Entjungfert von Biermann

Von SPOX
Klinsmann, Queen, EM, 1996
© Getty

München - Es gibt Momente, die brennen sich in das Großhirn eines deutschen Fußball-Fans.

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Was ist schon die Mondlandung, der Fall der Mauer oder der erste Kuss im Vergleich zum Augenblick, als Jürgen Klinsmann auf Oliver Bierhoff flankt. Als Bierhoff sich um Karel Rada dreht und schießt. Als Petr Kouba den harmlosen Schuss von der 16er-Linie ins Tor flutschen lässt.

Europameister! Zwölf Jahre ist es her, dass Deutschland den letzten großen Titel bejubelte. 30. Juni 1996, Wembley-Stadion in London, 2:1 durch Bierhoffs Golden Goal gegen Tschechien. Europameister!

Und jetzt steht Deutschland wieder im Finale. Pünktlich vor dem Duell gegen Spanien (So., 20 Uhr im SPOX-TICKER) schwelgt die SPOX.com-Redaktion in Erinnerungen. Was haben wir am Endspieltag '96 erlebt? Wie haben wir Deutschland angefeuert? Episoden zwischen Verzweiflung und Delirium.

Platzangst als einziger Begleiter: Hier geht es zum 2. Teil der EM-Erinnerungen!

Familientherapie auf der Couch: Hier geht es zum 3. Teil der EM-Erinnerungen!

 

Oktoberfest? Canstatter Wasn? Pah! Wer ein wirklich herausragendes Volksfest erleben möchte, muss aufs Biberacher Schützenfest gehen. So wie ich beim EM-Finale 96. Die Freunde, mit denen ich mich vor der Großbildleinwand versammelt hatte, lassen bis heute einiges an Fachwissen vermissen und feierten so die ganze Nacht "Oliver Biermann". Egal. Oliver Biermann, Du bist ein Held! Auch wenn Dir mittelklassige Bundesligaklubs gerne was anderes einreden wollen.

 

Jugendzentrum, verrauchter Kellerraum, Großbildleinwand plus mehrere Fernseher, Guinness. Im zarten Alter von 15 ne gefährliche Mischung. Und dann noch das 0:1... und dann noch der Wechsel Bierhoff/Scholl. Eine wüste Schimpftirade auf Berti Vogts später war klar, dass der Titel futsch ist. Zwei Bierhoff-Treffer später war klar, dass Oli eh der beste Stürmer ist. Berti, warum hast du ihn so lange auf der Bank gelassen?

 

Freundin mit der Ex betrogen, Führerschein und Gesundheit am seidenen Faden und eine Abmahnung vom Diakonischen Werk. Nach Alcoholic Viewing bei Kumpel Laxe und Autokorso durch Durlach folgte eine Party bei der Ex, die mir plötzlich - von den Gefühlen eines Titelgewinns übermannt - total super vorkam.
Mit der aktuellen war ohnehin gerade schwere Krise, weil ich angeblich zu viel feierte. Totaler Quatsch natürlich. Folgender Morgen: Ab zur Zivistelle, direkt wegen akuter Dienstunfähigkeit nach Hause transportiert worden. Schön war die Zeit.

 

In der Nacht wurde ich entjungfert. Als Schwarz-Rot-Gold-Fan. Für Deutschland habe ich zwar schon immer die Daumen gedrückt, aber wenn man halb-japanisch, halb-deutsch aufwächst, hat man irgendwie keine Beziehung zu Fahnentragen und Schland-Gesängen.
Aber Olis Goal war eine Art psychedelischer Erfahrungstrip. Paste aufs Gesicht, Äppelwoi in die Hand, Tröte ins Maul und ab ging's auf die Dudenhöfer Hauptstraße. "'Schland, 'Schland, 'Schland, 'Schland..."

 

20 Mann. Zwei Frauen. Ein Hund. Zwei Türken. Ständiges Gefrotzel. Steaks. Bier. Jim Beam Ginger Ale. Berger trifft. Mehmet geht. Bierhoff kommt. 1:1. Verlängerung. Noch mehr Gefrotzel. Kullertor. Kein Gefrotzel mehr. Dafür Bier. Jim Beam Ginger Ale. Rausch. Bett. Schöne Träume.

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