He scores when he wants

Von David Kreisl
Thomas Müller spielt eine herausragende Hinrunde mit den Bayern
© getty

Der FC Bayern München knüpft nach der Triple-Saison nahtlos an die Erfolge der letzten Spielzeit an und bricht aktuell einen Rekord nach dem anderen. Doch in der Begeisterung über den neuen Star-Coach Pep Guardiola und die spektakulären Neuzugänge Mario Götze und Thiago Alcantara wird gerne vergessen, wer momentan Bayerns effektivster Offensivspieler ist: Thomas Müller.

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Stell dir vor, du bist der beste Spieler der besten Mannschaft und keiner kriegt's mit.

So oder so ähnlich ließe sich die Hinrunde von Thomas Müller wohl treffend zusammenfassen. Das Münchner Eigengewächs ist der aktuell beste Scorer des Rekordmeisters, findet in der öffentlichen Wahrnehmung aber vergleichsweise wenig Beachtung. Zu wenig, wenn man sich die Statistiken des 24-Jährigen vor Augen führt.

26 direkte Torbeteiligungen sammelte Müller bis zur Winterpause wettbewerbsübergreifend. In der Bundesliga (7 Tore/6 Vorlagen) stiehlt ihm dabei nur Weltfußballer-Kandidat Franck Ribery die Show (6 Tore/9 Vorlagen), während seine Quote im DFB-Pokal mit sechs Toren und drei Assists in drei Partien unerreicht ist. Auch in der Königsklasse steht er mit drei Treffern und einer Vorbereitung mehr als ordentlich da.

Der Alleskönner

Es stellt sich also die Frage, wie ein Spieler, der für viele so unauffällig agiert, einen derart immensen Anteil am Erfolg der Mannschaft haben kann. Zumal Müller auf den ersten Blick so gar nicht zu seinem neuen Trainer zu passen scheint.

Guardiola - so die Theorie - setzt auf kleine, wendige Spieler in der Offensive und auf ballsichere, kombinationsstarke Spieler im Mittelfeld, die eine Partie lenken und diktieren können. Nicht gerade die Beschreibungen, die auf Müller zutreffen, der selbst über sich sagte, er sei "kein Spieler für den Zirkus".

Doch bei genauerem Hinsehen wird klar: Er erfüllt Peps wichtigstes Kriterium wie kaum ein anderer: Polyvalenz. Es spiele zwar "keiner so komisch wie ich", das aber immer und überall. Als einziger Bayernspieler neben Toni Kroos kam Müller in allen 27 Pflichtspielen der laufenden Spielzeit zum Einsatz - und das auf vier verschiedenen Positionen.

Egal ob rechts im zentralen Mittelfeld, als Rechts- oder Linksaußen oder in der Sturmzentrale: "Müller spielt immer", wie sein ehemaliger Coach Louis van Gaal einst festlegte. Und auch unter Guardiola scheint die Regel des Niederländers Bestand zu haben.

Der Raumdeuter wird unberechenbarer

Obgleich seiner vermeintlichen Parade-Position als hängende Spitze hinter einem echten Mittelstürmer beraubt, verhilft Müller seine enorme Variabilität zu Topleistungen auf jeder Position. Sogar während des Spiels kann der gebürtige Weilheimer mit der gesamten Offensive ohne Qualitätsverlust Positionen tauschen - oder vom Coach verschoben werden.

Müller ist mit seiner Vielseitigkeit mit ein wichtiger Grund, warum Guardiolas taktische Spielereien so oft zum Erfolg führen.

Dabei profitiert der 24-Jährige davon, wie beweglich sich seine Mitspieler im neuen System im Angriff präsentieren. War er in seinem Amt als "Raumdeuter" im verhältnismäßig starren und positionstreuen Offensivspiel unter van Gaal und Jupp Heynckes oft alleine für die überraschenden Läufe verantwortlich, wirbelt jetzt der gesamte Sturm. Das macht Müller noch unberechenbarer und weniger greifbar.

Mit die größte Stärke des Münchners ist die Fähigkeit, misslungene Situationen postwendend abzuhaken. "Es gibt im Fußball viele, die sich nach einem Fehlpass Gedanken machen und sich immer weiter runterziehen", so Müller selbst, der sich aber bewusst ist, dass "mein Spiel Ecken und Kanten hat und nicht immer alles sauber abläuft".

Die mentale Marschrichtung: "Mach' dir keinen Kopf, deine Situation kommt noch und dann machst du ihn rein!"

"Werde nie fünf Spieler ausspielen"

Dabei hilft ihm seine unnachahmliche Technik, die im Mittelfeld teilweise etwas unkonventionell aussieht, ihn aber vor dem Tor in gefährliche Situationen bringt. Er sei "keiner, der für schönen Fußball bekannt ist. Ich werde niemals fünf Spieler ausspielen und mit der Hacke vorlegen". Dafür zappelt der Ball aber oft genug im Netz.

"Ich komme über die Effizienz", weiß Müller, der sich als "Mannschaftsspieler sieht, der dafür da ist, Ergebnisse einzufahren". Sieben Mal war Müller diese Saison an einem 1:0 direkt beteiligt, gegen Hoffenheim erzielte er den 2:1-Siegtreffer. Müller ist für das Angriffsspiel der Bayern elementar und nicht mehr daraus wegzudenken.

Das vergangene Bundesligaspiel gegen den Hamburger SV war das 150. für Müller, 52 Tore und 41 Assists stehen dabei zu Buche. Keines der 43 Spiele, in denen er ein Tor erzielte, ging verloren.

Thomas Müllers Hinrunden-Statistik 2012/2014

Als Persönlichkeit gereift

Zudem scheint Müller als Persönlichkeit gereift zu sein. Vor allem nach dem bitteren Jahr 2012, als er nach seinem 1:0-Führungstreffer im Champions-League-Finale verletzungsbedingt ausgewechselt werden musste - und die Niederlage im Elfmeterschießen von der Bank aus verfolgen musste.

Früh musste Müller Verantwortung übernehmen - unvergessen die Szenen vor dem Elfmeterschießen im selben Spiel, als er vergeblich versuchte, verzweifelt seine Mitspieler zum Schießen zu überreden.

Zwar ist sich der Angreifer nie für einen Scherz zu schade und gilt als lockerer Spaßvogel, dennoch ist sein hohes Standing bei Fans und im Verein nicht wegzureden. Keine Überraschung, wenn man sich vor Augen führt, was der er schon für den Klub geleistet hat, mit gerade einmal 24 Jahren.

Bayerische Identifikationsfigur

Als 18-Jähriger debütierte Müller 2008 unter Jürgen Klinsmann, erlebte einen kometenhaften Aufstieg und wurde schnell fester Bestandteil, Führungs- und Identifikationsfigur der Mannschaft, die momentan als weltbestes Team im Vereins-Fußball gilt.

Dass Müller immer spielt und dass Müller vor allem immer starke Leistungen bringt, wurde in der bayerischen Landeshauptstadt schnell zum Normalzustand. Und in einer Zeit, in der der Klub so erfolgreich und die Spieler so spektakulär sind wie nie, da kann es schon mal sein, dass man als Thomas Müller unter dem Radar fliegt. Schließlich spielt er eine starke Saison - aber das ist eben normal.

Thomas Müller im Steckbrief