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Giovanni Zarrella im Interview vor EM-Start: "Mein Sohn und Totti - Toni Rüdiger hat mir diesen Moment geschenkt"

Giovanni Zarrella sieht die Italiener bei der EM auf einem Rachefeldzug.
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Wenn wir uns vor Augen führen, welche Karriere Totti hingelegt hat. Woran müssen Sie vor allem denken?

Zarrella: Das Tolle für mich persönlich ist, dass ich bei Tottis erstem Tor und bei seinem Abschied live im Stadion war. Das erste Tor war gegen Foggia. Furchtbares Spiel. 1:1. Damals mit der Mannschaft um Kapitän Giuseppe Giannini. Aber Totti hat richtig Radau gemacht in dem Spiel und da war er erst 17. Und dann hat sich der Kreis für mich geschlossen mit dem Abschied gegen Genua, als er kurz nach der Halbzeit für einen gewissen Salah reinkommt und Perotti in der letzten Minute noch das wichtige 3:2 zur Champions-League-Qualifikation schießt. Das war aber für mich gar nicht das große Highlight, das für immer Unvergessliche kam nach dem Spiel.

Bei der Abschiedszeremonie?

Zarrella: Ja, ich kriege Gänsehaut, wenn ich jetzt wieder daran denke. Toni Rüdiger hat ja zu diesem Zeitpunkt für die Roma gespielt und wir sind echt sehr gute Freunde geworden. Ich sitze also da im Stadion neben Tonis Bruder und meinem Sohn und kurz bevor Totti auf die letzte große Abschiedsrunde im Stadion geht, winkt Toni mich plötzlich her. Ich wusste gar nicht, was er will. Auf jeden Fall kommt Toni zu uns her und sagt mir, dass ich ihm mein Handy rüber geben soll und er hebt meinen Sohn über die Bande zu sich. Und dann bringt er meinen Sohn zu Tottis großer Abschiedsrunde.

Emotionaler geht es kaum.

Zarrella: Mein Kapitän, Francesco Totti, läuft mit meinem Sohn die Ehrenrunde. Mein Kapitän, bei dem ich damals bei seinem ersten Tor im Stadion saß, zusammen mit meinem Sohn, dem ich meine Passion zum Fußball und für die Roma weitergegeben habe. Toni hat dann noch ein Foto von Totti und meinem Sohn gemacht. Wenn ich so daran denke, könnte ich schon wieder heulen. Das hat mir so viel bedeutet. Und Toni wusste um meine Leidenschaft und hat mir diesen Moment quasi geschenkt. Dafür werde ich ihm immer dankbar sein. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet.

Zarrella: "Dank Manolas musste ich 113 Kölsch ausgeben"

Diese Geschichte sagt sehr viel über Toni Rüdiger aus.

Zarrella: Toni ist so ein guter Junge. So bodenständig, so herzlich, so respektvoll. Er ist immer noch der gleiche Junge, den ich damals kennengelernt habe. Ich bin total stolz auf ihn und den Weg, den er gemacht hat. Dass er jetzt sowohl bei Chelsea als auch in der Nationalmannschaft ein Führungsspieler geworden ist, ohne den man sich die Mannschaft gar nicht mehr vorstellen kann, hat er sich durch enorm harte Arbeit so verdient. Wenn Sie mich fragen, gibt es aktuell kaum bessere Abwehrspieler auf der Welt. Mit seiner körperlichen Stärke, seiner Dynamik, seiner Zweikampfstärke. Ich war todtraurig, als er damals die Roma verlassen hat.

Rüdiger kommt ja aus der VfB-Jugend, Ihrem zweiten Herzensverein neben der Roma. Wie sehr verfolgen Sie noch das, was sich in Stuttgart abspielt?

Zarrella: Ich hatte eine kurze Zeit, als ich mit dem VfB gebrochen hatte. Da muss ich 20 gewesen sein, da hat einer beim VfB meine Ex-Freundin angegraben. Ihn musste ich mir dann mal zur Brust nehmen. Das hat mich damals kurzzeitig echt abgeturnt. (lacht) Aber inzwischen ist alles wieder gut. Der VfB wird auch immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben, ich war nirgendwo so oft im Stadion wie im Neckarstadion. Der VfB ist ein Klub, der auch eine ganz eigene Magie hat. Ich komme immer wieder gerne nach Stuttgart, weil das für mich auch wie nach Hause kommen ist, wenn ich beim VfB im Stadion bin.

Giovanni Zarrella spricht im Interview unter anderem über seine Zeit in der Roma-Jugend.
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Giovanni Zarrella spricht im Interview unter anderem über seine Zeit in der Roma-Jugend.

Wir waren vorhin eigentlich bei Totti und emotionalen Momenten. Die letzte Roma-Meisterschaft 2000/2001 muss logischerweise auch dazugehören, oder?

