England erträgt die EM mit Fassung

SID
Fußball, England, EM 2008, Wayne Rooney
© DPA

London - Für englische Boulevardzeitungen wie die "Sun" steht die größte "Euro-Partie" des Sommers schon fest.

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Sie steigt am 14. Juni im italienischen Portofino, wenn der 22-jährige England- und Manchester-United-Stürmerstar Wayne Rooney dort seine Verlobte Coleen McLoughlin heiratet - eine acht Millionen Euro teure Feier inklusive.

Bei der EM müssen Rooney und Co draussen bleiben. Die Schmach, dass weder England noch eine andere Nation von den britischen Inseln bei der EM vertreten ist, sitzt tief im Fußball-Mutterland, wird aber mit Fassung getragen.

Nur Beckham im Fußball-Alltag

Während das europäische Gipfeltreffen in Österreich und der Schweiz begann, war dort eigentlich eine Art informeller "Three Lions"-Treff vorgesehen. Doch Kapitäns-Aspiranten Rio Ferdinand (Man United) und Steven Gerrard (FC Liverpool) passten ebenso wie andere.

Die meisten England-Profis sind in den Urlaub abgetaucht. Allein für den unverwüstlichen David Beckham (Los Angeles Galaxy) steht in der gerade erst in die neue Saison gestarteten amerikanischen "Soccer League" fußballerischer Arbeitsalltag an.

Dass die "Three Lions" völlig verdient fehlen, wird kaum bestritten.

Platini: "England wird nicht vermisst"

Undiplomatische Äußerungen von Michel Platini, dem Präsidenten des europäischen Fußballverbands UEFA, dass England bei der EM "nicht vermisst" werde, lösten in den britischen Medien eher stille Zustimmung als einen Sturm der Entrüstung aus.

Europameisterliche Form zeigen die Blätter dagegen beim selbstironischen Spott.

"Drei lange Wochen muss Großbritannien nun zuschauen, und den Österreichern und Schweizern entgeht die kulturelle Erfahrung, unsere Fans dabei zu beobachten, wie sie in den Straßen urinieren und Plastikstühle werfen - ganz klar ein Verlust für beiden Seiten", schrieb unlängst die "Daily Mail".

Fanartikel bleiben liegen

Das Blatt betonte: "Keine endlose Reihe von Spielern, die behaupten, 'Wir können gewinnen!', kein Ruf nach dem Ritterschlag für die Mannschaft, keine Fotos von Spielerfrauen, die in Wiens Boutiquen herumtrippeln, keine neue Flut von Spieler-Autobiografien."

Für manche ist das Fehlen dennoch eine kleine Katastrophe. Medien und Pub-Wirten entgehen während der England-losen EM erhoffte Mehreinnahmen, in China bleiben Sankt-Georg-Fahnen und Autoaufstecker gleich containerweise stehen.

Die "Sun" schätzte den volkswirtschaftlichen Schaden schon im Herbst auf umgerechnet 1,75 Milliarden Euro.

Daumen drücken für Deutschland

Trotzdem schleicht sich so etwas wie verhaltene Europameisterschafts-Stimmung auf der Insel ein. In London, eine der internationalsten Städte der Welt, wechseln sich kontinentaleuropäische Fans im Feiern ab.

England-Anhänger, die viele Euro-Stars aus der Premier League kennen, sind dem etwas hölzernen Aufruf der BBC gefolgt und haben sich Paten-Nationen gesucht, oft nach Klub-Vorlieben - Manchester-Anhänger für Cristiano Ronaldo und Portugal, Liverpool-Fans für Fernando Torres und Spanien.

Selbst die alte Faustregel "Alles, nur nicht Deutschland" gilt auf der Insel nicht mehr automatisch.

TV-Quoten übertreffen Erwartungen

Davon profitieren die trotz allem mit Leidenschaft übertragenen Sender. "Die Einschaltquoten haben bislang alle unsere Erwartungen übertroffen, wir sind mit dem Auftakt vollauf zufrieden", sagt BBC- Sport-Sprecherin Louisa Fyans.

Drei Millionen Briten (Marktanteil: 23,4 Prozent) sahen am Sonntag Kroatien gegen Österreich, 4,5 Millionen (21,3 Prozent) Deutschlands 2:0-Sieg über Polen.

"Polen war ein perfekter Ersatz", meint ein England-Fan, der seiner polnischen Frau zu Liebe das Spiel sah, "rote Trikots, kopflose Flügelspieler, kurze Momente der Hoffnung - hätte ihr bester Spieler in einem wichtigen Moment die Rote Karte gesehen, das Bild wäre komplett gewesen."