EM

Giovanni Zarrella im Interview vor EM-Start: "Mein Sohn und Totti - Toni Rüdiger hat mir diesen Moment geschenkt"

Giovanni Zarrella sieht die Italiener bei der EM auf einem Rachefeldzug.
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Jetzt steht erstmal die EM auf dem Programm. Sie haben vorhin schon die WM 2006 erwähnt, als es um Tottis Elfer gegen Australien ging. Wie haben Sie diese WM damals erlebt? Italien wird Weltmeister in Deutschland, viel mehr geht ja für Sie persönlich nicht.

Zarrella: Ich glaube, jeder weiß heute 15 Jahre später noch, wie dieses Gefühl damals war. Irgendwie war das ja für uns alle der Sommer unseres Lebens. Auch wenn Deutschland am Ende nicht den Titel geholt hat, waren es für das Land insgesamt mit der ganzen Euphorie ja für immer unvergessliche Wochen.

Waren Sie beim Halbfinale gegen Deutschland im Stadion, als Fabio Grosso in der 118. Minute das Tor schoss?

Zarrella: Gott bewahre, das hätte ich nicht überlebt. Beim Halbfinale war ich bei einem Freund in der Pizzeria und in der Verlängerung bin ich im Auto gesessen und habe das Spiel gar nicht mehr angeschaut. Es ging nicht. Ich habe im Auto gesessen und alle paar Minuten das Radio hochgedreht, um zu hören, wie es steht. Dann habe ich es wieder runtergedreht. Und beim Finale war ich auch nicht, weil ich eine solche Angst bekommen habe, dass es Unglück bringt. Ich hatte nämlich ein paar zu viele VfB-Niederlagen live erlebt und bin aus Aberglauben nicht hingegangen. So ein Blödsinn geht einem dann durch den Kopf. Stattdessen war ich in Stuttgart auf dem Königsplatz, als Grosso den entscheidenden Elfer verwandelt hat. Diese ganze Grosso-Geschichte war unglaublich.

Er wurde ja quasi zum Mann des Turniers.

Zarrella: Er holt den Elfer gegen Australien heraus, macht das Tor in der 118. gegen Deutschland und schießt dann den letzten Elfer im Finale. Und kein del Piero, de Rossi oder Pirlo. Aber das hat so viel über diese Truppe ausgesagt. Lippi hat mal erzählt, wie er im CL-Finale 2003 mit Juve gegen Milan keine fünf Schützen finden konnte, alle haben sich weggeduckt. Aber bei der WM 2006 war es das genaue Gegenteil, da hätte jeder geschossen und er wusste gar nicht, wen er weglassen soll. In dieser Mannschaft hat alles gestimmt, das hat man gespürt.

Zarrella: "Ich bin mit Haut und Haaren Italo-Deutscher"

Ist es komisch für Sie, wenn Italien gegen Deutschland spielt?

Zarrella: Sehr komisch und sehr schwierig. Ich bin jedes Mal hin- und hergerissen. Ich bin mit Haut und Haaren Italo-Deutscher. Ich liebe beide Länder, beide Kulturen, Italien und Deutschland haben mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Ich glaube, dass das vielleicht auch ein Grund ist, warum mein Album mit den deutschen Hits auf Italienisch gesungen bei den Leuten so gut ankommt - weil man es mir glaubt.

Giovanni Zarrella ist aktuell einer der erfolgreichsten Sänger Deutschlands.
© Oliver Forstner
Giovanni Zarrella ist aktuell einer der erfolgreichsten Sänger Deutschlands.

Nach der WM 2006 lief es für Italien nicht mehr so gut. Für die WM 2018 konnte man sich nicht mal qualifizieren.

Zarrella: Oh, Mann, haben wir Gian Piero Ventura verflucht. (lacht)

Wenn wir den Bogen etwas weiter spannen: Warum hat Italien so lange nichts mehr gewonnen?

Zarrella: Die verpasste Quali für die WM 2018 war wirklich nur der negative Höhepunkt, wir haben uns ja auch davor herbe Klatschen abgeholt. Ich glaube, dass Italien sich immer schwer damit tut, alte Zöpfe abzuschneiden. Wir sind ein sehr romantisches und melancholisches Volk. Deshalb haben wir zu lange an alten und verdienten Spielern festgehalten. Dazu kommt aber, dass wir auch lange keine Alternativen hatten. Wir hatten zwischenzeitlich ein Qualitätsproblem im Nachwuchs, weil zu viele Spieler aus dem Ausland geholt wurden und man sich in Italien generell etwas schwer damit tut, jungen Spielern eine Chance zu geben und Vertrauen zu schenken. In Rom wurde jetzt mal mit Darboe ein 19-Jähriger reingeschmissen, aber das ist die Ausnahme. In Dortmund ist das die Regel. Das ist der Unterschied.