Zarrella: (lacht) Mamma mia, was für eine Truppe. Montella und Batistuta im Sturm, Totti, Cafu, Emerson, Tommasi, Nakata! Was für eine Monster-Truppe! Und für mich war das Jahr emotional eh der Wahnsinn, weil ich genau in dem Jahr ein Teil von Bro'Sis wurde und da alles über mich hereinbrach. Das war emotional fast nicht zu verarbeiten für mich. Genauso krass war, dieser Moment fällt mir auch gerade noch ein, das WM-Achtelfinale 2006 gegen Australien. Als Italien in Unterzahl spielt, rauszufliegen droht und Totti in der 95. den Elfer unter die Latte hämmert. Das war auch so eine irre Totti-Geschichte, weil er vor der WM so lange verletzt war, Lippi aber auf ihn wartete und Totti dann bei der WM zu unserem Vorlagen-König wurde. Das hat mich damals auch sehr berührt.

In der Zeit nach Totti gab es keinen Scudetto mehr für die Roma, immerhin aber noch den magischen Moment, als man im CL-Viertelfinale Barca rauswarf.

Zarrella: Und als ich im Fantalk zu Gast war und Freibier für alle versprach, sollte die Roma noch das 3:0 machen. Dank Manolas' 3:0 musste ich 113 Kölsch ausgeben, aber das war es definitiv wert. (lacht) Im Rückspiel gegen Liverpool im Halbfinale war ich beim 4:2 live im Stadion, ich könnte mich heute noch darüber aufregen, dass der Schiedsrichter uns nach dem Handspiel von Alexander-Arnold einen Elfer verwehrte und wir das Wunder nach dem 2:5 im Hinspiel um ein Tor verpassten. Aber alleine die Tatsache, dass wir über diese Spiele als die letzten großen Roma-Spiele sprechen müssen, zeigt, wie bescheiden die Zeit nach dem letzten Scudetto insgesamt gelaufen ist.

Zarrella: "Mourinho bringt wieder eine Euphorie auf die Piazza"

Enttäuscht?

Zarrella: Auf jeden Fall enttäuscht. In der Zeit unter James Pallotta als Präsident mussten wir erleben, wie es ist, wenn du einen Boss hast, der rein wirtschaftlich denkt. Pallotta war in all den Jahren gefühlt 5-mal im Stadion, er war nie ein echter Romanista. Gerade für so leidenschaftliche Fans wie in Rom ist das ein Albtraum. Aber er hat den Klub eben als reines Business gesehen und alles aus Boston gemanagt. Das Schlimme ist, dass wir ja über die Jahre immer geile Spieler hatten. Salah war bei uns, Alisson, Szczęsny, wir hatten Alisson und Szczęsny als Nummer eins und zwei, das muss man sich mal vorstellen. Aber gleichzeitig wussten wir, dass wir die Topspieler in zwei Jahren eh wieder gewinnbringend verkaufen werden. So wie es in Dortmund bei Haaland laufen wird. Die Zeit mit Pallotta war schlimm, auch weil wir uns in Roma alle immer einen Präsidenten wie Franco Sensi gewünscht haben. Als Lazio 2000 Meister wurde, hat Sensi gesagt: Der Erzfeind wird Meister? Das geht gar nicht, das müssen wir sofort ändern. Also hat er Batistuta gekauft. Das war etwas ganz anderes.

Was hat sich unter Dan Friedkin verändert?

Zarrella: Friedkin hat sich vom ersten Tag an ganz anders präsentiert, er war glaube ich bis auf ein Auswärtsspiel in der Europa League immer im Stadion. Die Verbindung ist eine ganz andere. Und man muss ihm dankbar dafür sein, dass er den Verein finanziell aus einer miserablen Situation befreit hat. Zufrieden können wir aber insgesamt nicht sein. Wir dürfen nicht zufrieden sein, wenn wir Platz sieben gegen Sassuolo verteidigen und in der nächsten Saison in der Conference League spielen. Rom ist eine der schönsten Städte der Welt, eine Fußball-Hauptstadt, das kann nicht unser Anspruch sein. Aber gefühlt haben wir Stück für Stück diesen Anspruch verloren. Wir hatten eine Zeit, als wir ähnlich dem BVB die Rolle der klaren Nummer zwei inne hatten, aber dann sind wir immer mehr abgerutscht. Plötzlich war Rang vier schon gut, dann die Europa League und jetzt ist es die Conference League. Das ist aber nicht gut. Das ist nicht okay. Umso glücklicher bin ich jetzt, dass Mourinho zu uns kommt.

Ist dessen Zeit nicht vorbei?

Zarrella: Das glaube ich nicht. Für mich gehört Mourinho immer noch zu den besten fünf, sechs, sieben Trainern der Welt. Er hat immer noch diese Aura, ihn umgibt immer noch eine Magie, auch wenn sein letzter Titel etwas zurück liegt. Trotzdem bringt Mourinho wieder eine Euphorie auf die Piazza. Er gibt der Roma ganz dringend benötigte Energie, die uns gefehlt hat. Er scheut sich auch nicht, Dinge klar anzusprechen. Fonseca war der Gentleman-Typ, aber wir brauchten jetzt jemanden, der mehr nach vorne geht. Ich habe es gemerkt, als seine Verpflichtung öffentlich wurde. Wir Roma-Fans haben uns sofort untereinander geschrieben und jede neue Meldung aufgesaugt, so eine aufgeregte Stimmung kannten wir gar nicht mehr. Ich bin total heiß darauf, zu sehen, was Mourinho alles verändert.