Edgar Davids: "Ich bin kein Hund"

Von Adrian Bohrdt
Edgar Davids nahm für Holland an drei Europameisterschaften und einer Weltmeisterschaft teil
© Getty

Vom designierten Comic-Zeichner zum weltberühmten Abräumer im zentralen Mittelfeld, gleichermaßen verehrt und ausgepfiffen von den eigenen Fans: Edgar Davids kann auf eine bunte, ereignisreiche und selten unproblematische Karriere zurückblicken. Wenn es keine Probleme gab, schuf er sich auch gerne mal welche. Jetzt will er seine Karriere in England ausklingen lassen. Der Mann mit der Brille im Porträt.

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Eine Bilderbuchkarriere - das wäre wohl die am wenigsten passende Bezeichnung, wenn man die Laufbahn von Edgar Davids beschreiben will. Der heute 37-Jährige kämpfte sich durch sein Leben, auf und abseits des Platzes. Ob das immer notwendig war, ist eine andere Frage.

Der einstige Hitzkopf will sich jetzt noch einmal beweisen und hat nach zwei Jahren ohne Fußball bei Crystal Palace in England unterschrieben. Auch das läuft bei Davids etwas anders: Der Niederländer wird nach Einsätzen bezahlt.

Schon früh ein Kämpfer

Geboren in Paramaribo, Suriname, zwei Jahre vor der Unabhängigkeit des kleinen Landes im Norden Südamerikas von den Niederlanden, wuchs Edgar Davids in einem Einwandererviertel in Amsterdam auf. Zusammen mit seinem späteren Freund Patrick Kluivert. Ein Ghetto im Norden Amsterdams, fernab von der großen Bühne des Weltfußballs.

Sein Vater war ein Hafenarbeiter, seine Mutter putzte bei anderen Leuten. Geld, Luxus oder Eltern, die ihm alles kauften, kannte Davids nicht. Aber die Fußballplätze auf den Plätzen seines Viertels, die kannte er. Früh lernte Davids, sich durch das Leben zu kämpfen und bewahrte sich diese Eigenschaft für seine spätere Karriere. Dann auch auf der ganz großen Bühne - in Mailand, Turin, Barcelona und London.

"Ich bin ein Mensch"

Mit Davids Durchsetzungsvermögen geht allerdings auch ein fast notorisches Problem mit Autoritäten einher. Das bekam früh auch schon seine Lehrerin Urma van der Lande zu spüren. Sie forderte den kleinen Edgar Davids mit einem schlichten "Hierher" auf, an ihren Schreibtisch zu kommen. An sich keine ungewöhnliche Sache.

Davids jedoch stand auf, ging ohne ein Wort zu sagen aus dem Klassenzimmer und lief nach Hause. Van der Lande reagierte geistesgegenwärtig, lief ihm hinterher und stellte ihn zur Rede: "Warum gehorchst du mir nicht?" - der kleine Edgar erwiderte trotzig: "Hierher sagt man zu einem Hund. Aber ich bin kein Hund. Ich bin ein Mensch."

Dass auch Davids durchaus seine weichen Seiten hat, durfte die gleiche Lehrerin nach seinem Schulabschluss feststellen. In einem Brief soll der spätere Nationalspieler zu Protokoll gegeben haben, dass seine Lieblingscomics Heidi und Donald Duck sind und er später gerne Comiczeichner werden würde. Eine Karriere, die ihm bis heute verwehrt geblieben ist.

Davids und das große Ajax

Mit vierzehn kam Edgar Davids dann zu Ajax Amsterdam. Aber auch hier lief keineswegs alles ohne Probleme. Nach zwei gescheiterten Versuchen, sich über Talentsichtungen zu bewerben, klappte es schließlich beim dritten Versuch. Auch wenn der damalige Ajax-Trainer, ein gewisser Louis van Gaal, klarstellte, dass Davids bezüglich Technik und Taktik nie zu den Besten gehört habe.

Sein Debüt für Ajax gab der damals 18-Jährige im September 1991 beim 5:1-Sieg über den RKC Waalwijk, sein nationaler Durchbruch ließ aber bis zur nächsten Saison auf sich warten. Dafür räumte Davids dann mit einer der besten Ajax-Mannschaften aller Zeiten kräftig ab: Drei Meistertitel zwischen 1993 und 1995, der Gewinn der Champions League 1995, gefolgt vom Weltpokal und dem Supercup sowie der nationale Pokal stehen für Ajax in kürzestem Zeitraum zu Buche.

Aber auch in der erfolgreichsten Zeit seiner Karriere hatte Davids es nicht leicht. So wurde er, nachdem er den technisch deutlich begabteren, aber schlicht faulen Brian Roy aus der Startelf verdrängt hatte, von den eigenen Fans ausgepfiffen. Sie wollten keine Spieler, die Fußball arbeiten, sondern solche, die ihn zelebrieren. Das war erwiesenermaßen nicht die Stärke des Rackerers im defensiven Mittelfeld und so musste er sich ihren Respekt im wahrsten Sinne des Wortes erkämpfen und erlaufen.