Zarrella zur EM: "Italien ist auf einem Rachefeldzug"

Aber mit den Jahren ist der Umschwung wieder gekommen. Ein Verdienst von Nationaltrainer Roberto Mancini?

Zarrella: Auf jeden Fall. Seit Mancini da ist, gibt es einen ganz anderen Spirit. Es ist ein ganz anderer Zug im Team. Ich mache mir ein bisschen Sorgen, weil wir jetzt schon so lange nicht mehr verloren haben. So eine Serie kann nicht ewig weitergehen. Ich hätte es besser gefunden, wir hätten uns vor Beginn der EM noch eine Niederlage abgeholt. Aber insgesamt sah es lange nicht mehr so gut aus. Wir haben Gianluigi Donnarumma im Tor, für mich ist er einer der drei besten Keeper der Welt. Und wieviel Erfahrung er mit erst 22 schon hat, ist unglaublich. In der Abwehr haben wir die alte Garde, die immer noch ein Bollwerk hinstellen kann. Und das Mittelfeld ist mit Barella, Jorginho und Verratti das absolute Prunkstück.

Giovanni Zarrella sieht die Italiener bei der EM auf einem Rachefeldzug.
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Giovanni Zarrella sieht die Italiener bei der EM auf einem Rachefeldzug.

Barella hat das Zeug zum Superstar.

Zarrella: Ich glaube, dass Barella einer der großen Stars der EM werden kann. Er ist Italiens Mann der Zukunft. Und vorne haben wir Belotti, Insigne, Chiesa oder Immobile. Das ist nicht ganz mit Mbappe, Griezmann und Benzema zu vergleichen, aber dennoch nicht so schlecht. Und: Ich glaube, dass Italien die hungrigste Mannschaft bei dieser EM sein wird. Italien ist auf einem Rachefeldzug. Man wurde zuletzt belächelt und jetzt scheint die Stimmung in der Truppe zu sein: Okay, jetzt reicht's, wir zeigen es allen! Deshalb ist Italien von allen Mannschaften am meisten bereit, den berühmten einen Schritt mehr zu machen. Das macht Italien an dieser EM so gefährlich. Dennoch habe ich schon Angst vor dem Auftaktspiel gegen die Türken, die waren ja zuletzt unfassbar drauf.

Wie gefährlich ist Deutschland?

Zarrella: Ich schätze Deutschland stark ein. Viel stärker, als die Wahrnehmung aktuell so zu sein scheint. Deutschland wird genau rechtzeitig zum EM-Start voll da sein, davon bin ich wirklich überzeugt. Der Topfavorit muss Frankreich heißen, aber ich sehe trotz des brutalen Kaders schon ein paar Fragezeichen. Wie hungrig sind die Franzosen wirklich nach dem WM-Titel? Dazu kommt, dass sie sehr launisch und immer mal für einen Aussetzer gut sind. Wenn man sie emotional angeht und ihnen den Spaß nimmt, hat man auf jeden Fall Chancen, auch Frankreich zu schlagen.

Sonst noch jemand?

Zarrella: Und dann gibt es noch die Portugiesen, die ich ganz dick auf der Rechnung habe. Das ist auch eine überragend besetzte Mannschaft. Ronaldo, Joao Felix und Jota vorne, Bruno Fernandes, Ruben Dias hinten - das ist absolute Weltklasse. Portugal hat die Fähigkeit, vom technischen Vermögen wie Brasilien zu zaubern. Die Portugiesen können aber auch Drecksäcke sein. Und sie sind trotz des EM-Titels 2016 nicht satt. Bei ihnen bin ich mir da im Gegensatz zu den Franzosen ganz sicher, dafür sorgt alleine Cristiano. Der rüttelt die schon wach, wenn es sein muss.

EM 2021: Die Gruppe A im Überblick

PlatzLandSp.SUNTorePunkte
1.Türkei00000:00
2.Italien00000:00
3.Wales00000:00
4.Schweiz00000:00