konkret spielt. War der 27-Jährige nur naiv genug, um sich von Kriminellen vor den Karren spannen zu lassen oder wusste er ganz genau, worum es geht? Zur Wahrheitsfindung sollte in jedem Fall auch die Anhörung Valbuenas beitragen, die demnächst stattfinden wird.

Benzemas Zukunft als Fußballspieler liegt somit in der Hand französischer Richter. Derzeit scheint überaus denkbar, dass er nie wieder für Les Bleus auflaufen wird - erst Recht nicht gemeinsam mit Valbuena. Sieben Monate vor der Europameisterschaft im eigenen Land ist dies für den Gastgeber ein schwerer Schlag. Benzema und Valbuena gehören zu Deschamps' Schlüsselspielern. Das Volk, nach der Spielerrevolte bei der WM 2010 zuletzt wieder auf Versöhnungskurs mit seinen Elitekickern, zürnt gewaltig.

Ungesund, aber unabdingbar

Wie gut Benzemas Chancen in dieser Causa stehen, ist angesichts der verworrenen Faktenlage momentan schwer einschätzbar. Fest steht, dass er kein unbeschriebenes Blatt ist. Zusammen mit Franck Ribery war er vor Jahren schon in die Affäre um die minderjährige Prostituierte Zahia Dehar verwickelt, die in einem Freispruch endete. In Spanien ging ihm dazu der Führerschein verloren, weil er mit 216 Stundenkilometern in einer Tempo-100-Zone unterwegs war. Benzema fuhr anschließend dennoch weiter und musste bereits mehrere Geldstrafen bezahlen.

Die Gründe für Benzemas undurchsichtigen Charakter liegen für viele in seiner Herkunft. Der Stürmer, der sich für zwei Millionen Euro einen Bugatti Veyron Super Sport leistete und beinahe 230.000 Euro für einen mit 72.000 Diamanten besetzten Fußball ausgab, ist zusammen mit seinen acht Geschwistern in der Lyoner Banlieue Bron aufgewachsen.

Bis heute besteht Benzemas Entourage aus zwielichtigen Kumpels früherer Tage, die längst an seinem offen zur Schau gestellten Reichtum partizipieren. Sie alle stammen aus dem Viertel Terraillon, wo strikt hierarchisierte Bandenkriminalität an der Tagesordnung steht.

Verbringt Benzema seine Freizeit in der Heimat, kommt er bei seinem Bruder Gressy unter, der die elterliche Wohnung übernommen hat, in der beide gemeinsam aufwuchsen. Sein Festhalten an diesen Einflüssen ist es, das für Benzema ungesund erscheint, zugleich aber offenbar unabdingbar für ihn ist.

"Er hat sich nie an das Milieu gewöhnt"

Er ist der einzige Spieler, der die französische Nationalhymne "Marseillaise" nie mitsingt - weil er mit seinen Kumpels eine Wette laufen hat, dass er es niemals tun würde. Im Fußball zählt nur Ribery zu seinen engeren Freunden. 2011 soll Benzema einmal die ganze Nacht lang mit einem Ferrari durch seine Siedlung in Lyon gefahren sein, das Auto mit leerem Tank abgestellt und es nie wieder abgeholt haben.

"Karim Benzemas Hauptproblem besteht darin, sehr nah an der Gesinnung seines Viertels geblieben zu sein", sagt Frederic Guerra, der Benzema kennt, seitdem dieser 16 Jahre alt ist. Zwischen 2002 und 2004 war Guerra dessen Berater.

"Er hat sich nie an das Milieu gewöhnt, in dem er sich heutzutage bewegt. Es ist für ihn ein Dilemma, 'sein Lager' aussuchen zu müssen. Er ist hin- und hergerissen zwischen zwei entgegengesetzten Welten und weiß, dass er auf eine davon verzichten muss, wenn er sich zwischen beiden entscheidet - und er hat sich nicht entschieden", so Guerra.

Auch wenn sich Verbandspräsident Noel Le Graet und Legende Zinedine Zidane auf Benzemas Seite schlugen und ihm Rückendeckung gaben, wird Real Madrids Angreifer auch in diesen Tagen keine Entscheidung treffen. Stattdessen übernimmt das die französische Justiz für ihn.

Karim Benzema im Steckbrief

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