EM

"Ein Konzert der rasselnden Lungen"

Von SPOX
WM-Finale 1982: Deutschland unterliegt Italien in Madrid mit 1:3
© imago

Das EM-Halbfinale zwischen Deutschland und Italien (Do., 20.15 Uhr im LIVE-TICKER) ist das achte Duell beider Fußball-Nationen bei einem großen Turnier. Noch nie hat die deutsche Mannschaft bei Welt- oder Europameisterschaften gegen die Squadra Azzurra gewonnen. SPOX blickt zurück aufs Jahrhundertspiel von 1970 und vier weitere Klassiker. Die Nullnulls von 1962 und 1978 haben wir uns erspart.

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WM 2006, Halbfinale: Deutschland - Italien 0:2 n.V.

Sommermärchen. Schwarz-Rot-Geil. Der Dortmunder Signal Iduna Park, in dem bisher noch nie eine deutsche Nationalmannschaft verloren hatte. Nur noch einen Sieg war die DFB-Elf um Michael Ballack, Torsten Frings und Jens Lehmann vom Finale in Berlin entfernt. Und da sollte ausgerechnet Italien ein Stolperstein sein?

Diese Italiener, die vom Wettskandal erschüttert waren und im Achtelfinale nur durch einen Elfmeter in der 95. Minute Australien ausschalten konnten? Sie sollten. Beide Mannschaften spielten nach vorne, Perrotta auf der einen und Schneider auf der anderen Seite scheiterten im ersten Durchgang jeweils freistehend vor dem gegnerischen Torhüter. Auch nach der Pause schaffte es keine der Mannschaften, den Ball im Tor unter zu bringen und so ging es mit einem 0:0 in die Verlängerung.

Das Publikum, das schon das späte 1:0 in der Gruppenphase gegen Polen herbei geschrien hatte, peitschte Deutschland weiter nach vorne, Italien war jetzt aber merklich gefährlicher. Nach der zwölften Ecke für den späteren Weltmeister in der 119. Minute passierte es: Pirlo auf Grosso und der schlenzte den Ball in die lange Ecke. Del Piero legte zwei Minuten später zum 2:0 nach, der Traum vom Finale war vorbei. Auch im siebten Pflichtspiel gegen Italien blieb Deutschland sieglos, die dritte Pflichtspiel-Niederlage gegen die Italiener war eine besonders bittere.

EM 1996, Vorrunde: Deutschland - Italien 0:0

Schaut man sich die Geschichte zwischen Deutschland und Italien an, ist das 0:0 bei der EM 1996 im Old Trafford von Manchester vielleicht die einzige Partie, die Deutschland als Erfolg verbuchen kann. Das Team von Trainer Berti Vogts, das sich elf Tage später den Titel in Wembley holen sollte, hatte vor dem abschließenden Gruppenspiel sechs Punkte auf dem Konto (2:0 vs. Tschechien, 3:0 vs. Russland). Ein Zähler war noch nötig, um den Gruppensieg zu sichern.

Die Italiener mussten dagegen ein besseres Resultat erzielen als Tschechien im Parallelspiel gegen Russland. Das gestaltete sich in zweierlei Hinsicht schwierig: Erstens legten die Tschechen zwei schnelle Tore vor und zweitens verloren die italienischen Angreifer reihenweise ihr Privatduell mit Andreas Köpke. Der deutsche Torhüter verschuldete zwar früh einen Strafstoß an Pierluigi Casiraghi, wohl aber nur, um den Italienern auf seine Art mitzuteilen: "An mir kommt heute keiner vorbei." Den Elfmeter von Gianfranco Zola parierte Köpke locker.

Italien spielte Deutschland zeitweise an die Wand, als nach einer Stunde auch noch Thomas Strunz mit Gelb-Rot vom Platz flog, schien alles für Italien zu laufen. Doch weder Zola noch Casiraghi noch Roberto Donadoni noch Demetrio Albertini noch sonst einer in Blau konnte Köpke überwinden. Eine dramatische Note erhielt die Partie aufgrund der Russen, die aus dem 0:2 plötzlich ein 3:2 gemacht hatten. Italien wäre also weiter gewesen, hätte nicht Vladimir Smicer in der Schlussminute den Ausgleich für Tschechien erzielt. Deutschland war Gruppensieger, Italien ausgeschieden. Wie gesagt: Immerhin ein kleiner Sieg.

