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GESPONSERT VON

Mut zum Risiko

Julian Weigl war bei 1860 München auch Kapitän in der U19-Mannschaft
© getty

Mit dem Transfer des Zweitligaspielers Julian Weigl zu Borussia Dortmund hat niemand gerechnet. Weigl ist Thomas Tuchels Perspektiv-Projekt - an dem aber bereits jetzt die derzeitige Effizienz seines Coachings abzulesen ist.

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Es hätte für Borussia Mönchengladbachs Trainer Lucien Favre ein paar Varianten gegeben, um nicht wie der BVB anno 2008 mit zwei blutjungen Innenverteidigern in die neue Spielzeit zu gehen. Favre hätte den alten Recken Roel Brouwers für die Startelf nominieren oder Rechtsverteidiger Tony Jantschke nach innen beordern können. Er ließ aber Marvin Schulz (20) und Andreas Christensen (19) ran, "weil sie gut sind".

Allerdings war seine gesamte Mannschaft am Samstagabend im Signal Iduna Park nicht gut, so dass auch das Pärchen in der Abwehrzentrale mehrfach das Nachsehen hatte. Favre bewies mit dieser aus der (Verletzungs-)Not geborenen Maßnahme Mut zum Risiko - und verlor.

Dasselbe machte auf der Gegenseite BVB-Trainer Thomas Tuchel. Auch er brachte in Julian Weigl einen Youngster von Beginn an, der während der Vorbereitungszeit starke Eindrücke hinterließ. Anders als bei der Borussia vom Niederrhein drückte bei den Dortmundern auf dieser Position im defensiven Mittelfeld allerdings nicht unbedingt der Schuh.

Gewagte Entscheidung von Tuchel

Tuchel hätte auch Sven Bender oder Gonzalo Castro den Vorzug geben können. Wie schon in den beiden Europa-League-Qualifikationsspielen gegen den Wolfsberger AC fiel die Wahl aber auf Weigl.

Einen 19-Jährigen mit der Erfahrung von null Bundesligaspielen am 1. Spieltag gegen die beste Mannschaft des Jahres 2015 in der neuralgischen Zone des Spielfelds schlechthin einzusetzen, war eine mehr als gewagte Entscheidung des neuen Dortmunder Trainers - doch sie ging beeindruckend gut auf.

Niemand wusste so recht etwas damit anzufangen, als Ende Mai die Nachricht durch den Äther geschickt wurde, Borussia Dortmund habe sich für die festgeschriebene Ablösesumme von 2,5 Millionen Euro die Dienste von Weigl gesichert.

Weigl ist Tuchels Projekt

Ein Perspektivspieler im sowieso hochkarätig besetzten Mittelfeld, der mit den Profis trainiert und möglicherweise sporadisch bei den Dortmunder Amateuren zum Einsatz kommt - wieso nicht, lauteten die ersten Reflexe.

Doch Weigl ist Tuchels Projekt auf Spielerebene. Er hat sich Weigl zusammen mit seinem Trainerteam ausgeguckt und sich dabei nicht von den vielen negativen Schwingungen beirren lassen, die Weigls Ex-Klub 1860 München in fragwürdiger Konstanz umgeben.

Sie wirkten sich nämlich auch auf Weigls sportliche Leistungen aus, er hatte in München keinen einfachen Stand. In den 38 Zweitligapartien, die er absolvierte, deutete er hin und wieder sein Talent an - mehr war ihm als Mitglied einer verunsicherten Truppe aber kaum vergönnt.

Wirbel um Taxi-Episode

Deutschlandweit verband man einzig die Taxi-Episode mit Weigl - jedoch auch nur, wenn man sich für Zweitligafußball interessiert.

Es ist fast auf den Tag genau ein Jahr her, als Weigl nach einer feucht-fröhlichen Nacht zusammen mit seinen Teamkollegen Vitus Eicher, Danny Adlung und Yannick Stark zu später Stunde in ein Münchner Taxi stieg und auf dem Nachhauseweg so lautstark über seinen bisweilen tollpatschigen Arbeitgeber lästerte, dass der dummerweise zu den Löwen haltende Fahrer am nächsten Tag bei 1860-Sportdirektor Gerhard Poschner vorstellig wurde und petzte.

Trainer Ricardo Moniz hatte den damals 18-jährigen Weigl kurz zuvor zum jüngsten Mannschaftskapitän der Löwen-Geschichte gemacht, nach der Taxi-Nummer gab Weigl die Binde freiwillig wieder her.

