EM

Sie hassten und sie liebten ihn

Von Haruka Gruber
Roman Schirokow (h.) bejubelt mit Konstantin Syrjanow das 2:0 gegen Tschechien
© Imago
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Konstantin Syrjanow (englische Schreibweise: Zyryanov)

Alter: 34 Jahre

Verein: Zenit St. Petersburg

Debüt in der Nationalmannschaft: Mit 28 (2006)

Die Komplementärfarbe des russischen Fußballs: Konstantin Syrjanow und Schirokow ergänzen sich so perfekt, als ob sie seit der Jugend zusammenspielen würden, dabei könnten sie gegensätzlicher nicht sein.

Während sich der junge Schirokow dem Genuss und dem Feiern hingab, wurde Syrjanows Leben fast zeitgleich aus den Angeln gehoben. Einige Jahre zuvor waren bereits sein Vater und sein Bruder verstorben, doch an einem Tag im August 2002 erreichte er den tiefsten Punkt.

Seine Ehefrau, 23 Jahre jung, sprang aus dem achten Stock des Hochhauses in Moskau, in der die Familie gewohnt hatte, und zog die gemeinsame vierjährige Tochter mit in den Abgrund. Die Tochter erlag noch am Abend im Krankenhaus den Verletzungen, die Mutter, zum Zeitpunkt des Sprungs offenbar stark alkoholisiert, starb einen Monat später.

Als Todesursache wurde in den Unterlagen Selbstmord eingetragen.

Durchbruch mit 29 Jahren

"Sie konnte nicht bei klarem Verstand gewesen sein. Ein normaler Mensch tut so etwas nicht", ist das Einzige, was Syrjanow dazu sagen will. "Ich habe ein neues Leben gegründet."

Ein neues Leben in einer neuen Stadt, bei einem neuen Klub, mit einer neuer Freundin, die er mittlerweile ehelichte und mit der er zwei Kinder hat. Natascha heißt sie, kennengelernt haben sie sich 2004 in Syrjanows Heimatstadt Perm.

In Perm begann auch seine Profikarriere, bevor er 1999 in die russische Hauptstadt zu Torpedo Moskau wechselte. Nach dem Abstieg Torpedos wurde Anfang 2007 mit St. Petersburg endlich ein Spitzenklub auf ihn, den bereits 29-Jährigen, aufmerksam.

Wegen seiner Fußball-Intelligenz und der bescheidenen Art erkor ihn dort der mittlerweile für die Nationalmannschaft verantwortliche Trainer Advocaat zum Leitbild des russischen Fußballs. 2008 hieß der Star beim UEFA-Cup-Sieger: Andrei Arschawin. Zum russischen Fußballer des Jahres wurde jemand anders gewählt: Konstantin Syrjanow. Unter anderem, weil dem Allrounder als gelernter defensiver Mittelfeldspieler neun Tore gelangen.

Letztes Gedenken vor großer Bühne

Seitdem nahm analog zur Torausbeute (von neun auf sieben, drei und einen Treffer) die Antrittsschnelligkeit ab, trotzdem bleibt es auch bei dieser EM augenscheinlich, welche Schaffenskraft und Klugheit in ihm steckt. Und welche Karriere in Westeuropa möglich gewesen wäre, wenn sein Schicksal nicht eine solche Wendung genommen hätte.

Syrjanow fehlt Schirokows Egozentrik, dafür ist er noch erstaunlich lauf- und zweikampfstark. Ballsicherheit und taktische Cleverness altern ohnehin nicht. Dennoch zeichnet sich ein Karriereende ab: Syrjanow wird im Herbst 35 Jahre alt.

Entsprechend könnte die EM sein letztes Hurra sein. Und die letzte Chance, um vor großer Bühne seiner verstorbenen Tochter zu gedenken, zehn Jahre nach dem unheilvollen Sommertag 2002.

Der sonst in sich gekehrte Syrjanow hatte 2007, fünf Tage vor dem fünften Todesstag der Tochter, für Zenit in einem Spiel gegen Wladiwostok zwei Tore erzielt und nach dem Abpfiff über die Bedeutung gesprochen: "Das erste Tor widme ich meiner Freundin Natascha. Das zweite Tor aber gehört dem kleinen Menschen, der seinen neunten Geburtstag verpasst."

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