EM 1988, Vorrunde: Deutschland - Italien 1:1

Am 15. März 1985 gab die UEFA Deutschland den Zuschlag für die Ausrichtung der EM 1988, allerdings mit einer kleinen Einschränkung: West-Berlin fiel als Spielort aus. In der zuständigen Kommission der UEFA saßen damals neben einem Schweizer, einem Isländer und einem Franzosen auch drei Mitglieder aus den Ost-Block-Staaten UdSSR, CSSR und Bulgarien. Die simple Begründung der UEFA: Für den Spielort West-Berlin habe es keine Mehrheit gegeben.

Die Bundesregierung um Kanzler Helmut Kohl hatte im Vorfeld noch ihr "tiefes Bedauern" ausgedrückt, sollte West-Berlin nicht als Spielort in Erwägung gezogen werden. Man habe nämlich vor, das Eröffnungs- oder das Endspiel dort stattfinden zu lassen. Doch die UEFA zeigte Kohl und Co. die kalte Schulter. Und so fand das Eröffnungsspiel in Düsseldorf statt. Deutschland gegen Italien, ein Klassiker.

Das Spiel war aber höchst unansehnlich - zumindest aus deutscher Sicht. Teamchef Franz Beckenbauer, der vor dem Spiel geunkt hatte, der Verlierer könne "sich gleich per Handschlag verabschieden", stellte eine Fünfer-Abwehrkette auf, inklusive Matthias Herget. Herget tat in diesem Spiel nichts anderes, als einen Italiener nach dem anderen aus den Socken zu treten. Der heutige ManCity-Coach Roberto Mancini wurde einmal von Herget am rechten 16er-Eck übelst von der Seite weggeflext. Der englische Schiedsrichter Keith Stuart Hackett muss in seinem Heimatland schon ganz andere Fouls gesehen haben; anders ist es nicht zu erklären, wie Herget die 90 Minuten ohne Gelbe Karte durchspielen konnte.

Italien mit den Legenden Walter Zenga, Giuseppe Bergomi, Paolo Maldini, Carlo Ancelotti und Gianluca Vialli war spielerisch klar überlegen und ging in der 52. Minute durch Mancini nach einem fiesen Fehler von - Matthias Herget - in Führung. Drei Minuten später hatte Hackett seinen nächsten legendären Auftritt: Nach einem weiten Abschlag von Zenga entschied der Referee auf indirekten Freistoß für Deutschland. Hacketts Begründung: Zenga habe vor dem Abschlag zu viele Schritte gemacht. Littbarski tippte den Ball an, Brehme fand ein Loch in der Mauer - 1:1.

Danach kam nicht mehr viel - außer die Legenden Uli Borowka und Dieter Eckstein für Brehme und Rudi Völler. Herget wurde übrigens nach seinem Fauxpas vor dem 0:1 für den Rest des Spiels von den Fans gnadenlos ausgepfiffen.

WM 1982, Finale: Italien - Deutschland 3:1

Wer ihn einmal gesehen hat, der wird ihn wohl nie wieder vergessen: Marco Tardellis Torjubel nach seinem Treffer zum 2:0 im WM-Finale 1982 in Madrid (Video: Tardelli flippt aus). Es ist Mitte der zweiten Halbzeit und der damals 27-jährige Mittelfeldspieler von Juventus Turin trifft trocken aus 17 Metern mit links ins rechte Eck des von Toni Schumacher gehüteten deutschen Tors. Der Ball schlägt ein und Tardelli rennt los, schüttelt wütend die Fäuste, die völlige Ekstase im Gesicht, den Mund grotesk weit aufgerissen. Jedem deutschen Fußball-Fan war damals klar: Das war's, das muss es gewesen sein.

Auch wenn noch zwei Tore fallen sollten, markierte Tardelli das Ende der WM-Kampagne einer deutschen Mannschaft, die es geschafft hatte, ihren Ruf auf Jahre hinaus zu ruinieren: Da war der Pakt mit Österreich, die "Schande von Gijon", als man 80 Minuten lang statt Ball und gegnerische Schienbeine ungeniert den Fairplay-Gedanken mit Füßen trat.

