"Strengere Kontrollen nützen nichts"

Von Interview: Alexander Maack
Im polnischen Przeworsk werden die Gästefans während des Spiels in einen Käfig gesperrt
© Jan Krapf
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SPOX: Hatten Sie denn nur mit Ultras zu tun oder gab es auch Kontakt zu Normalo-Fans?

Quambusch: Die meisten polnischen Fans sind de facto Ultras. Es gibt deutlich weniger normale Fußballfans. In den Stadien sind die meisten Ultras. Es ist ein bisschen wie in Deutschland Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger: deutlich wilder und roher, es sind weniger Fußballinteressierte da. Aus unserer Sicht wirkte es einfach mächtig, was da passiert. Wobei es nach Aussage der Fanbeauftragten auch da deutliche Fortschritte gibt. Die Gewalt in den Stadien ist deutlich zurückgegangen.

SPOX: Ein Grund dafür dürften die neuen Arenen sein, die anlässlich der anstehenden Europameisterschaft gebaut oder modernisiert wurden. Wie werden die neuen Stadien angenommen?

Quambusch: Da sind die Meinungen gespalten. Die Legia-Vorsänger sagte, er vermisst sein altes Stadion in Warschau. Der Fanbeauftragte sagte dagegen, dass die meisten Fans sehr glücklich sind über die Neubauten. Das kann ich auch durchaus verstehen. Wir waren im Stadion von LKS Lodz. Das ist ein alter Bau. Eine Ostschüssel, wo nachträglich quasi eine Stahlrohrtribüne rein gebaut wurde. Es ist total spannend, wenn man da einmal hingeht. Aber wenn ich mir vorstelle, dass ich da alle vierzehn Tage zum Fußball hin muss, dann ist das mit der Romantik auch ziemlich schnell vorbei.

SPOX: Als Vorbereitung auf die EM wurden die Sicherheitsvorkehrungen deutlich erhöht. Im TV sieht man oft Polizeiübungen, bei denen Fans kontrolliert werden sollen. Wie wirkt sich das auf den normalen polnischen Fußballalltag aus?

Quambusch: Der polnische Fußball ist definitiv gewalttätiger, aber darauf darf man es nicht reduzieren. Da tut man Polen unrecht. Die Sicherheitsmaßnahmen sind wirklich krass. Der Einlass dauert ewig. Bei Legia Warschau gegen Wisla Krakau wollten 1.600 Gästefans das Spiel sehen. Die Polizei hat darum gebeten, dass alle sechs Stunden vorher kommen. Trotzdem waren nicht alle zum Anpfiff im Stadion. Beim Pokalfinale waren die letzten Leute etwa in der 70. Minute im Stadion. Das geht aus meiner Sicht gar nicht. Man hat Geld für eine Karte bezahlt und dann ist man erst 20 Minuten vor Schluss im Stadion - da dreht man ja durch.

SPOX: Woran liegt es denn? Sind die Kontrollen so viel schärfer?

Quambusch: Es ist alles personalisiert. Es gibt eine Fankarte mit Foto, das wird abgeglichen. Außerdem wird jeder kontrolliert. Wenn's bei uns kurz vor Anpfiff ist, werden die Kontrollen ja schon mal etwas lascher. Die Polen machen dann aber einfach weiter. Und wenn es bis zur 70. Minute dauert, dann ist das halt so. Trotzdem ist es extrem ineffektiv. Man muss sich einfach nur angucken, was beim Pokalfinale mit gerade mal 7.000 Zuschauern alles an Pyrotechnik im Stadion war.

SPOX: Nach den Vorfällen der letzten Wochen wird auch in Deutschland gerade wieder über strengere Kontrollen diskutiert. Sie glauben also nicht, dass das was ändert?

Quambusch: In Polen gibt es unfassbar strengere Kontrollen und es nützt rein gar nichts. Wie die das Zeug ins Stadion kriegen, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber da gibt's kreative Mittel und Wege. Man muss wohl nur die richtigen Leute kennen. Da braucht man sich nichts vormachen: wenn man was ins Stadion kriegen will, kriegt man das auch rein.

