Garcia zwischen Rücktritt und Verrat

SID
Mark Pieth sieht für FIFA-Ermittler Michael Garcia nur zwei Optionen
© getty

Die FIFA ist in der Krise durch die Korruptionsvorwürfe bei den WM-Vergaben 2018 und 2022 auch am Montag auf Tauchstation geblieben. Die meisten Handlungsoptionen zur Lösung der Probleme werden derzeit ohnehin den europäischen Verbänden und besonders Chefermittler Michael J. Garcia zugeschrieben.

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Europa und Sonderermittler Michael J. Garcia rücken in der schweren Krise des Fußball-Weltverbandes FIFA verstärkt in die Rolle von Hoffnungsträgern. Nach dem Szenario einer Abspaltung der Europäischen Fußball-Union (UEFA) durch Deutschlands Liga-Präsident Reinhard Rauball erhöhte Englands Ex-Verbandschef David Bernstein mit dem Vorschlag eines kollektiven WM-Boykotts der Europäer den Druck auf die weiter abgetauchten FIFA-Bosse um den angezählten Präsidenten Joseph S. Blatter. Garcia wird unterdessen immer stärker zur eigenmächtigen Veröffentlichung seiner von der FIFA unverändert geheim gehaltenen Erkenntnisse über Manipulationen bei den WM-Vergaben 2018 und 2022 gedrängt.

Unabhängig von den Turbulenzen rund um den Zürcher FIFA-Palast kommt womöglich auch bald Licht in die seit dem Wochenende kursierenden Spekulationen über weitere Garcia-Ermittlungen gegen das deutsche Idol Franz Beckenbauer. FIFA-Spruchkammerchef Hans-Joachim Eckert rechnet jedenfalls zeitnah mit Anklageschriften von Garcia gegen Einzelpersonen wegen Verstößen gegen den FIFA-Ethikcode. "Ich bin sicher, dass in absehbarer Zeit etwas kommt. Dann entscheide ich, ob ich das Verfahren annehme und eröffne", sagte der Münchner Richter zu Sport Bild plus.

"Guter Moment für Rücktritt"

Garcia, der nach Angaben des Fachmagazins kicker für seine bisherige FIFA-Tätigkeit seit 2012 gut acht Millionen Dollar erhalten haben soll, hat jedoch nach Ansicht des früheren FIFA-Reformers Mark Pieth (Schweiz) derzeit wichtigere Überlegungen im Sinne der eigenen Glaubwürdigkeit anzustellen. Der Basler Governance-Experte, der die Ethikkommission in ihrer derzeitigen Form bei der FIFA etablierte, sieht für den ehemaligen US-Bundesanwalt momentan offenbar nur Rücktritt oder Verrat als realistische Optionen. In der US-Zeitung USAToday wird Pieth allerdings mit seiner Hoffnung zitiert, dass Garcia den über 400 Seiten umfassenden Bericht über seine Ermittlungsergebnisse auf Umwegen in die Öffentlichkeit lancieren wird.

"Es wäre jetzt sicher auch ein guter Moment für einen Rücktritt. Aber hoffentlich wird er seinen Bericht durchsickern lassen", wird Pieth von "USAToday" wiedergegeben: "Wir müssen seine Erkenntnisse einfach haben, und meine Erfahrung ist, dass in den USA alles irgendwie durchsickert, wenn das helfen kann." An Garcias Protest bei der FIFA gegen die Wertung seiner Ermittlung durch Spruchkammer-Chef Hans-Joachim Eckert (München) knüpft Pieth keine allzu hohen Erwartungen: "Ich habe keine große Hoffnungen. Mir wäre lieber, die weltweite Meinung wäre der Richter, denn wir wollen Garcias Bericht sehen."

Fast wie "das frühere Sowjetreich"

Nicht mehr an der FIFA-Spitze sehen will Bernstein den umstrittenen Blatter. "England hat in und mit der UEFA die Kraft, Einfluss auf die FIFA zu nehmen, aber um das tun zu können, müsste man mit dem Boykott der kommenden WM drohen, bis angebrachte Reformen inklusive Blatters Verzicht auf eine weitere Amtszeit von der FIFA umgesetzt sind", sagte der ehemalige FA-Chef in einem "BBC"-Interview. Die FIFA erinnere ihn "ein bisschen an das frühere Sowjetreich, in dem jeder Kritiker unterdrückt wurde. Das klingt drastisch, aber es wird seit Jahren nicht besser, es wird schlimmer und schlimmer".

Bernstein setzt angesichts der unterschiedlichen Positionen in der UEFA seine Hoffnungen besonders auf die großen Nationen in Europa. "Die UEFA hat über 50 Mitgliedsverbände und vor allem starke Länder wie Deutschland, Spanien, Italien, Frankreich und die Niederlande. Ohne diese Länder kann man kein ernsthaftes WM-Turnier absolvieren. Diese Länder haben deswegen auch die Macht, bei der FIFA Einfluss zu nehmen, wenn sie auch den Willen dazu haben", betonte der 71-Jährige.

Dyke mit Brief an Mitglieder

Aber nicht nur Berstein erhöhte den Druck aus England. Der amtierende FA-Boss Greg Dyke forderte in einem Brief an die Mitglieder der FIFA-Exekutive erneut die vollständige Veröffentlichung des Garcia-Reports. "Wir können so nicht weitermachen. Vollständige Transparenz ist erforderlich, wenn die Handlungen all derjenigen, die sich um die WM 2018 beworben haben, fair beurteilt werden sollen", schrieb Dyke.

Es bestehe "dringender Handlungsbedarf wenn das Vertrauen in die FIFA in England wieder aufgebaut werden soll", ergänzte Dyke: "Dieser Prozess sollte mit der vollständigen Veröffentlichung des Berichts von Herrn Garcia starten."

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