Voetbal minimal

Von Oliver Wittenburg
Niederlande, Holland, Teamporträt, van der Vaart, Sneijder, Huntelaar
© Getty

München - "Voetbal total" war gestern, heute heißt es "Voetbal minimal".

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Nun, ganz so dramatisch ist es vielleicht nicht, aber gemessen am niederländischen Verständnis von Fußball-Ästhetik und -Unterhaltung hat sich die aktuelle Elftal zur EM gegurkt, gerumpelt und gewürgt.

Wieder einmal könnte es so kommen, dass eine niederländische Mannschaft aus einem hohen Maß von individueller Klasse nur geringes oder gar kein Kapital schlägt.

Mit 15 Toren in zwölf Spielen verbuchte Oranje eine lausige Quote, in einer Quali-Gruppe, in der selbst weniger begabte Mannschaften vermutlich 25 oder mehr Treffer erzielt hätten.

Unter den eigenen Möglichkeiten zu bleiben, begleitet den niederländischen Fußball seit den frühen 1970er Jahren. Ein Team wie das, das 1988 in München Europameister wurde, ist weit und breit nicht in Sicht.

Stärken:

Es ist ganz einfach: Der Niederländer konnte immer schon gut Fußball spielen und das verhält sich auch beim Jahrgang 2007/2008 nicht anders. Individuelle Klasse ist das hervorstechende Merkmal der Stars in Orange, Ballfertigkeit und Kreativität. Im Aufgebot von Bondscoach Marco van Basten wimmelt es von herausragenden Einzelspielern. Exemplarisch seien Ruud van Nistelrooy (Real Madrid) als tödlicher Knipser, der trickreiche Robin van Persie (FC Arsenal), der schussgewaltige und dynamische Wesley Sneijder (Real Madrid), der Künstler Rafael van der Vaart (Hamburger SV) sowie die Urgesteine Clarence Seedorf (AC Mailand) und Edwin van der Sar (Manchester United) genannt. 

Schwächen:

Nerven/Disziplin/Einstellung: Unter Stress funktioniert die Elftal nur halb so gut wie sonst. Traditionell macht ein sensibles Nervenkostüm den Niederländern nahezu jedes Elfmeterschießen zur Hölle. Auch Disziplin und Selbstbeherrschung leiden, wenn es mal nicht läuft. Das WM-Achtelfinale von Nürnberg ist noch in bester Erinnerung, als man beim Hauen und Stechen gegen Portugal das Fußball-Spielen komplett einstellte und 0:1 verlor. Es gibt viele Beispiele aus der Vergangenheit, die anschaulich belegen, dass niederländische Mannschaften unter Druck eher zu Resignation und Frustration neigen, als eine Jetzt-erst-recht-Mentalität an den Tag zu legen.

Führungsspieler: Den sucht man vergeblich. Die Elftal ist ein Schiff ohne Kapitän - oder mit zu vielen Kapitänen (?). Die Rolle, die etwa ein ein van der Vaart in Hamburg spielt oder Sneijder vor seinem Wechsel nach Spanien bei Ajax Amsterdam innehatte, ist in der Nationalmannschaft vakant. Auch bei den erfahrenen Stars ist kein Leader dabei: Van Nistelrooy taugt nicht zum Anführer, van der Sar ist zu still und als Torwart oft zu weit weg von den Brennpunkten, und Seedorf ist zweifelsohne ein großer Spieler; ein Leithammel ist der so intelligent wie ruhig agierende Routinier aber nicht.

Taktik:

Über Jahrzehnte war klar: Die Niederlande spielen 4-3-3. Punktum. Die Niederländer spielten in ihren Glanzzeiten wie eine gut geölte Maschine: schnell, modern, Dominanz ausübend durch perfekte Ballzirkulation und eine gnadenlos offensive taktische Ausrichtung. 

Van Basten würde der Tradition gerne treu bleiben, allein es fehlt ihm am passenden Personal. Während die Mitte mit den Strafraum-Ungeheuern van Nistelrooy und Klaas Jan Huntelaar (Ajax Amsterdam) stark besetzt ist, mangelt es an klassischen Flügelstürmern. Da gibt es zwar den Linksfuß Arjen Robben (Real Madrid), doch der ist häufig verletzt und bisweilen zu eigensinnig. Van Persie, wie Robben ein "Lefty", wurde bei der WM 2006 auf dem rechten Flügel eingesetzt, ist aber mehr Torjäger als Vorbereiter. Ryan Babel, Dirk Kuyt (beide FC Liverpool), Danny Koevermans (PSV Eindhoven) und Jan Vennegoor of Hesselink (Celtic Glasgow) sind auch keine Außen.

Nüchterner Arbeiter und Kämpfer fehlt

4-4-2 ist die Antwort auf die Probleme, führte aber zuletzt auch nicht zum Erfolg, was am Mittelfeld liegt, wo die Niederländer ähnlich wie im Angriff zu viele ähnliche Spielertypen haben. Van der Vaart, Sneijder, Seedorf klingt brillant, doch zeichnen sich alle drei vor allem durch ihren Offensivgeist und ihre spielerische Klasse aus, ein nüchterner Arbeiter und Kämpfer im Stile eines Marc van Bommel, Edgar Davids oder Phillip Cocu fehlt der Elftal.

Nigel de Jong (Hamburger SV) oder Demy De Zeeuw (AZ Alkmaar) könnten diese Rolle wohl am ehesten ausfüllen, sind aber von internationaler Spitzenklasse noch ein gutes Stück entfernt.

Sehr solide, wenngleich nicht brillant, ist die niederländische Viererkette von Torhüter van der Sar besetzt. Joris Mathijsen (Hamburger SV) und Andre Ooijer (Blackburn Rovers) sind eine verlässliche Größe im Zentrum. Johnny Heitinga (Ajax Amsterdam) dürfte die rechte Außenverteidigerposition gehören.

Links hinten liegt ein Schwachpunkt. Weder Tim de Cler (Feyenoord Rotterdam) noch Wilfried Bouma (Aston Villa) konnten hier voll überzeugen. In der Hinterhand für diese Position hätte van Basten aber auch Giovanni van Bronckhorst (Feyenoord), der bevorzugt im Mittelfeld zum Einsatz kommt, oder dem 20-jährigen Junioren-Nationalspieler Royston Drenthe (Real Madrid). 

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