"Sonst hätten wir ihn nicht aufgestellt"

Tuchel aber interessierte sich nicht für all diese Nebengeräusche, er sah in Weigls Anlagen einen passenden Baustein für seine Spielphilosophie. Nun ist aber auch der Coach erstaunt, wie schnell Weigl das höhere Niveau in Dortmund bislang adaptiert.

"Man sieht jeden Tag, dass es vorwärts geht, dass er wahnsinnige Lust darauf hat. Er begeistert uns mit seiner Frische und Unbekümmertheit. Gleichzeitig aber mit der Fähigkeit, auch zu lernen und Dinge aufzusaugen," sagt Tuchel.

Dass er beim glänzenden 4:0 gegen Gladbach direkt eine solch dominante Rolle im Dortmunder Gebilde einnehmen könne, habe ihm Tuchel durchaus zugetraut, "sonst hätten wir ihn nicht aufgestellt". Weigls Statistikblatt wies blitzgescheite Zahlen aus: 91 Ballkontakte, 94 Prozent angekommene Pässe, 11,71 Kilometer Laufstrecke.

Strategische Stärken bei Ballbesitz

Diese Werte kombinierte Weigl, der Chelseas Cesc Fabregas als sein Vorbild nennt, mit einer beachtlichen Spielauffassung. Der Youngster antizipierte gut, wann er aus seiner Position herausrücken und gegenpressen muss, um das Konterspiel der Fohlen bereits im Ansatz zu attackieren.

Sein starkes Stellungsspiel erlaubte ihm, trotz seiner physischen Schwächen aus zahlreichen Duellen als Sieger hervor zu gehen. Kam er einen Tick zu spät, streute Weigl ein geschicktes taktisches Foul ein - präsent war er jedenfalls in so gut wie allen Situationen.

Weigls Laufwege banden dazu Gladbachs Zentrumsspieler, sodass - wie bei den beiden Führungstoren der Dortmunder gesehen - vor allem Aufbauspieler Mats Hummels ausreichend Freiraum vor sich hatte, um in die Tiefe zu passen beziehungsweise auf den Flügel zu verlagern.

Der Hauptgrund, weshalb Weigl aktuell ran darf, sind aber seine spielerischen und strategischen Stärken bei Ballbesitz. Den 19-Jährigen zeichnen eine große Ruhe am Ball sowie eine hohe Passsicherheit aus - zwei Eigenschaften, die ihn nicht nur erheblich von Hauptkonkurrent Sven Bender unterscheiden, sondern elementar für Tuchels Fußball sind.

Julian Weigls erfolgreiche Pässe aus dem Spiel gegen Gladbach

"Julian war eigentlich ein Perspektiv-Projekt"

Dadurch konnte Dortmund am 1. Spieltag das Geschehen weit in die gegnerische Hälfte verlagern und dort den Ball enorm sicher zirkulieren lassen. Dazu noch - auch dank des unaufgeregt agierenden Weigl - ganz ohne die einst häufig aufkommende Hektik, wenn die Dortmunder zu lange in Ballbesitz waren. Der BVB kam am Ende auf 58 Prozent Ballbesitz - starke 64,93 Prozent davon in der Hälfte des Gegners.

Kuriose Auffälligkeit am Rande: Kommt Weigl an den Ball, sieht man Mittel- und Zeigefinger seiner linken Hand häufig automatisch gekreuzt.

Sportdirektor Michael Zorc, nicht gerade für voreilige Lobeshymnen bekannt, sagte anerkennend: "Julian war eigentlich ein Perspektiv-Projekt. Es ist schon erstaunlich, wie schnell er dieses Niveau angenommen hat. Ihm tut gut, dass er hier einen Rahmen hat, in dem sein Passspiel und seine Übersicht sehr schnell zum Tragen gekommen sind."

Individuelles Athletiktraining für Weigl

Es spricht natürlich auch für die aktuelle Effizienz von Tuchels Arbeit, dass der von ihm Auserkorene auf ungewohntem Terrain gleich vom Start weg eine solch dominante Rolle in einem Team voller Platzhirsche einnimmt.

Tuchel hat ein auf Weigl zugeschnittenes Athletiktraining erstellen lassen, "um an meiner Statur und an meiner Robustheit zu arbeiten", wie der schlaksige Weigl im Interview mit "Goal" vor Saisonstart erläuterte.

Doch auch mit diesen vermeintlichen Defiziten ist Weigl für den Kader des BVB das, was die Borussia für die Bundesliga ist - der Herausforderer. Als Zwischenfazit lässt sich festhalten: Für beide hat es sich bislang ziemlich ordentlich angelassen.

Julian Weigl im Steckbrief