Nach fünf überaus erfolgreichen Jahren bei Ajax verabschiedete sich der damals 23-Jährige in Richtung Italien, wo er bei Juventus Turin endgültig zum Weltstar werden sollte.

Schattenseiten, Probleme, Selbstbewusstsein

Dass Davids sich auch weiterhin nichts gefallen ließ, bekam einige Jahre später dann FIFA-Boss Sepp Blatter zu spüren. Aufgrund einer nachgewiesenen Menge des Anabolikas Nandrolon wurde Davids von der FIFA gesperrt und legte wegen der geringen Menge Beschwerde bei der FIFA ein. Die blieb ohne Berücksichtigung, vier Monate Sperre und 90.000 Mark Geldstrafe für Davids. Noch heute beteuert er seine Unschuld. "Es kann, wenn überhaupt, nur an Nahrungsergänzungsmitteln gelegen haben." Das ganze entwickelte sich damals zu einer ganzen Welle, zahlreiche Spieler wurden überführt. Mit dabei waren Jaap Stam, Pep Guardiola oder Fernando Couto.

Nachdem Sepp Blatter ihm zwischenzeitlich sogar vorgeworfen hatte, noch weitere Mittel genommen zu haben, was er aber später wieder zurücknahm, platzte Davids der Kragen. Er verklagte die FIFA, das Italienische Olympische Komitee sowie den Schweizer persönlich. Vergessen hat er dem FIFA-Präsident den Vorfall bis heute nicht. "In mir ist noch viel Verbitterung", sagt Davids.

Es waren aber nicht nur die Probleme von außerhalb: Davids war durchaus stets in der Lage, sich selbst in schwierige Situationen zu manövrieren. Eindrucksvoll bewies er das bei der Europameisterschaft 1996 in England.

Es kochte noch der Streit zwischen den weißen und den schwarzen Spielern in der niederländischen Nationalmannschaft, und nach einem Spiel auf der Bank explodierte Davids - mal wieder: Er warf Trainer Guus Hiddink Rassismus vor und forderte ihn öffentlich dazu auf, "seinen Kopf aus dem Arsch einiger Spieler zu nehmen". Gemeint waren insbesondere die beiden de Boer-Brüder, Frank und Ronald, die als Trainerlieblinge galten. Die Folge: Der Mann mit den Rastas musste nach Hause fahren und absolvierte zwei Jahre lang kein Länderspiel.

Das alles nagte aber zu keiner Zeit an seinem Selbstbewusstsein. Während er bei Juventus Turin spielte (1997-2004), wurde Davids einst gefragt, was für ein Gefühl es denn sei, mit dem großen Alessandro Del Piero zu spielen. Seine trockene Antwort: "Fragen sie Del Piero, wie es ist, mit Davids zu spielen."

Markenzeichen und Spitznamen

Nicht nur verbal und mit seiner Einsatzfreude, auch optisch beherrschte es Edgar Davids stets, aus der Masse hervorzustechen. Seine lange Rastamähne und natürlich die berühmte Brille wurden zu den unverkennbaren Markenzeichen des Mittelfeldspielers. Wegen einer Augenoperation und seiner Kontaktlinsen-Unverträglichkeit benötigte Davids lange Zeit die dunkle Schutzbrille.

Anschließend machte er sie kurzerhand zu seinem Markenzeichen und wurde somit der erste Profi-Fußballer, der während des Spiels eine Brille trug. Beeinflussen ließ er sich bei der modischen Nutzung der extravaganten Brille sicher von einer anderen Sportart: Dem Basketball und der NBA mit Bad Boy Dennis Rodman, den er bewunderte und der für ihn ein Idol war. Kein gänzlich überraschender Vergleich.

Die Fans auf aller Welt würdigten inzwischen den Arbeiter im Mittelfeld. Oder zumindest bemerkten sie ihn - und nannten ihn Pitbull oder Piranha. Vor allem die Anhänger in England (2005-07 bei Tottenham Hotspur) meinten das durchaus als Kompliment. Und schließlich merkte man auch in Holland: Ohne so einen geht es eben nicht. Und so sagte Johan Cruyff, vielleicht der beste aller (typisch) holländischen Spieler: "Edgar Davids steht für Emotionen und Feuer."

Sinneswandel zum Schluss?

Inzwischen scheint der 37-Jährige im Herbst seiner Karriere zur Ruhe gekommen zu sein."Ich möchte einfach den Fußball genießen und zeigen, was ich kann", kommentierte Davids sein überraschendes Comeback bei den Eagles aus Crystal Palace in der zweiten englischen Liga. Die letzten beiden Jahre hat er sich vorbildlich bei Ajax fit gehalten, abseits des Platzes engagierte er sich für wohltätige Zwecke.

Von seiner Zeit in Italien, wo er bei Juventus Turin in 41 Spielen 13 Mal Gelb sah und vier Mal vom Platz flog, womit er einen neuen Rekord aufstellte, scheint der Pitbull weit entfernt. In der aktuellen Saison kam er bei seinem neuen Verein in der englischen Championship noch ohne Karte aus.

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