EM

Chancenlos gegen die Übermacht

Von Für SPOX in Netanja: Jochen Tittmar
Deutschland war gegen Spanien über weite Strecken des Spiels unterlegen
© getty

Die deutsche U-21-Nationalmannschaft hat nach der verdienten Niederlage gegen Titelverteidiger Spanien keine Chance mehr, das Halbfinale der EM-Endrunde in Israel zu erreichen. Die Mannschaft war gegen einen übermächtigen Gegner nicht in der Lage, den Plan von Trainer Rainer Adrion umzusetzen. Bei den Spielern brach die totale Enttäuschung angesichts der Chancenlosigkeit nicht aus.

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U-21-Trainer Rainer Adrion hatte seinen Matchplan schon vor der Partie gegen Spanien öffentlich gemacht: Wird ein Angriff des Gegners in der eigenen Hälfte gestoppt, muss das Umkehrspiel extrem zügig vorgetragen werden, um bei La Rojita in Lücken des Defensivverbundes zu stoßen und diesen zu überspielen.

Wie schwer dies gegen eine Mannschaft umzusetzen war, die 90 Minuten lang deutlich über 60 Prozent Ballbesitz aufwies, sah man am Sonntagabend in Netanja. Denn wird der Ball von Spaniens Gegner erobert, sollte ja idealerweise eine Anspielstation in der Offensive vorhanden sein.

Es lief die 8. Spielminute, als Matthias Ginter kurz vor dem deutschen Strafraum den Spielvortrag der Spanier unterbrach. Der Innenverteidiger blickte direkt nach Ballgewinn auf und suchte einen etwas weiter vorne postierten Mitspieler. Nur: Er sah keinen.

Also lief Ginter mit der Kugel am Fuß schräg nach links über den Platz, bis er an der Außenlinie ankam. Auch wenn dort die Möglichkeit bestand, dass sein spanischer Begleitschutz den Ball abfälscht und wenigstens ein Einwurf herausgesprungen wäre, stand Ginters anschließender Flachpass ins totale Niemandsland sinnbildlich für die aussichtslosen Bemühungen der deutschen Mannschaft.

Adrions Vorgaben fast nie umgesetzt

Dabei war Deutschland in der ersten Hälfte noch einigermaßen drin im Spiel und hatte nach eigenem Aufbau selbst ein paar gelungene Kombinationen im Repertoire, die auch zu Torabschlüssen führten. Die beste davon vollendete der etwas überraschend für die Startformation nominierte Christian Clemens, der mit einem Schuss aus der zweiten Reihe nur hauchdünn scheiterte.

Adrions eingangs erwähnte Vorstellung, die defensivtaktisch selbstredend auch ein laufintensives sowie kompromissloses Vorgehen im Spiel ohne Ball beinhaltete, konnte die Mannschaft allerdings nur ein einziges Mal in die Tat umsetzen - und scheiterte dabei in aussichtsreicher Position letztlich doch kläglich.

Nach 65 Minuten, als Torhüter Bernd Leno einen Schuss von Isco nach vorne abklatschte, anschließend jedoch gegen Rodrigo und Inigo Martinez rettete, ging diese Szene plötzlich direkt in deutschen Ballbesitz über. Jetzt müsste es schnell gehen, der deutsche Konter lief und es boten sich durch die entstandene Überzahlsituation riesige Räume.

Doch der sonst so ballsichere Kevin Volland verpasste es, die Kugel dem erst soeben eingewechselten Pierre-Michel Lasogga vorbei am letzten spanischen Verteidiger in den Lauf zu passen. Der Berliner Angreifer, zumal noch vollkommen ausgeruht, hätte allein aufs gegnerische Tor zulaufen und möglicherweise die Führung erzielen können.

