Das reicht nicht für den Titel!

Von Für SPOX.com bei der EM: Stefan Rommel
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Ascona/München - Das Minimalziel ist erreicht, Deutschland steht im Viertelfinale der Europameisterschaft 2008.

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Aber Joachim Löw wird sich ungern an diesem Minimalziel messen lassen. Der direkte Zusammenhang zwischen dem Erreichen des Viertelfinales und der als "Bergsturm" deklarierten Operation lässt sich bei bestem Willen nicht erkennen.

Der EM-Titel soll es sein, ein Geheimnis war das noch nie. Aber wo steht die deutsche Elf vor dem K.o.-Spiel gegen Portgual, einem der Topfavoriten? Was war gut bisher und wo gibt es noch Nachholbedarf? SPOX.com hat die Lehren aus den Gruppenspielen erkannt und zeigt offene Planstellen.

Torhüter

Jens Lehmann wackelte - aber er fiel nicht. Der Auftakt gegen Polen war sehr holprig, über das zweite Gegentor gegen Kroatien kann man streiten. Ein Lehmann in absoluter Bestform hätte die abgefälschte Flanke aber zumindest zur Ecke abgewehrt.

Gegen Österreich war der 38-Jährige erstmals ohne Rumpler und strahlte dann, als es darauf ankam, die notwendige Ruhe und Souveränität aus. Eindringliche Gespräche mit Torwarttrainer Andreas Köpke zeigten ihre positive Wirkung. Das macht Hoffnung für die K.o.-Spiele.

Formbarometer: 70 Prozent reif für den Titel

Abwehr

Die Zentrale mit Christoph Metzelder und Per Mertesacker steht soweit, allerdings sind beide für sich und dementsprechend auch im Zusammenspiel noch nicht bei 100 Prozent. Metzelder fehlt in Laufduellen immer noch die Spritzigkeit und in Zweikämpfen die Abgezocktheit früherer Tage. Das Problem bisher: Alle drei Gruppengegner agierten lediglich mit einer nominellen Spitze - und die stürzte sich immer wieder auf Metzelder.

Mertesacker als quasi freier Mann hat es bislang versäumt, die Absicherung für seinen Nebenmann zu sein, die man sich und er auch von sich selbst erwartet. Das Gute bisher: Hat einer eine schlechtere Phase, bügelt der andere immer wieder Unzulänglichkeiten aus.

Auf den Außen spielt Philipp Lahm bisher ein bärenstarkes Turnier. Absolut verlässlich in der Defensive und mit Druck im Offensivspiel präsentiert sich der Münchener als einer der besten Verteidiger des Turniers - egal, ob rechts oder links hinten.

Arne Friedrich zeigte gegen Österreich eine solide Defensivleistung. Ende. Gegen Mannschaften mit einem 4-5-1-System reicht das aber nicht, da muss offensiv einfach viel mehr kommen. Bei Marcell Jansen ist es genau umgekehrt. Der hatte vernünftige Aktionen in der Vorwärtsbewegung, aber arge Probleme in seinem Kerngebiet, der Defensive. Eine Baustelle für Löw.

Formbarometer: 70 Prozent reif für den Titel

Mittelfeld

Schwachpunkt und Hoffnungsschimmer zugleich. Clemens Fritz auf der rechten Seite hatte einen guten Auftritt gegen Polen, ist aber - und das haben die Spiele gegen dicht gestaffelte Defensivreihen der Kroaten und Österreicher gezeigt - in seinem Spektrum zu eindimensional. Fritz lässt Bälle tropfen und geht ins Tempo. Gegen clever versperrte Räume ist seine Wirkung aber gleich Null.

Auf der linken Seite hat sich Lukas Podolski ein ganz neues Betätigungsfeld erobert. Überraschungsmomente, Zug zum Tor, Torgefahr - das alles geht vom Münchener aus. Im Defensivverhalten hat er immerhin schon elementare Dinge gelernt, wird aber kein Spezialist mehr. Trotzdem: Bisher mit Abstand bester Mittelfeldspieler im deutschen Team.

In der Zentrale liegt noch am meisten Potenzial brach. Torsten Frings spielt solide. Von einem Spieler seiner Klasse muss man aber deutlich mehr erwarten. Der Bremer findet noch keine Balance zwischen listiger Balleroberung und vernünftigem Abspiel. Macht sich viele gute Defensivaktionen mit schlampigem Passspiel selbst wieder kaputt.

Michael Ballack ging fit wie selten zuvor in das Turnier. Bisher nimmt sich der Kapitän zum Wohle der Mannschaft stark in seinem Offensivspiel zurück. Genau dort liegt aber eins der Kardinalprobleme. Der Weg aus seiner defensiven Grundposition bis vors gegnerische Tor ist einfach zu weit, Ballacks Torgefahr bleibt irgendwo auf der langen Strecke zwischen eigenem und gegnerischem Strafraum liegen.

Formbarometer: 60 Prozent reif für den Titel

Angriff

Urplötzlich das große Sorgenkind. In der Breite schien der deutsche Angriff der beste des Turniers. Bisher brachten es alle Angreifer aber auf exakt null Tore. Im Laufe der Spiele bröselte ein Kandidat nach dem anderen einfach so weg.

Miroslav Klose ist der neue Querleger der Nation. Das ist löblich, für einen Stürmer aber kein zufriedenstellendes Prädikat. Dennoch ist nach dem Spiel gegen Österreich wieder Hoffnung in Sicht.

Mario Gomez ist bisher ein einziger Totalausfall. Gegen Polen rackerte der Stuttgarter wenigstens noch. Danach kam die große Leere. Podolski wurde ins Mittelfeld beordert und hat sich dort für höhere Aufgaben, zumindest aber für einen Verbleib bis zum Ende der EM empfohlen.

Kevin Kuranyi kam bisher trotz der Flaute auf gerade einmal zehn Minuten Einsatzzeit. Auch eine Aussage. Und Oliver Neuville ist und bleibt der Joker für 20 Minuten - aber auf keinen Fall eine ernstzunehmende Alternative für die Startelf.

Formbarometer: 50 Prozent reif für den Titel

Was sonst noch?

Die deutschen Standards sind immer noch ein Jammer. Spätestens jetzt, unter den acht besten Teams des Kontinents mit ihrer immensen Leistungsdichte, muss da einfach viel mehr kommen. Nicht eine einzige Chance konnte sich die deutsche Mannschaft bisher nach Ecken oder Freistößen von der Seite erarbeiten. Ganz schwach.

Die Alternativen von der Bank griffen bisher noch gar nicht. Weder David Odonkor noch Thomas Hitzlsperger konnten ihre Chancen gewinnbringend nutzen. Hoffnungen ruhen auf Tim Borowski, der mittlerweile wieder komplett fit ist und eine Option für das rechte Mittelfeld werden kann.