SPOX: Kann man denn so einen Vergleich zu Deutschland ziehen?

Quambusch: Ich glaube, wir jammern in Deutschland auf einem wirklich hohen Niveau - auch was den Einsatz von Pyrotechnik angeht. Wenn hier in einem Spiel so viel Pyro verknallt würde, dann würde sofort die Bundesinnenministerkonferenz zusammengerufen. Das heißt natürlich nicht, dass das Thema hier nicht ernsthaft diskutiert werden muss, aber ich finde es ganz gut, da mal über die Ländergrenze hinaus zu gucken. Wir haben in Deutschland sehr viel Spaß und Sicherheit in den Stadien - unabhängig davon, ob es Probleme gibt. Aber wenn man Deutschland mit Polen vergleicht, dann ist das eine vollkommen andere Dimension.

SPOX: Aber auch in Polen ist die Atmosphäre nicht nur von Feuerwerkskörpern bestimmt. Wie ist das Fanverhalten sonst?

Quambusch: Die polnischen Fans sind lauter und viel engagierter, allerdings mit deutlich weniger Bezug zum Spiel. In Deutschland sind die Stadien zwar deutlich ruhiger, aber wenn der Schiedsrichter mal ein Foul nicht pfeift, dann rastet auch mal die Haupttribüne aus. Das ist eine größere emotionale Schwankung. In Polen ist es dagegen ein gleichbleibendes, brachial lautes Niveau. Das ist echt beeindruckend. Dazu muss man auch sagen, dass das Niveau des polnischen Fußballs grauenhaft schlecht ist. Ein Fan sagte: "Es gibt vier gute polnische Spieler. Davon spielen drei in Dortmund und der vierte bei Arsenal im Tor." Da kann ich dann durchaus verstehen, dass die sich auf den Rängen ein anderes Spielchen draus machen.

SPOX: Wie liefen die Dreharbeiten? Selbst in Deutschland kommt man als Journalist ja nicht einfach zu Gesprächspartnern in der Ultra-Szene. Wenn aber ein Deutscher in Polen recherchiert, dürfte das ungemein schwerer sein.

Quambusch: Ohne unseren zweiten Protagonisten Jan wäre die Doku niemals so ein tiefer Einblick in die Fankultur geworden. Jan ist Union Berlin-Fan und kennt in Polen Gott und die Welt. Natürlich gibt ein Capo einer polnischen Ultragruppe nicht irgendeinem daher gelaufenen deutschen Journalisten ein Interview. Da Jan sie kannte, haben uns aber alle Rede und Antwort gestanden. Ich war zwischendurch echt verzweifelt und habe mich gefragt, wie da je ein gescheiter Film draus werden soll.

SPOX: Am Ende scheint es doch geklappt zu haben. Warum gab es denn Bedenken?

Quambusch: Es war tierisch viel Material und viel zu wenig Zeit. Eigentlich hätten wir dreimal so viel Zeit vor Ort gebraucht. Wo ich das Ding jetzt fertig gesehen habe, ist es zwar anders geworden, als ich gedacht habe, aber ich bin echt stolz. Allerdings wäre das ohne die übers Normale rausgehende Unterstützung durch die Produktionsfirma Riesenbuhei Entertainment und das enorme Vertrauen und die Kompetenz der Leute bei ZDFinfo niemals möglich gewesen. Das ist der Film, den ich mein ganzes Leben machen wollte und jetzt endlich machen konnte.

Marc Quambuschs Dokumentation "Verrückt nach Fußball" läuft am Sonntag, 27. Mai 2012 um 12 Uhr erstmals auf ZDFinfo. Wiederholt wird die Sendung zudem in der darauffolgenden Nacht um 1.15 Uhr im ZDF-Hauptprogramm. Weitere Sendetermine auf ZDFinfo: 2. Juni um 17.15 und 23.45 Uhr, 3. Juni um 8.15 Uhr, sowie am 18. Juni um 19.45 Uhr.

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