Mansur Faqiryar: Zwischen den Welten

Von Stefan Rommel
Mansur Faqiryar mit Afghanistans Präsident Hamid Karsai
© faqiryar
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SPOX: Als Sie mit Afghanistan im Spätsommer die Südasienmeisterschaft geholt und damit den größten Erfolg des Verbandes gefeiert haben, waren Millionen Ihrer Landsleute auf den Straßen und der Fußball war ein wenig mehr als nur Ablenkung.

Faqiryar: In den Tagen war das das Lebenselixier für alle. Wir haben eine Lawine losgetreten. Vom einfachen Bauern bis zum Staatspräsidenten. Endlich wurde nicht über die Stereotype berichtet, über Krieg, Tod und Mord.

SPOX: Die Nationalmannschaft lief bis dato immer nebenher, mit dem Gewinn des Titels sollte sich was daran ändern?

Faqiryar: Ich freue mich aus vollem Herzen für das afghanische Volk. Ich denke bei den feiernden Afghanen an die Leute, die zum ersten Mal auf den Straßen tanzen, lachen und feiern. Und das erfüllt mich mit Stolz.

SPOX: Sie waren bei Staatspräsident Karsai.

Faqiryar: Mittwochs haben wir noch gefeiert, am Donnerstagabend bin ich dann zurück nach Deutschland geflogen, am Freitagabend hatte ich mit dem VfB Oldenburg in der Regionalliga ein Spiel. Noch am Gepäckband in Deutschland bekam ich den Anruf: 'Du musst sofort zurückkommen, der Präsident will Dich empfangen! Und er besteht auf Dein Kommen.' Also bin ich mit der nächsten Maschine am Samstag wieder zurück. Ich war alleine bei ihm, der Rest der Mannschaft war bereits einen Tag zuvor zum Essen eingeladen. Nur der Trainer und der Vereinspräsident waren noch dabei.

SPOX: Wie war das für Sie bei Karsai?

Faqiryar: Keine große Show, sondern ganz bodenständig. Er war wirklich interessiert und wir haben uns gut unterhalten. In diesem Moment habe ich mich besonders für meine Eltern gefreut. Sie haben auf ihre Heimat verzichtet, um uns eine bessere Zukunft in einem fremden Land zu gewährleisten. Und dann sitzt der Sohn beim Staatspräsidenten ihres Heimatlandes und wird von ihm mit Lob überschüttet. Das war für sie ein emotionaler Moment.

SPOX: Was hat sich für Sie geändert?

Faqiryar: Mir wurde der Beiname 'Qaramon' verliehen. Das heißt so viel wie Sieger oder Held, irgendwas dazwischen. Manche nennen mich auch Magnet, wegen der gehaltenen Elfmeter. Superlative sind völlig normal in Afghanistan. Auf den Straßen Kabuls werde ich inzwischen erkannt.

SPOX: Wie gehen Sie mit Nationalstolz um?

Faqiryar: Wir Deutsche haben damit ja so unsere Probleme. Ich aber nicht. Ich lebe diese Sache mit der Nationalmannschaft und bin stolz, für Afghanistan zu spielen. Ich habe aber auch kein Problem damit zu sagen: 'Ich bin ein stolzer Deutscher.'

SPOX: Wann haben Sie Ihr erstes Spiel für Afghanistan bestritten?

Faqiryar: Das war 2011 gegen Bhutan. Ich durfte durchspielen, wir haben 3:0 gewonnen. Ein schönes Erlebnis, das schnell von einer für Afghanistan typischen Episode eingeholt wurde.

SPOX: Erzählen Sie.

Faqiryar: Ein paar Monate danach hatte ich mir das Kreuzband gerissen. Es stand ein WM-Qualifikationsspiel gegen Palästina an, als mich der Verband anrief: 'Du musst kommen!' Ich habe ihnen versucht zu erklären, dass das mit einem Kreuzbandriss ziemlich ungünstig sein könnte - nur hatte der Verband inklusive mir nur zwei Torhüter angemeldet. Und nur mit einem Keeper dürften sie nicht spielen. Also bin ich in den Flieger nach Tadschikistan - in Afghanistan durften wir damals nicht spielen - und saß 20 Stunden später als zweiter Torhüter auf der Bank.

