EM

Aus Feiglingen werden Champions

Von SPOX
Die Franzosen haben es bei ihrer eigenen Europameisterschaft ins Finale geschafft
© getty

Der Weg war nicht perfekt, doch Frankreich steht nach dem Sieg über Deutschland im Finale der UEFA Euro 2016. Von Raymond Domenech bis Didier Deschamps ist viel passiert, es wartet der erste große Preis.

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60 Minuten waren im Stade Velodrome gespielt, da kippten die Wettquoten endgültig. Das DFB-Team kämpfte nach der Auswechslung von Jerome Boateng zwar. Es fiel dennoch das 2:0, Antoine Griezmann beendete mit dem zweiten Tor alle Möglichkeiten der Deutschen und sicherte seiner Nation das Endspiel für das eigene Team.

Zuvor hatte es in Marseille über weite Strecken so gar nicht nach einem Sieg der Grande Nation ausgesehen. Nach sieben furiosen französischen Minuten fand die deutsche Passmaschine ihren Takt und begann, das Spiel zu diktieren. Frankreich zitterte, Frankreich bangte. Als Schiedsrichter Nicola Rizzoli kurz vor der Pause auf den Punkt zeigte, wurde es selbst in Paris auf der Fanmeile totenstill.

Konnte das wirklich sein? Konnte es wirklich sein, dass ein Handspiel soeben die Tür aufgestoßen hatte Richtung Finale? Gegen den Weltmeister?

Ja, es konnte sein.

Griezmann schulterte die Last eines verstummten Landes und traf an Manuel Neuer, dem Torhüter, der zuvor noch als unüberwindbare Mauer gehuldigt wurde, vorbei zur Führung.

Erinnerungen an Domenech

Grenzenloser Jubel in Marseille. Und in Paris, in Bordeaux, in Lille, in Lyon. Erstmals seit langem wieder hat es eine französische Nationalmannschaft geschafft, das Land hinter sich zu einen. Immer hat sie es gegeben, die Kritiker und Pessimisten.

Nicht dass die Kritik stets unbegründet gewesen wäre. Wer zurück denkt an die jüngere Vergangenheit der Equipe, sieht eine Ansammlung von Skandalen, Blamagen und Offenbarungseiden.

Die WM 2010 in Südafrika mit Raymond Domenech: Unvergessen die Bilder, als der Trainer im Trainingsanzug einen Protestbrief der Spieler vorliest.

Die EM 2012 in Polen und der Ukraine mit Laurent Blanc und einem rundum erneuerten Team: Vier Punkte in der Vorrunde, dann eine 0:2-Niederlage gegen Spanien.

Frankreich rumpelte durch die Qualifikation für die WM 2014, in den Playoffs gelang ein 3:0 über die Ukraine nach 0:2-Pleite im Hinspiel.

"Ein Streik? Nein. Nur Feigheit"

Es waren die Tage in Brasilien, die erstmals Hoffnung aufkeimen ließen in der Heimat. Didier Deschamps schickte nach 2012 erneut eine umgebaute Mannschaft ins Rennen. Jung, teils unerfahren aber mit großen Ambitionen. Erst im Viertefinale scheiterte die Grande Nation am späteren Weltmeister, gegen Deutschland war Frankreich bei weitem aber nicht chancenlos.

Zwei Jahre später ist der Gegner von 2014 besiegt. Dieses Mal ohne große Änderungen. Karim Benzema ist gezwungenermaßen ersetzt worden, Mathieu Valbuena ebenfalls. Ein Skandal, der nicht in die Mannschaft getragen werden sollte. Die Ersatzleute Antoine Griezmann sowie Moussa Sissoko blieben frei von Geräuschen neben dem Platz.

"Wie Champions", titelt die L'Equipe jetzt und nicht mehr "Ein Streik? Nein. Nur Feigheit", wie nach der WM 2010. Frankreich hat Schritte gemacht. Mal einen großen und mal einen kleinen und auch nicht immer Richtung Ziel. Doch sie sind nach vorne gekommen, haben Allüren und Unerfahrenheit abgelegt.

Besonders die Offensivspieler ragen heraus. Griezmann und Payet tragen Frankreich auch durch schwierige Spiele. Sie machen den Unterschied.

Und doch sind sie bei weitem keine Alleinunterhalter. Die Zeit, als die Mannschaft aus Zinedine Zidane und Zidane-Nachfolger Franck Ribery bestand, sind vorbei. Deschamps und sein Team stehen kurz davor, dieser Entwicklung die erste Krone aufzusetzen.

Der Sieg einer Gruppe

Sie sind nicht marschiert, hatten Schwierigkeiten und Stolpersteine. Doch es sind diese knappen Spiele und mitreißenden Momente, die eine Truppe zusammenschweißen. Das späte Tor von Payet im Auftaktspiel gegen Rumänien, der Doppelschlag nach Rückstand gegen Irland. Und nun der Sieg über Deutschland.

Viel, sehr viel hat sich geändert. Die Franzosen sind nicht talentierter geworden, sie haben nicht an taktischer Finesse dazugewonnen, sondern sie haben gelernt, dass Fußball ein Mannschaftssport ist. "Das heute war der Sieg einer Gruppe", bilanzierte auch Griezmann nach dem Sieg über Deutschland.

Es war kein Triumph von Griezmann, keiner von Payet. Nicht mal die Mannschaft auf dem Platz meinte der Star dieser Europameisterschaft. Das Trainerteam sei dabei, die Spieler, die nicht zum Einsatz kamen. Die Masseure, die Ärzte. Sogar die Fans.

Der Sieg gegen Deutschland war ein Sieg der Nation. Nicht von 11 Spielern, nicht von 23, sondern von 66 Millionen Franzosen.

Frankreich hat sein Nationalteam wieder lieb gewonnen.

Deutschland - Frankreich: Die Statistik zum Spiel

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