Und dann war da natürlich das so unfassbar brutale Foul von Schumacher an Patrick Battiston im Halbfinale in Sevilla gegen Frankreich. Freilich, das Spiel war eines der aufregendsten in der Geschichte der deutschen Nationalmannschaft, als Rummenigge und Fischer in der Verlängerung einen 1:3-Rückstand egalisierten. Doch warum war da Schumacher noch auf dem Platz, um nachher, als ob nichts gewesen sei, zwei Elfmeter zu halten? Man kann es auch 30 Jahre danach immer noch nicht begreifen, wie Schiedsrichter Charles Corver nach dem Anschlag des Kölner Keepers auf die Gesundheit des Franzosen das Spiel mit Abstoß Deutschland fortsetzen ließ und Schumacher nicht hochkant vom Platz schmiss.

Was die WM 82 auch nicht besser machte, waren die Geschichten um interne Streitigkeiten im DFB-Team, der spezielle Geist von Schluchsee aka Schlucksee und eine bodenlose Außendarstellung, wobei sich Schumacher auch ganz besonders hervortat. Vielleicht war Tardelli auch deshalb so aus dem Häuschen, weil er dieser wenig ruhmreichen deutschen Mannschaft den Garaus gemacht hatte...

WM 1970, Halbfinale: Italien - Deutschland 4:3 n.V.

Das Aztekenstadion von Mexico City hat einige denkwürdige Fußballspiele erlebt. Doch nicht einmal die Hand Gottes, die Maradona 1986 über Englands Keeper Peter Shilton erhob, konnte mit dem mithalten, was sich im WM-Halbfinale 1970 abspielte. Der amtierende Europameister Italien traf im Glutofen auf Vizeweltmeister Deutschland, wobei die Sympathien klar an Beckenbauer und Co. verteilt waren. Italien hatte in der Runde zuvor die Gastgeber aus dem Turnier geschossen und sah sich bereits zu Beginn einem wüsten Pfeifkonzert ausgesetzt.

Das machte den abgezockten Südeuropäern aber nichts aus. Bereits in der achten Minute gingen sie mit 1:0 in Führung und es schien, als würde dieses italienischste aller Ergebnisse auch noch nach Schlusspfiff auf der Anzeigetafel stehen. In der Nachspielzeit drückte jedoch "ausgerechnet Schnellinger" die Kugel zum Ausgleich über die Linie: das erste und einzige Nationalmannschaftstor des langjährigen Italienlegionärs.

Danach nahm der Wahnsinn seinen Lauf: in der 94. Minute würgte Bomber Gerd Müller mit einem formvollendeten Exemplar eines Müller-Tores den Ball zur deutschen Führung über die Linie, was sogar Kommentatorenlegende Ernst Huberty verzückte: "Meine Damen und Herren, wenn sie jemals ein echtes Müller-Tor gesehen haben, dann jetzt!" Danach war wieder Italien an der Reihe: Burgnich und Riva, 3:2.

Franz Beckenbauer lief da schon nur mehr auf Reststrom, da man ihm nach einer schweren Schulterverletzung in der zweiten Hälfte eine Armschlinge verpasst hatte. Legendäre Bilder. Dann nochmals Müller: Kopfball aus drei Metern, der erneute Ausgleich, 3:3. Gianni Rivera beendete mit seinem Tor dann das "Jahrhundertspiel" und schoss die Italiener somit ins Finale.

Dass dieses Spiel einmal zur Legende werden würde, war dem einstigen Milan-Spielmacher damals noch nicht klar. "Eigentlich haben wir erst bei unserer Rückkehr nach Italien verstanden, welche Wirkung es auf die Zuschauer gehabt haben muss. In technischer Hinsicht war es meiner Meinung nach nicht mal besonders berauschend", so Rivera. An die Strapazen kann sich der heute 68-jährige Politiker aber noch sehr gut erinnern: "Es war sehr heiß, doch das eigentliche Problem war die Höhe. Ich selbst war noch ganz gut beieinander, da ich erst nach 45 Minuten eingewechselt wurde. Doch insbesondere die Raucher in unserer Mannschaft hatten richtig zu kämpfen. Es war ein Konzert der rasselnden Lungen!"

Deutschland - Italien: Bilanz in Zahlen