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Fußball extrem: Hannovers neuer Plan B

Von Stefan Moser
Hannovers Mohammed Abdellaoue bejubelt seinen Treffer gegen den 1. FC Nürnberg
© Getty

Fußball ist keine Mathematik? Hannovers radikale Statistiken zeigen auch in diesem Jahr wieder das Gegenteil. Für die Europa-League-Playoffs gegen den FC Sevilla (20.15 Uhr im LIVE-TICKER) hat Trainer Mirko Slomka nun sogar ein alternatives Konzept zur Kontertaktik der vergangenen Saison.

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Fußball ist keine Mathematik? Sollte Ottmar Hitzfeld jemals Lust auf späte Rache für die verbale Watsche verspüren, die ihm Karl-Heinz Rummenigge einst in aller Öffentlichkeit verpasste, kann er dem Bayern-Boss bei nächster Gelegenheit getrost die Mannschaftsstatistiken von Hannover 96 um die Ohren hauen.

Dort tritt Mirko Slomka, studierter Mathe-Lehrer wie Hitzfeld, nämlich den Beweis an, dass sich Fußball bisweilen eben doch ganz gut in Zahlen beschreiben lässt. Denn wie schon in der abgelaufenen Rekordsaison der Niedersachsen, liefert seine Mannschaft auch in diesem Jahr bereits nach zwei Spieltagen wieder statistische Extremwerte.

Keine Mannschaft in der Bundesliga spielt weniger Pässe als Hannover, keine bringt weniger Zuspiele zum eigenen Mann, keine gewinnt weniger Zweikämpfe und keine schießt seltener aufs Tor. Und trotzdem haben die 96er die ersten beiden Partien gewonnen und liegen in der Tabelle auf Platz zwei.

Zahlen wie im Vorjahr

Die Zahlen erinnern stark an die Vorsaison, auch damals verzeichnete Hannover in vielen klassischen Statistiken die Tiefstwerte. Und auch da schon waren die vermeintlich schlechten Zahlen weniger ein Ausdruck von individuellen Unzulänglichkeiten als vielmehr das Ergebnis einer radikalen Spielphilosophie: Slomkas Elf legt keinen Wert auf Ballsicherheit und Spielanteile. Nach Ballgewinn geht es stattdessen unmittelbar, direkt und im höchsten Tempo nach vorne.

Die schwache Passquote resultiert aus dem extremen Risiko, mit dem Hannover in der gegnerischen Hälfte agiert.

Ebenso die Zweikampfbilanz, die unter den überdurchschnittlich vielen Eins-gegen-Eins-Situationen im Angriff "leidet", während die Quote der beiden Innenverteidiger im Ligavergleich im oberen Drittel liegt.

In der Konsequenz erspielt sich das Team zwar wenige Torchancen - dafür aber hochkarätige: Jeder dritte Schuss führt auch zu einem Treffer; Hannover ist damit mit Abstand die effektivste Mannschaft in Deutschland. Genau wie im Vorjahr.

Tore gegen Nürnberg: Malen nach Zahlen

Auch auf die beiden Tore am 2. Spieltag in Nürnberg hätte man eine Schablone aus der letzten Saison legen können. Innerhalb von 10, bzw. 8 Sekunden führten wenige schnelle und direkte Pässe unmittelbar zum Tor, bzw. zur Notbremse und zum Elfmeter. Slomkas Zehn-Sekunden-Regel, mit der er im Training die Zeit für Angriffe begrenzt, war schon vor Monaten in aller Munde.

Warum also ließen sich die Nürnberger trotzdem überrumpeln? Zum einen ist die konzentrierte Beharrlichkeit, mit der Hannover auf Fehler des Gegners lauert, einfach schwer über 90 Minuten zu verteidigen. Zum anderen hat Club-Coach Dieter Hecking - den Erkenntnissen des letzten Jahres zum Trotz - womöglich eine etwas andere Spielweise erwartet.

Schon in der Sommerpause hatte sein Freund Slomka nämlich angekündigt, das Repertoire seiner Mannschaft zu erweitern. Weil die Gegner zukünftig vorsichtiger agieren würden, sollten seine Spieler lernen, "auch aus der eigenen Dominanz heraus" Gefahr zu erzeugen.