SPOX: Hatten Sie vor dem ersten Trip zu einem Spiel in Afghanistan auch Angst oder zumindest Respekt?

Faqiryar: Ja, aber ich wollte schon immer ein Heimspiel bestreiten und einen Titel für mein Land holen. Das waren meine Ziele. Deshalb vergesse ich auch den Tag nie, es war der 22. August: Ein Freundschaftsspiel gegen Pakistan. Ein Heimspiel gegen den großen Erzrivalen, das erste Spiel auf afghanischem Boden seit zehn Jahren. Was für ein Risikospiel, in vielerlei Hinsicht. Der Verband hat alles auf eine Karte gesetzt und gehofft, dass das Spiel gewonnen wird.

SPOX: Wie lief der Tag ab?

Faqiryar: Eigentlich hätte ich in Oldenburg sein müssen, am Tag drauf stand ein Pokalspiel gegen Goslar an. Aber ich musste da einfach hin... Keiner in Afghanistan hätte ernsthaft geglaubt, dass wir anreisen würden. Aber wir sind zu fünft aus Deutschland gekommen. Also waren wir da, 'die Ausländer' in der Heimat ihrer Eltern. Das Stadion glich einer Baustelle, die waren gerade dabei, die Sitze reinzuschrauben. Überall lagen Steine und Kabel herum. Aber sie haben es in zwei Tagen hinbekommen. Das Stadion war dann natürlich hoffnungslos überfüllt, die Stimmung schwankte zwischen Euphorie und Aggressivität. 6.000 Zuschauer fasst das Stadion. Weit vor dem Spiel wurden bereits 10.000 Tickets verkauft, am Spieltag selbst standen angeblich nochmal doppelt so viele vorm Stadion.

SPOX: Klingt spannend, aber auch gefährlich.

Faqiryar: Die Fahrt zum Stadion war das reinste Chaos. Die Leute sind ausgerastet, als wir mit dem Konvoi durch die Straßen gefahren sind. Überall waren Straßensperren, das Militär, die Polizei und private Sicherheitskräfte waren sich ständig uneins über die Sicherheitslage. Da gab es einige sehr heikle Momente, wenn die sich angebrüllt und gegenseitig bedroht haben. Da traute keiner dem anderen. Der eine wollte uns durchwinken, der andere den ganzen Bus durchsuchen, die nächsten unter dem Bus nachschauen und so weiter. Wenn da einer eine unbedachte Aktion losstartet, bricht die totale Panik aus. Wir sind nach einer wahren Odyssee dann doch angekommen. Die Partie lief perfekt für uns, die Pakistani wollten am Ende wohl gar nicht gewinnen. Das war wie ein Pulverfass und als die Tore fielen, explodierte der Kessel. Wir gewannen 3:0.

SPOX: Was ist danach passiert?

Faqiryar: Die Leute haben den Platz gestürmt. Plötzlich standen tausende Fans auf dem Rasen, mittendrin Politiker und Prominente, alle wollten teilhaben am Triumph. Jeder mit seiner eigenen kleinen Sicherheitsarmee im Schlepptau, alle bis an die Zähne bewaffnet. Und wir mittendrin. Unsere Sicherheit war nicht mehr gewährleistet, deshalb wurden wir ganz schnell in die Katakomben geführt. Der ganze Tag hätte auch ganz anders laufen können, das muss man so sagen. Das erste Tor nach etwa zehn Minuten hat die Lage etwas entspannt, bis dahin waren die Spannungen auf den Rängen förmlich greifbar. Und für die Sicherheit aller Leute in einem Stadion konnte niemand ernsthaft die volle Verantwortung übernehmen.

Seite 1: Der erste Titel mit Afghanistan

Seite 2: Besuch bei Karsai und das verrückte erste Mal

Seite 3: Emotionen und die spezielle Mischung