"Einfach nicht hinten raus gekommen"

Doch so musste Stefan Thesker, Ginters Nebenmann, etwas mehr als eine halbe Stunde nach dieser Gelegenheit erklären, was jeder im Stadion beobachten konnte: "Wir haben alles gegeben, aber im Endeffekt war nicht mehr drin. Wenn wir den Ball hatten, sind wir einfach nicht hinten raus gekommen."

Dieser Sichtweise stimmte auch Adrion zu: "Wir haben sicherlich den letzten Pass nicht so gespielt, wie man es sich vorstellen kann. Das Durchsetzungsvermögen unserer Offensivabteilung war das Problem."

Die der Spanier drehte in Halbzeit zwei dagegen so richtig auf: 15:0 Torschüsse zählte die Statistik in diesen 45 Minuten. Dass das Siegtor erst ein paar Zeigerumdrehungen vor Schluss fiel und den Spaniern nach all den deutschen Defensivbemühungen ein gewonnenes, aber letztlich handelsübliches Eins-gegen-Eins-Duell die Tür zum Halbfinale öffnete, machte angesichts der Tatsache, dass Deutschland auch mit einem Remis nur sehr geringe Chancen aufs Weiterkommen gehabt hätte, im Grunde keinen Unterschied. Deutschland, so ehrlich muss man sein, hatte in Netanja kein Unentschieden verdient.

"Unsere Mannschaft hat alles gegeben, die Einstellung stimmte. Aber man muss neidlos anerkennen, dass Spanien die bessere Mannschaft war", ließ der eigens angereiste DFB-Präsident Wolfgang Niersbach übermitteln, als die Protagonisten noch in der Kabine verweilten.

Holland-Pleite als Genickbrecher

Als diese dann verlassen wurde, trotteten die Kicker zwar enttäuscht durch die Katakomben. An der spanischen Übermacht ließen aber auch sie keinen Zweifel aufkommen. Sie vermittelten hingegen den Eindruck, und das wäre auch in Teilen irgendwie nachvollziehbar, als mache die zuvor auf dem Feld erfahrene Chancenlosigkeit das vorzeitige Ausscheiden aus dem Turnier ein paar Prozentpunkte weniger schmerzhaft.

Es lohnt sich dabei kaum, einen einzelnen Spieler zu zitieren, da alle, die sich der Presse stellten, Spanien anerkennend zu einem verdienten Erfolg gratulierten und das Turnieraus realistisch einzuordnen wussten.

Die beiden Gladbacher Tony Jantschke und Patrick Herrmann, die mit zu den schwächsten Akteuren gehörten, kamen dagegen noch einmal auf den Einfluss der verlorenen Auftaktpartie gegen die Niederlande zu sprechen: "Wahrscheinlich hat uns das Last-Minute-Tor gegen Holland das Genick gebrochen. Sonst hätten wir jetzt noch eine Chance. Es ist eine große Enttäuschung. Wir hatten uns viel mehr vorgenommen", sagte Jantschke, der gegen den offenbar von Borussia Dortmund und dem FC Schalke 04 umworbenen Cristian Tello kein Land sah.

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"Ich denke, dass wir in den letzten Minuten nicht so sehr konzentriert waren. Das hatte man gegen Holland ja auch gesehen", meinte Herrmann.

Fehlende Qualität

Ob der Last-Minute-K.o. gegen Holland nun der psychische Knackpunkt war oder nicht: Man muss nun kein Prophet sein um vorherzusehen, dass nach der Heimreise aus Israel die deutsche Analyse des Turniers die Erkenntnis bereit halten wird, der Kader der U 21 habe in einer zweifelsohne stark besetzten Gruppe nicht die nötige Qualität mitgebracht, um die spanische und niederländische Elite zu überwinden.

"Da könnte man zu dem Ergebnis kommen, dass es möglicherweise für die Zukunft relevant ist, den gesamten Jahrgang mitzunehmen. Das ist heute aber dennoch kein totales Scheitern", sagte Adrion. Sein Plan ging eben nicht auf: Weil Spanien einfach deutlich besser war.

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