Hannovers taktische Alternative

Und tatsächlich zeigte Hannover beim Ligaauftakt zuhause gegen Hoffenheim auch eine leicht modifizierte taktische Anlage. Den Ausgangspunkt für das eigene Spiel bildete weiterhin der Ballverlust des Gegners. Weil die TSG aber nicht einfach ins offene Messer lief, waren das altbekannte Mittelfeldpressing und die schnellen Konter nicht mehr das alleinige Rezept.

Völlig gegen die Gepflogenheiten der letzten Saison schoben sich Emanuel Pogatetz und Karim Haggui stattdessen in der Viererkette ein ums andere Mal die Bälle zu, auch Torhüter Ron-Robert Zieler wurde immer wieder als Anspielstation eingebunden. Als die eigene Mannschaft sortiert war, folgte meistens der lange Ball nach vorne - der nicht selten beim Gegner landete.

Doch während das klassische Forechecking bislang kein Faktor war, attackierten Hannovers Spieler nun aggressiv und geschlossen tief in Hoffenheims Hälfte. Wieder lauerte Slomkas Überfallkommando also auf den Fehler des Gegners, diesmal allerdings 30 bis 40 Meter weiter vorne als in der vergangenen Spielzeit. Und wieder mit Erfolg: Die Foulspiele vor beiden Toren (Freistoß und Elfmeter) resultierten unmittelbar aus diesem sogenannten Gegenpressing.

Slomkas grundsätzliche Idee

Wie gezielt Hannover dabei den neuen "Plan B" verfolgte, zeigt erneut ein Vergleich der Zahlen. In Nürnberg, wo Slomka sein "altes" Konzept verfolgte, lag die Passquote bei nur 60 Prozent, die Zweikampfbilanz bei 36 Prozent. Haggui, Pogatetz und Zieler spielten gemeinsam 21 Pässe zum Mitspieler.

Im Heimspiel gegen Hoffenheim dagegen lag der Zweikampfwert bei knapp 50 Prozent und die Passquote bei 75 Prozent: Auch weil die drei Spieler hinten zusammen 61 Pässe anbrachten, die meisten davon untereinander. Die Zahlen sind signifikant genug, um von einer bewussten Idee auszugehen.

Die grundsätzliche Überlegung hinter beiden Ansätzen fasst Slomka zusammen: "Wir haben die Möglichkeit, den Gegner unter Druck zu setzen und ihn zu Fehlern zu zwingen, ohne dabei die eigene Abwehr zu entblößen."

Plan B gegen Trochowski und Co.?

Dass er dafür nun zwei spielerische Optionen hat, spricht für seine Arbeit im Sommer. Und gerade sein Plan B für Heimspiele macht auch Hoffnung für die Europa-League-Playoffs gegen den FC Sevilla. Denn die topgesetzten Spanier werden Hannover wohl ebenfalls kaum ins offene Messer laufen.

Erstens verfügen die Stars wie Fernando Navarras, Alvaro Negredo oder Frederic Kanoute über mehr internationale Erfahrung als ganz Hannover zusammen.Zweitens hat Sevilla auswärts traditionell kaum Interesse, das Spiel selbst zu machen. Auch die abgezockten Spanier lauern in der Fremde in der Regel auf Fehler.

Und drittens hat Trainer Marcelino einige gut informierte Scouts in den eigenen Reihen.

Stürmer Arouna Kone war 2010 an Hannover ausgeliehen, mit (dem allerdings verletzten) Ivan Rakitic und Piotr Trochowski spielen außerdem zwei ehemalige Bundesligaspieler für die Andalusier.

Ausverkauft in zwei Stunden

Letzterer macht sich zumindest Hoffnungen auf einen Einsatz: "Ich habe mich sehr über das Los gefreut, viele meiner Freunde und Verwandte werden kommen, um mich zu sehen."

Sich von der Atmosphäre und der riesigen Vorfreude - das Spiel war innerhalb von zwei Stunden ausverkauft - nicht überwältigen zu lassen, ist hingegen das Ziel der Hannoveraner. Emanuel Pogatetz, der international Erfahrenste, bringt es auf den Punkt: "Zuhause muss vor allem die Null stehen."

Die Marschroute könnte also lauten: Im Hinspiel geduldig Plan B verfolgen - um dann auswärts gnadenlos zu kontern.

Der Kader des FC Sevilla im Überblick

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