Mansur Faqiryar: Zwischen den Welten

Von Stefan Rommel
Mansur Faqiryar mit Afghanistans Präsident Hamid Karsai
© faqiryar

Mansur Faqiryar ist in Deutschland ein Torhüter in der 4. Liga - im Heimatland seiner Eltern ist er ein Nationalheld. Mit ihm als Kapitän holte Afghanistan den ersten Titel der Verbandsgeschichte, Faqiryar hielt beim Turnier in Nepal im Halbfinale und Finale sensationell und wurde zum Spieler des Turniers gewählt. Im Interview mit SPOX erzählt er von verrückten Reisen zur Nationalmannschaft, seinem Besuch beim Staatspräsidenten und seinem Spagat zwischen zwei völlig unterschiedlichen Welten.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Mansur Faqiryar hat viel zu erzählen, also nimmt er sich auch sehr lange für den Termin Zeit. Am Abend vor dem Gespräch hat er in der Regionalliga Nord beim Derby in Meppen im Tor gestanden.

Ein enges Spiel, am Ende steht ein 2:2 im Protokoll. "Zu wenig für uns", sagt Faqiryar, sein VfB Oldenburg will in dieser Saison aufsteigen. Es wäre die Verwirklichung eines kleinen Traums.

Im Spätsommer des letzten Jahres hat er sich diesen einen ganz großen Traum bereits erfüllt. Mit dem krassen Außenseiter Afghanistan hat Mansur Faqiryar den "South Asian Football Federation Cup" gewonnen, die Südasienmeisterschaft.

Im Halbfinale gegen Gastgeber Nepal hielt Faqiryar zwei Elfmeter, seine Mannschaft siegte 1:0. Im Finale brachte er mit seinen Paraden das übermächtige Indien zur Verzweiflung und sicherte seinem Land so den ersten Titel der Geschichte.

In den Wochen danach musste er seine ganz persönliche Geschichte immer wieder erzählen - aber auch mit dem Abstand von mehreren Monaten funkeln seine Augen immer noch und manchmal muss er auch kurz innehalten, wenn er an die Tage im September zurückdenkt.

SPOX: Herr Faqiryar, was kommt Ihnen als erstes in den Sinn, wenn Sie an das Turnier zurückdenken?

Mansur Faqiryar: Wie ich mir die Siegerehrung so aus der Ferne angeschaut habe.

SPOX: Aber Sie waren doch als Leistungsträger mittendrin?

Faqiryar: Ich saß auf einer Bühne neben der eigentlichen Bühne und habe mir meine Mannschaft angesehen, wie sie alle vor den Kameras posierten. Minister und Funktionäre, die gesamte Delegation, und Fans waren ebenfalls mittendrin. Alle mussten auf dieses historische Bild. Das war faszinierend, entspannend und amüsant zugleich.

SPOX: Das komplette Turnier lief für den krassen Außenseiter Afghanistan wie ein Märchen ab?

Faqiryar: Kann man so sagen. Ehrlich gesagt hätte ich nicht gedacht, dass wir gewinnen. Nach dem dramatischen Halbfinale hätte man meinen können, dass eine Steigerung nicht möglich ist. Im Finale hatte Indien gefühlte 90 Prozent Ballbesitz und wir zwei Torschüsse, die noch nicht mal klare Chancen waren. Beide waren drin.

SPOX: Sie sorgten auch mit ein paar Botschaften auf Ihren Klamotten für Aufsehen.

Faqiryar: Vor dem Spiel habe ich einen unserer Betreuer gebeten, mir zwei Shirts drucken zu lassen. Auf dem einen stand: 'Peace for Afghanistan, Nepal, Syria, Palestine' und auf der Rückseite: 'Lang lebe Afghanistan!' Das hatte ich bei der Siegerehrung an. Und auf dem anderen: 'Ich bin stolz, Afghane zu sein.' Das hatte ich bei der Rückkehr nach Afghanistan an. Ich glaube, dass meine Botschaften angekommen sind.

SPOX: Das Finale gegen Indien fand am 11. September statt. Ein bedeutungsschwangeres Datum für Afghanistan.

Faqiryar: Ich bin ein religiöser Mensch und glaube nicht an Zufälle. Für mich war das eine Vorbestimmung, dass wir an diesem Tag gewinnen sollten.

SPOX: Zumindest gab es dem Land einen gewissen Schub?

Faqiryar: Ich würde es nicht mit dem WM-Titel der Deutschen 1954 und dessen Auswirkungen auf das Land vergleichen wollen, obwohl ich das schon gelesen habe. Dafür sind die Vorzeichen zu unterschiedlich. Der entscheidende Punkt ist: Durch unseren Sieg wurden die Menschen vom Alltag abgelenkt. Ein bemerkenswerter Satz von Präsident Karsai ist mir im Gedächtnis geblieben: 'Milliarden von US-Dollars haben nicht das bewirken können, was euer Sieg bewirkt hat.' Das war vielleicht ein wenig übertrieben, aber prinzipiell geht das schon in diese Richtung.

SPOX: Wofür steht der Fußball heute in Afghanistan?

Mansur Faqiryar: Für Ablenkung. Die Erfahrung zeigt, dass besonders in krisengeschüttelten oder finanzschwachen Ländern die Leidenschaft für jegliche Art anderer Inhalte als der üblichen schlechten Nachrichten besonders groß ist. Das ist auch in Afghanistan der Fall. Wenn wir diese Ablenkung bescheren können, haben wir unsere Pflicht getan. Die Wahrnehmung der Leute nimmt manchmal auch groteske Züge an. Ich würde sagen, die Leidenschaft für den Fußball ist eher vergleichbar mit der in Brasilien oder Italien als mit der in Deutschland.

Seite 1: Der erste Titel mit Afghanistan

Seite 2: Besuch bei Karsai und das verrückte erste Mal

Seite 3: Emotionen und die spezielle Mischung